Pinneberg/Segeberg. Zersetzungsprobleme gibt es auch auf Friedhöfen in Pinneberg und Segeberg. Das sind die Ursachen und die Folgen des Phänomens.
Nach einer Studie der Deutschen Bundesstiftung Umwelt aus dem Jahr 2012 verwesen auf jedem vierten Friedhof in Deutschland Leichen nicht so, wie sie sollten. Auch auf Friedhöfen in den Kreisen Pinneberg und Segeberg wurden solche Zersetzungsstörungen festgestellt. Ein Problem, über das Friedhofsverwaltungen allerdings nicht gern sprechen.
Die letzte Ruhe endet meist nach 20 oder 25 Jahren. Dann kann nach einer Erdbestattung im Sarg eine Grabstelle wieder belegt werden. Doch nicht selten finden Friedhofsarbeiter, die nach Ablauf der Ruhefrist ein Grab ausheben, mehr, als ihnen lieb ist: Nicht verweste Leichen, zum Teil mit erkennbaren Gesichtszügen, sogenannte Wachsleichen. Wie kommt es zu solchen Störungen?
Wachsleichen auf Friedhöfen: Ohne Sauerstoff wird die Verwesung gehemmt
Einfach gesagt: Nasse, luftundurchlässige Böden sowie ein hoher Grundwasserspiegel oder auch zu intensives Gießen des Grabes können verhindern, dass ausreichend Sauerstoff an den Leichnam gelangt. Ohne Sauerstoff ist die Verwesung gehemmt. Aber auch Särge aus Kunststoff, Ton oder Metall sowie Kunstfaserkleidung des Toten stören den natürlichen Verwesungsprozess.
Die Bodenbeschaffenheit hat massiven Einfluss auf die Zersetzung. „Böden sind dann zur Leichenverwesung geeignet, wenn keine beachtlichen Verwesungsstörungen zu befürchten sind und sie die Fähigkeit haben, die Verwesungsprodukte ausreichend vom Grundwasser und der Außenluft fernzuhalten“, erläutert Christian Kohl, Sprecher des Schleswig-holsteinischen Ministeriums für Justiz und Gesundheit. Als ideale Bodenart für Erdbestattungen gelten Kies- und Sandböden, als ungünstig Lehm-, Torf- und Tonböden.
Pinneberg: Optimale Zersetzungsbedingungen auf dem Friedhof am Hogenkamp
Nachgefragt bei drei Friedhofsverwaltungen im Kreis Pinneberg: Hat es auf ihrem Friedhof Verwesungsstörungen bei Leichen gegeben?
Auf dem städtischen Friedhof in Pinneberg kommen nach Auskunft aus dem Bürgermeisterbüro Zersetzungsstörungen bei Leichnamen nicht vor. „Das Gelände am Hogenkamp ist zu seiner Zeit nach einer Bodenbegutachtung explizit für die Nutzung als Friedhof ausgewählt worden. Es herrschen dort optimale Zersetzungsbedingungen“, sagt Philipp Dickersbach, der neue Mann für die Öffentlichkeitsarbeit im Rathaus.
Kleinstadtfriedhof im Kreis Pinneberg: „Wir haben unterschiedliche Böden, auch problematische.“
In Elmshorn, auf dem 19 Hektar großen Friedhof des Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeindeverbandes, gibt es keine Wachsleichen. „Die Friedhofsfläche wurde bei der Friedhofsgründung 1882 als geeignet gesehen“, berichtet Friedhofsverwalter Torsten Kock. „Wir haben hier nur Sandboden und somit kein Problem mit Verwesungsstörungen. Auch das Grundwasser bereitet kein Problem.“
Die dritte Anfrage ging an die Friedhofsverwaltung einer Kleinstadt im Kreis. „Ja, es gab wenige Fälle von Zersetzungsstörungen“, so der Friedhofsverwalter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Wir haben unterschiedliche Böden, auch problematische.“ Verantwortlich seien hier die hohen Grundwasserstände. Auf den nicht geeigneten Bereichen fänden keine Erdbestattungen mehr statt. „Wir haben genug andere Flächen.“
In der Stadt Norderstedt gibt es keine Probleme
Und wie ist die Lage im Nachbarkreis Segeberg? Auf den drei städtischen Friedhöfen in Norderstedt – dem Waldfriedhof Friedrichsgabe, dem Friedhof Harksheide sowie dem an der Landesgrenze zu Hamburg liegenden Friedhof Glashütte – „gibt es bei der heutigen Verwendung der üblichen Bestattungsformen und Sargmaterialien keine Probleme bei der Zersetzung von Leichen“, teilt Stadtsprecher Bernd-Olaf Struppek mit.
„Es ist auf keinem unserer städtischen Friedhöfe in den vergangenen Jahren zu diesen Auffälligkeiten gekommen. In den vergangenen Jahren bezieht sich, auch nach Rücksprache mit Kollegen, die lange beim Betriebsamt sind, auf die vergangenen beiden Jahrzehnte“, so Struppek. „Das liegt vor allem auch an den trockenen, wasserdurchlässigen Sandböden auf dem Gebiet der Stadt.“
„Äußerst seltene“ Fälle in Henstedt-Ulzburg
Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Kaltenkirchen ist Träger des 1853 in Betrieb genommenen Friedhofs Kaltenkirchen . „Zersetzungsstörungen bei Leichen hat es noch nicht gegeben“, teilt Friedhofsverwalter Jens Gabriel mit. „Wir haben auf dem gesamten Friedhof leichten Sandboden.“
Auf dem seit 1879 bestehenden Friedhof in Henstedt-Ulzburg, dessen Träger die Kirchengemeinde Erlöserkirche Henstedt ist, ist die Bodenbeschaffenheit nach Auskunft von Sabine Bornhöft, Vorsitzende des Friedhofsausschusses, „größtenteils sandig bis sehr sandig“. In einem kleinen Bereich habe es „äußerst selten“ Fälle von Zersetzungsstörungen gegeben. Ursache? „Mit großer Wahrscheinlichkeit ein zu hoher Grundwasserstand. Dort finden keine Sargbestattungen mehr statt.“
„Wachsleichen“ werden meist umgebettet, selten auch verbrannt
Was geschieht mit einem noch nicht verwesten Leichnam, der bei der Auflösung der Grabstätte nach Ablauf der Ruhezeit gefunden wird? Die Antwort des Ministeriumssprechers Kohl bleibt vage: „Die Bodenbeschaffenheit ist bei der Festlegung der Ruhezeiten durch den jeweiligen Friedhofsträger zu beachten, um den Verwesungsprozess zu ermöglichen. Sollten dennoch Verwesungsstörungen auftreten, läge es in der Verantwortung der Friedhofsträger, damit sowohl fachlich angemessen als auch pietätvoll umzugehen.“ Meist werden die Leichname umgebettet, selten auch kremiert.
Muss die Eignung der Friedhofsböden regelmäßig überprüft werden? „Die Verantwortung zur Einhaltung der Regelung liegt bei den jeweiligen Friedhofsträgern. Das Bestattungsgesetz trifft hierzu keine ausdrückliche Regelungen. Kommunale Ordnungsbehörden können nach eigenem Ermessen Prüfungen durchführen“, sagt Christian Kohl.
Nur noch zwölf Prozent der Bundesbürger wünschen eine Sargbestattung
Künftig werden Friedhofsträger immer seltener mit dem unerfreulichen Problem „Zersetzungsstörungen/Wachsleichen“ zu tun haben. Der Trend bei Bestattungen geht seit Jahren weg vom klassischen Sarggrab auf dem Friedhof, hin zu anderen Bestattungsformen.
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Nach einer Umfrage im Auftrag von Aeternitas e.V., der Verbraucherinitiative Bestattungskultur, aus dem Jahr 2022 wünschen nur noch zwölf Prozent der Bundesbürger eine traditionelle Sargbestattung. Auf dem städtischen Friedhof Pinneberg finden pro Jahr zirka 250 Beisetzungen statt, davon mehr als 80 Prozent als Urnenbeisetzung. In Elmshorn lag der Anteil der Urnenbeisetzungen im vergangenen Jahr bei 70 Prozent.
Das sagt der Experte für Friedhofsbodenkunde
Der Diplom-Agraringenieur Dr. Michael C. Albrecht ist Geschäftsführer der Hannoveraner Firma entera und vereidigter Sachverständiger für Friedhofsbodenkunde. Das sagt er im Interview mit dem Abendblatt zur „Wachsleichen“-Problematik.
Wie häufig kommen Zersetzungsstörungen bei Leichen in Deutschland vor? Auf wie viel Prozent der Friedhöfe gibt es solche Fälle?
Albrecht: Es gibt keine fundierten Erhebungen zum Vorkommen von Verwesungsstörungen, weder auf Landesebene noch auf Bundesebene. Lediglich eine im Jahr 2001 landesweit durchgeführte Untersuchung in Baden-Württemberg ergab, dass fast 40 Prozent der beteiligten Gemeinden und Städte von sich aus angaben, Verwesungsprobleme auf den Friedhöfen zu haben. Begleitende Untersuchungen zur Situation auf den Friedhöfen wurden jedoch nicht durchgeführt.
Sind solche Fälle auch aus Schleswig-Holstein beziehungsweise aus den Kreisen Pinneberg und Segeberg bekannt?
Da ich bisher keine Untersuchungen in den Kreisen Pinneberg und Segeberg durchgeführt habe, sind mir keine Fälle bekannt. Da heißt nicht, dass es diese Fälle nicht gibt. Generell werden aber auch keine stichprobenartigen Untersuchungen durchgeführt.
Um Aufregungen zu vermeiden: Das Vorkommen von Zersetzungsstörungen bedeutet nicht, dass ein ganzer Friedhof für Sargbestattungen ungeeignet ist. Ungeeignet für Leichenverwesung sind in der Regel nur Teilflächen, oder?
Verwesungsstörungen müssen nicht in jedem Fall mit der Eignung des Friedhofs zusammenhängen, denn Grababdeckungen, Sargausschlag mit Folie, übermäßiges Gießen oder Kunstfaserbekleidung der verstorbenen Person können auch auf bodenkundlich geeigneten Standorten Verwesungsstörungen verursachen.“
Was sind die hauptsächlichen Ursachen für solche Zersetzungsstörungen? Warum sind einige Flächen ungeeignet für Erdbestattungen?
Es gibt Friedhöfe, die an ungeeigneten Standorten angelegt worden sind, wo zum Beispiel das Grundwasser ganzjährig zu hoch ansteht und den Verwesungsprozess stört. Ob diese Situation auf dem gesamten Friedhof auftritt, gilt es dann zu untersuchen. Auch auf tonreichen Böden gibt es oftmals Probleme, hier kann jedoch über die Beisetzungstiefe reguliert werden. Die Nicht-Eignung ergibt sich in beiden Fällen aus der verringerten Sauerstoffversorgung für den mikrobiologischen Abbauprozess des Leichnams. Den größten Einfluss haben folgende Faktoren: ganzflächige Grababdeckungen, Sargausschlag mit Folie, übermäßiges Gießen oder Kunstfaserbekleidung. Zudem muss auch berücksichtigt werden, dass der natürliche Abbauprozess von Verstorbenen mit Übergewicht oder sogar Fettleibigkeit eine besondere Herausforderung darstellt.
Wie geht man mit ungeeigneten Flächen um? Können sie saniert werden? Oder wird in diesem Bereich einfach auf Erdbestattungen mit Sarg verzichtet?
Eine Sanierung ist immer die zweitbeste und teuerste Variante, weil es schwierig ist, einen ungeeigneten Standort so weit zu verbessern, dass er dann geeignet ist. Ein Sanierungsverfahren wird von Protempra aus Norwegen angeboten, mit dem es aber noch keine Erfahrungen in Deutschland gibt.
Wie setzt sich ein für Leichenverwesung idealer Friedhofsboden zusammen?
Wenn wir als Haupteinflussfaktor den Sauerstoff sehen, dann gestaltet sich ein mittelsandig bis feinkiesiger Boden als optimal.
Wurden in den vergangenen 150 Jahren Flächen, die für Friedhofszwecke genutzt werden sollten, vorher geologisch auf ihre Eignung untersucht? Und wie ist es heute?
Die geologische Untersuchung ist nicht so relevant, genauso wenig wie eine Baugrunduntersuchung. Vielmehr ist eine bodenkundlich-hygienische Untersuchung wichtig. Die werden seit mehr als 150 Jahren auf Friedhöfen durchgeführt, leider nicht flächendeckend.