Holm/Hetlingen. Thorsten Ibs sorgte in zwei Orten für Sicherheit. Homeoffice? Macht er schon ewig, Arbeiten und Wohnen war eins. Nun endet die Ära.
Fast 34 Jahre lang war Thorsten Ibs die One-Man-Show der Polizei in Holm. Das rotgeklinkerte Einfamilienhaus an der Straße Steinberge – für den 62-Jährigen war es Wohnort und Büro in einem. „Ich habe es immer genossen, Dorfsheriff zu sein“, sagt Ibs. Anfang des Monats hat er den Dienst quittiert, die „One-Man-Show“ ist in Pension gegangen.
Damit ist im Kreis Pinneberg auch die Funktion des Dorfsheriffs ausgestorben. Denn Thorsten Ibs war ein Unikat, der letzte seiner Art, eine Art Dinosaurier des Polizeidienstes. „Ich war eine aussterbende Spezies“, sagt er selbst über sich. Offiziell gab es dieses Amt nach diversen Polizeireformen schon länger nicht mehr.
Polizist als „One-Man-Show“: Dorfsheriff Thorsten Ibs arbeitete 33 Jahre lang im Homeoffice
Der Ein-Mann-Polizeiposten in Holm – auf dem Papier war er längst abgeschafft. Der 62-Jährige war organisatorisch dem Polizeirevier Wedel zugeordnet, hatte dort auch einen Schreibtisch. Doch die Hauptarbeit erledigte er nach wie vor von seinem heimischen Büro aus. „Ich habe schon lange vor Corona Homeoffice gemacht“, sagt Ibs, der die letzten zehn Jahre neben Holm auch für Hetlingen zuständig war.
Am 2. Oktober 1978 hatte der heutige Holmer („Damals war ich noch keine 18 Jahre alt“) bei der Landespolizei Schleswig-Holstein angefangen. Den Anstoß gab der Vater seines besten Freundes. „Ich bin in Sankt Margarethen aufgewachsen, der Vater meines besten Freundes war dort Dorfsheriff.“ Das imponierte Ibs, sodass ihm sein Berufswunsch schnell klar war. „Auch mein bester Freund ist zur Polizei gegangen, war haben gemeinsam angefangen.“
Seine erste Station war die Einsatzhundertschaft des Landes Schleswig-Holstein
Zweieinhalb Jahre dauerte die Ausbildung in Eutin, es folgte ein Jahr in der Einsatzhundertschaft der Polizei Schleswig-Holstein in Kiel. Dieser Job führte den heute 62-Jährigen auch wieder in seine Heimat. „Ich war damals bei nahezu allen Großeinsätzen dabei, auch bei den Demos gegen das Kernkraftwerk in Brokdorf.“ Auch in anderen Bundesländern musste die Einsatzhundertschaft eingreifen, wenn es kritisch wurde. „Das war eine ereignisreiche Zeit.“
Sie endete mit einer Versetzung zur Polizei in Pinneberg. Dort landete Ibs beim Polizeibezirksrevier, das damals noch im alten Polizeigebäude an der Friedrich-Ebert-Straße ansässig war. „Ich habe 1982 den Umzug der Polizei innerhalb Pinnebergs zur Elmshorner Straße mitgemacht.“ Mehrere Jahre blieb der heute 62-Jährige beim Umweltschutztrupp der Polizei, ehe im Herbst 1990 eine Stellenausschreibung seine Aufmerksamkeit weckte.
Im Herbst 1990 trat der heute 62-Jährige den Dienst in Holm an
„Gesucht wurde jemand für den Ein-Mann-Posten in Holm. Ich habe mich beworben und den Zuschlag erhalten“, erinnert sich Ibs. Zu Beginn habe es ihm sehr geholfen, Plattdeutsch zu verstehen und zu sprechen. „Ich war ja damals häufig bei den Gemeindevertretersitzungen anwesend.“ Und auch für die Vorstellung beim damaligen Bürgermeister Walter Rißler waren Kenntnisse des Niederdeutschen hilfreich.
Mit dem Diensteintritt sei auch die Verpflichtung verbunden gewesen, ein sogenanntes Dienstgehöft in Holm zu beziehen. Es handelte sich um ein älteres Einfamilienhaus an der Straße Steinberge, in dem Ibs und seine Frau noch heute wohnen. Nicht mehr als Mieter, sondern schon lange Zeit als Eigentümer.
Das Haus war für Ibs gleichzeitig der Wohn- und Arbeitsort. Viele Jahre lang nahm er seine dienstlichen Aufgaben auch mit seinem privaten Pkw wahr. „Den Wagen kannte im Ort jeder.“ Der Dorfsheriff fuhr zuerst einen roten, dann einen blauen Mazda 323. „Wenn ich durch das Dorf fuhr und die Leute den Wagen sahen, haben die sich noch schnell angeschnallt oder das Handy weggelegt“, erinnert sich der 62-Jährige.
Auch außerhalb der Dienstzeiten war Thorsten Ibs für die Bürger da
Wohnen und Arbeit miteinander in Einklang zu bringen – für Ibs, der mit der Feuerwehr und der Amtsverwaltung bestens harmonierte, war das nie ein Problem. „Eigentlich war ich ja immer im Dienst.“ Wenn er in seiner Freizeit im Vorgarten gewerkelt habe und jemand etwas anzeigen wollte, „dann habe ich mich kurz mal in den Dienst versetzt und das schnell aufgenommen“. Im Anschluss ging die Gartenarbeit weiter.
Auch beim Brötchenholen sei er häufig angesprochen worden – und konnte weiterhelfen. Als Dorfsheriff war der heute 62-Jährige alles in einer Person. Derjenige, die die Anzeige aufnimmt, derjenige, der auf die Tätersuche geht und auch derjenige, der präventiv tätig wird und über Kriminalitätsformen aufklärt – etwa über die Phänomene falsche Polizeibeamte oder Enkeltrickbetrüger. notfalls auch beim Bäcker oder im Supermarkt.
Auch für die Verkehrserziehung im Kindergarten war der Dorfsheriff zuständig
Auch für die Verkehrserziehung im Kindergarten war der heute 62-Jährige zuständig. Auf diese Weise lernte er den Nachwuchs des Ortes von klein auf kennen und begleitete ihn bis zum Erwachsenenalter. „Ich wusste genau, wo die sich treffen. Wenn mal was los war, wusste ich natürlich, wo und wen ich fragen musste, bin dann dahin und die Sache hat sich geklärt“, erinnert sich Ibs. Er habe viel bewegen können und so manchen strauchelnden Jugendlichen wieder auf Spur gebracht.
Sein Fazit: „Man ist so etwas wie eine Servicedienststelle für den Bürger, auch außerhalb der Dienstzeiten.“ Und der Dorfsheriff kannte seine Pappenheimer, konnte in dem kleinen Ort meistens sehr schnell den Täter zur Tat ermitteln. Häufig stellte er auch den Kontakt zwischen Opfer und Täter her, sodass Dinge schnell bereinigt werden konnten.
Ibs kannte seine Pappenheimer und konnte viele Fälle daher schnell lösen
„Mein Motto war ‚Klare Kante, klare Linie‘.“ Auf diese Weise wurden etwa Sachbeschädigungen durch Graffiti von den Tätern wieder entfernt. Auch Personen, die illegal Müll im Ort abgeladen hatten, konnten diesen unter Aufsicht des Dorfsheriffs wieder aufladen und ordnungsgemäß entsorgen. „Die Anzeige und die Geldbuße gab es natürlich trotzdem.“
So manches Mal habe er auch Eltern bei sich antanzen lassen, um sie über die Verfehlungen ihres Nachwuchses aufzuklären. „Man konnte hier vieles schnell umsetzen, ohne langwierige bürokratische Wege beschreiten zu müssen. Sozusagen den kleinen Dienstweg nutzen. Letztlich war es aber auch eine überschaubare Kriminalität.“
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Dass diese nicht ausuferte, war ohne Zweifel ein Verdienst des Ein-Mann-Postens. Der schob zu Beginn seiner Dienstzeit häufig Ermessensdienst. „Ich konnte etwa Rasenmähen oder zum Einkaufen fahren, musste aber immer das Funkgerät dabei haben, um schnell zu einer möglichen Einsatzstelle kommen zu können.“ Einmal habe er auf diese Weise seine Frau mit den Einkäufen auf dem Parkplatz eines Supermarktes stehen lassen müssen.
Die nahm es ihrem Mann nicht übel, schließlich gehörte damals so etwas zur Polizeiarbeit dazu. „Damals war das Einsatzgeschehen nicht so wie es jetzt ist“, erinnert sich Ibs. Und dennoch sagt er: „Ich finde es total schade, dass es diese Form von Polizeiarbeit nicht mehr gibt.“ In Zeiten, wo alles anonymer werde und auch kleinere Orte nur noch als Schlafgemeinden genutzt würden, seien diese Posten leider nicht mehr zeitgemäß.
Der Ein-Mann-Posten gehört bei der Polizei lange der Vergangenheit an
Zu Beginn seiner Dienstzeit aber „kannte jeder jeden“, so Ibs. Er habe etwa genau gewusst, wer mal zeitweise seinen Führerschein verloren hatte und auch weswegen. Trotzdem zu fahren, sei in Holm mehr als riskant gewesen. „In der Stadt gibt es Post vom Gericht, hier bei uns kam der Brief und der Polizist ins Haus.“
Doch diese Zeit – sie ist auch in Holm vorbei. Den Niedergang seiner Zunft erlebte Ibs in den letzten Jahrzehnten hautnah mit. „Damals jagte eine Polizeireform die nächste.“ Ein Ein-Mann-Posten nach dem anderen wurde im Kreis Pinneberg geschlossen, spätestens mit der Pension des letzten Amtsinhabers war Schluss. Nun hat es auch Ibs erwischt, dessen Ein-Mann-Dienststelle offiziell ja sowieso schon vor Jahren aufgelöst worden war.
Als Bewohner bleibt die Familie Ibs den Bürgern von Holm erhalten
Die Polizeischilder an dem Einfamilienhaus – sie sind abmontiert, das Home-Office-Büro ist aufgelöst. Seit Beginn des Monats sind andere Kollegen für Holm und Hetlingen zuständig, und zwar von der Dienststelle in Wedel aus. Die Hausbewohner aber sind geblieben. „Ich und meine Frau bleiben Holm als Bewohner erhalten“, sagt der 62-Jährige. Sollte er künftig von „seinen Bürgern“ auf kriminelle Sachen angesprochen werden, wird er auf die Kollegen verweisen müssen.
„Ich bereue nicht, den Schritt nach Holm gegangen zu sein“, sagt der Ex-Dorfsheriff, der in der Gemeinde nicht nur eine Arbeitsstätte, sondern vielmehr ein Zuhause gefunden hat. Das galt auch für seine Frau und die beiden Kinder. „Denen hat es nicht geschadet, dass ihr Vater der Dorfsheriff war.“
Die Tochter von Thorsten Ibs ist in die Fußstapfen ihres Vaters getreten
Während der Sohn ein Lehramtsstudium begonnen hat, ist die Tochter des Dorfsheriffs in seine Fußstapfen getreten. Allerdings nicht in der kleinen Gemeinde im Kreis Pinneberg. „Sie ist in Hamburg in den Polizeidienst eingetreten, arbeitet dort bei der Kripo.“