Kreis Pinneberg. Pflegehotels, Familienschulung, Gesundheitscampus: Bundes-Pflegebeauftragte ist beeindruckt von Konzepten im Kreis Pinneberg.
Gut 30 Jahre lang hat sie selbst in der Pflege gearbeitet. Aber das „familiale Pflegekonzept“ kannte sie noch nicht. „Das höre ich heute zum ersten Mal“, zeigte sich Claudia Moll, die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, am Montagnachmittag bei ihrem Besuch im Elmshorner Klinikum ganz überrascht.
Wie die Regio Kliniken die Angehörigen von Patienten nach ihrem Krankenhausaufenthalt für die Pflegearbeit zu Hause berieten, schulten und vorbereiteten, sei vorbildlich. „Es ist toll, welche Energie ihr hier in die Pflege steckt.“ Für die Pflegebeauftragte und SPD-Bundestagsabgeordnete aus Eschweiler bei Aachen ist die Alten- und Krankenpflege ein Traumberuf. Auch wenn sie ihn ihrer Tochter nicht so richtig schmackhaft machen konnte, wie sie nach dem einstündigen Rundgang durchs Elmshorner Krankenhaus berichtete.
Pflegeberuf werde oft viel zu negativ dargestellt, findet die Bundes-Pflegebeauftragte
Die wollte nach dem Abitur zunächst Germanistik studieren und es beruflich eher ruhiger angehen lassen, erzählte Claudia Moll im breiten rheinländischen Dialekt. „Nichts mit chillen“, habe sie dann zu ihr ein Machtwort gesprochen. Und so sei das Mädchen zur Feuerwehr gegangen und habe sich als Notfallsanitäterin ausbilden lassen. „Jetzt habe ich eine ganz andere Tochter zu Hause.“
Ihr werde der Pflegeberuf oft auch viel zu negativ als anstrengende Arbeit im ständigen Schichtdienst dargestellt, sagte Claudia Moll. „Das ärgert mich“, sagte die resolute Abgeordnete mit scharfer Stimme.
Mythos: Pflege ist nicht nur Waschen, Pipi und Stuhlgang
„Pflege ist nicht nur Waschen, Pipi und Stuhlgang.“ Dafür würden vielleicht 13 Minuten an einem Arbeitstag aufzuwenden sein, habe sie selbst mal in ihrem damaligen Altenpflege-Job ausgerechnet. „Als Pflegekraft hast du überall ganz tolle Weiterbildungsmöglichkeiten, die es sonst nirgendwo gibt“, warb sie für diese Arbeit, die sie auch als Fürsorge für die Menschen versteht.
Das bestätigte Nicole Molzen als Pflegedirektorin bei den Regio Kliniken. Die Pflege ist ein hochattraktiver Beruf, der so vielfältige Möglichkeiten bietet.“ Dabei werde heute schon in der Ausbildung auf die konkreten Wünsche und Interessen der Auszubildenden eingegangen, erklärte Melanie Tulke, die das Bildungszentrum der Regio Kliniken leitet.
Regio Kliniken haben etwa 100 zusätzliche Vollzeitkräfte in der Krankenpflege eingestellt
Das Zentrum nimmt das jedes Jahr 70 bis 80 neue Pflegeschülerinnen und –schüler auf, bringt in drei Jahren etwa 220 Auszubildende zum Examen. Die Pflegeschüler könnten sich zu einem gewissen Teil die Arbeits- und Schichtzeiten aussuchen wie auch später als ausgelernte Krankenschwester oder –pfleger, damit ihre „Work-Life-Balance“ nicht zu sehr ihre Freizeit störe.
Denn der Fachkräftemangel sei natürlich auch bei den Regio Kliniken zu spüren, sagte Pflegechefin Nicole Molzen. „Aber wir haben erheblich etwas dagegen getan.“ Seit 2018 hätten die Regio Kliniken in ihren beiden Krankenhäusern in Pinneberg und Elmshorn 100 zusätzliche Vollzeitkräfte in der Pflege eingestellt. Mehr als 1000 Pflegekräfte betreuten und versorgten heute rund um die Uhr die etwa 35.000 Patienten, die hier jedes Jahr stationär behandelt werden. „Aber ich würde mir noch 25 Vollzeitkräfte dazu wünschen“, sagte Nicole Molzen.
Bundesweit fehlten etwa 200.000 Pflegekräfte. Da sei es für Mitarbeitende und erst recht für die Patienten natürlich gut, wenn der Klinikbetreiber neue und moderne Pflegekonzepte praktiziere, lobte auch der Kreis Pinneberger Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der die Pflegebeauftragte Claudia Moll mit Mitgliedern der Kreistagfraktion bei ihrem Rundgang durchs Krankenhaus begleitete. Er habe hier einen guten Teamspirit und umsichtigen Blick auf das Wohl der Patienten verspürt, sagte Stegner. „So wünscht man sich, als Patient gut aufgehoben zu sein.“
Das Konzept der familialen Pflege schult die Angehörigen für die Pflege zu Hause
Das Konzept der familialen Pflege imponierte der Beauftragten. „Wir machen die Angehörigen zu Pflege-Profis für zu Hause“, erläuterte Anne Fritsche von den Regio Kliniken das Projekt, dass die Klinik seit zwei Jahren den Angehörigen von pflegebedürftigen Patienten zusammen mit der AOK Gesundheitskasse anbiete.
Dabei würden speziell ausgebildete Pflegekräfte den Angehörigen alle nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die sie brauchten, um ihren geliebten Menschen in der häuslichen Umgebung gut versorgen zu können. Das entlaste die Familienmitglieder ungemein und sorge dafür, dass „sich die Angehörigen zu Hause sicher fühlen.“
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Claudia Moll versprach, dieses Konzept weiterzutragen. Sie selbst habe sechs Jahre lang dafür „gekämpft, dass in der Eifel endlich ein Pflegehotel eingerichtet wird“, berichtete sie von einem anderen Entlastungskonzept für die Partner von zu pflegenden alten Menschen. Dort könnten die Angehörigen gemeinsam und in aller Ruhe mit ihrem geschwächten Partner Urlaub machen, wobei die zu pflegende Person professionell betreut werden würde, ohne dass der gesunde Partner sich ständig darum kümmern müsste.
Ambulante Pflegedienste sollten sich jeweils auf ein bestimmtes Wohnquartier konzentrieren
Ihr schwebe ohnehin ein ganz neues Konzept auch bei der ambulanten Altenpflege vor, sagte die Bundes-Pflegebeauftragte. Warum müssten die Pflegedienste überall quer durch die ganze Stadt oder den Kreis fahren, um ihre Klienten zu versorgen, fragte Claudia Moll. Viel besser wäre es doch, wenn dies quartiersweise organisiert werden würde und sich ein Pflegedienst um alle Pflegefälle in einem bestimmten Stadtteil oder einem Quartier kümmern würde. „Das wäre dann keine Verschwendung von Personal mehr und es würde auch unser Klima schützen.“
Zudem wünsche sie sich ein besseres organisatorisches Miteinander zwischen den Kliniken, der stationären Pflege sowie der ambulanten ärztlichen und pflegerischen Versorgung, sagte die Pflegebeauftragte. So stelle sie sich wahre Gesundheitszentren mit Kitas, Tageskliniken und medizinischen Einrichtungen von Logopädie über Ergotherapie bis Diabetes-Vor-und Nachsorge mit Ärzten, Apotheken und Behinderteneinrichtungen vor. „Das ist mein Traum, wie die Gesundheitsversorgung der Zukunft in unserem Land aussehen sollte“, sagte sie.
Beim Klinikneubau soll der Gesundheitscampus eine medizinische Rundumversorgung bieten
Und Gundolf Thurm, Geschäftsführer der Regio Kliniken, deutete an, dass so etwas Ähnliches mit dem geplanten Neubau der Zentralklinik in Pinneberg, die in zehn Jahren die beiden Krankenhäuser in Pinneberg und Elmshorn ersetzen soll, für den Kreis Pinneberg entstehen soll.
„Wir werden hier einen Gesundheitscampus errichten, der verschiedene Ansätze der Gesundheitsversorgung verfolgt und zusammen mit den niedergelassenen Ärzten passgenaue Lösungen schafft, die von der Trauma-Ambulanz über die digitale Angebote bis zur familiären Pflege reichen.“