Kreis Pinneberg. Sarg und Urne waren gestern. „Reerdigung“ heißt die neue Öko-Bestattungs-Alternative. So funktioniert das Kompostieren Verstorbener.
Auch wenn der Gedanke befremdlich ist: Jeder muss sich im Laufe seines Lebens mit dem Tod auseinandersetzen. Dabei spielt die Art der gewünschten Bestattung meist eine große Rolle. Als erstes Bundesland in Deutschland läuft in Schleswig-Holstein seit 2022 ein Pilotprojekt für eine neue Bestattungsform, die ihren Ursprung in den USA hat.
Bei der Reerdigung wird der Verstorbene in einem sargähnlichen Edelstahlbehälter, dem sogenannten Kokon, auf ein Substrat aus Stroh und Humus – also Muttererde – gebettet. 40 Tage dauert es anschließend, bis aus dem nackten Leichnam Erde geworden ist. Diese muss anschließend auf einem Friedhof beigesetzt werden.
Kreis Pinneberg: Noch gab es keine Reerdigung in Uetersen
Im Kreis Pinneberg bietet das Bestattungsunternehmen Gimball in Uetersen diese neue Bestattungsform an. „Wir haben schon viele Anfragen bekommen, aber leider noch keine Reerdigung durchführen können“, sagt Nadine Gimball (40). Ihre Einschätzung: Die Bestattungskultur brauche eben Zeit für einen Wandel und Umorientierung.
Laut Gimball sei die Reerdigung für viele Menschen eine willkommene Alternative für Feuer- oder Sargbestattungen. „Es gibt Leute, die Angst vor Feuer haben oder die Erde nicht durch eine Erdbestattung belasten wollen“. Das Pilotprojekt, das vorerst nur in Schleswig-Holstein läuft, endet 2026. Wie es danach weitergehen wird, ist noch unklar.
Reerdigung: Wie ein Verstorbener zu Erde wird
Und so funktioniert die Reerdigung: Nach der Trauerfeier wird der Kokon verschlossen, in einer Art Kapsel, dem Alvarium, eingehängt und langsam hin- und herbewegt. Während dieses Vorgangs zersetzen körpereigene Mikro-Organismen den Verstorbenen fast vollständig zu Humus.
Größere Knochen werden zermahlen und der Erde wieder beigefügt. Anders als bei der Einäscherung werden unnatürliche Rückstände, etwa künstliche Gelenke, entnommen. Durch die Energie, die bei dem Zersetzungsprozess entsteht, erhitzt sich das Innere des Edelstahlsargs bis auf 70 Grad Celsius. Aus einem 80 Kilogramm schweren Menschen werden rund 120 Kilo Erde, die vollständig in einem Grab bestattet werden müssen.
Mit nach Hause nehmen, wie es in den USA am Ende dieses Prozesses möglich ist, können die Hinterbliebenen die Erde dann allerdings nicht. Denn: In Deutschland besteht rechtlich gesehen der Friedhofszwang.
Umweltfreundliche Alternative zur Feuerbestattung
In Deutschland werden laut Statistik circa 80 Prozent der Verstorbenen eingeäschert. Bei der Kremation, also der Feuerbestattung, ist ein hoher Energieaufwand nötig, um sowohl den Verstorbenen als auch den Sarg aus Holz zu verbrennen. Dieser Vorgang gilt aus ökologischen Gründen als bedenklich. Bei der Reerdigung wird die benötigte Energie dagegen auf natürlichem Wege erzeugt und muss nicht zusätzlich aufgewendet werden.
Der Wohnort der Verstorbenen muss für eine Reerdigung auch nicht in Schleswig-Holstein liegen. Der Transport in eines der zwei Alvarien – Standorte Mölln und Kiel – ist auch Bürgern möglich, die zuvor nicht dort gelebt haben.
Reerdigung: Das Verfahren ist teuer
Das Kompostieren von Verstorbenen stößt jedoch auch auf Kritik. Laut Jörg Vieweg, Bestattungsunternehmer aus Rellingen, könne das Verfahren in der Gesellschaft Akzeptanz finden. Aber noch fehlt ihm dafür eine Datengrundlage. „Der Vorgang der Reerdigung muss kritisch beobachtet, wissenschaftlich begleitet und weiterentwickelt werden.“
- Landtag: Rechtssicherheit für Bestattungsform „Reerdigung“
- Klimaneutrale Beerdigung: Reerdigung – Tote in „Kokon“ bestattet
- Kompost-Beerdigung: Pastor im Michel Hamburg kritisiert Trend aus den USA
So sei beispielsweise eine forensische Studie der Universität Leipzig zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass die Transformation zu Humus in 40 Tagen abgeschlossen ist. Allerdings waren dabei lediglich zwei von insgesamt 16 abgeschlossenen Reerdigungen untersucht worden. „Wer sich mit Wissenschaft beschäftigt, weiß, dass die Fallzahl sehr gering ist“, so Vieweg.
Diese Beerdigungsform großflächig umzusetzen, sei generell kompliziert. Die Alvarien, in denen der Verstorbene über einen Zeitraum von einem Monat „reerdigt“ wird, müssen auf einem Friedhof stehen, was aus Platz- und Kostengründen eine Herausforderung sein könne. Und das Verfahren ist kostspielig. Allein die Transformation kostet die Angehörigen 2900 Euro. Hinzu kommen Grab- und Pflegekosten, sowie alle Leistungen der Bestatter.