Elmshorn. Vier Jungs von einst kommen acht Dekaden nach ihrer Einschulung 1944 zusammen. Was sie in der Blauen Schule Elmshorn erlebt haben.

Alle Jahre wieder – meistens in der Woche, in der die Jecken los sind – treffen sie sich. Ihre Runde wird kleiner. Aber auch in diesem Jahr haben sich Uwe Lehmann, Uwe Hansen, Markus Riepen und Claus Dammann auf ihre Zusammenkunft gefreut. Sehr sogar. Schließlich war diesmal in trauter Runde nicht nur das traditionelle „Graue-Erbsen-Essen“ angesagt.

Das Quartett, das aus verschiedenen Gründen auf sechs weitere mögliche Teilnehmer ihrer Gruppe vergeblich gewartet hat, feierte im Elmshorner „Sibirien“ seinen 80. Jahrestag der gemeinsamen Einschulung. Im April 1944 wurden die damaligen Steppkes zu ABC-Schützen an der „Blauen Schule“ Elmshorn, die ehemalige Realschule am Propstenfeld.

Klassentreffen: Im letzten Kriegsjahr war auch Papier sehr knapp; Not machte erfinderisch

Das waren harte Zeiten für die Jungs, wie sie sich gemeinschaftlich erinnern. „Papier gab es ja kaum“, erinnert sich Uwe Lehmann, „da mussten wir schon erfinderisch sein und haben die Rückseiten von Formularen oder anderes verwendet.“ Doch wesentlich tiefer ins Gedächtnis eingebrannt haben sich bei ihm und den anderen Erstklässlern von einst ganz andere erste Lektionen in ihrem Klassenverband.

Dieses Foto hält die verbliebene Klassengemeinschaft zusammen. Es zeigt die 1944 eingeschulten Jungs, die 1948 die Grundschulklasse der Blauen Schule Elmshorn mit ihren dazugekommenen Flüchtlings-Mitschülern abgeschlossen haben.
Uwe Hansen (mittlere Reihe, 3. von links), Uwe Lehmann (mittlere Reihe, 8. von rechts), Claus Dammann (obere Reihe, 3. von rechts) und Markus Riepen (nicht auf dem Foto) haben sich zum 80-Jahre-Treffen im Elmshorner „Sibirien“ eingefunden.
Dieses Foto hält die verbliebene Klassengemeinschaft zusammen. Es zeigt die 1944 eingeschulten Jungs, die 1948 die Grundschulklasse der Blauen Schule Elmshorn mit ihren dazugekommenen Flüchtlings-Mitschülern abgeschlossen haben. Uwe Hansen (mittlere Reihe, 3. von links), Uwe Lehmann (mittlere Reihe, 8. von rechts), Claus Dammann (obere Reihe, 3. von rechts) und Markus Riepen (nicht auf dem Foto) haben sich zum 80-Jahre-Treffen im Elmshorner „Sibirien“ eingefunden. © Ulrich Stückler/privat | Ulrich Stückler/privat

„Zuerst mussten wir ja das Grüßen lernen; das hat die Lehrerin mit uns richtig geübt“, blicken die Männer auf ihren Schulbeginn zurück. „Da ging die Lehrerin, Frau Thies war das damals, raus vor die Tür, hat angeklopft, kam wieder rein und dann sind wir aufgesprungen.“ Mit erhobenem rechten Arm mussten die Jungs dann den „Deutschen Gruß“ entrichten.

Mit Kriegsende müssen die Jungs sofort den „Deutschen Gruß“ vergessen

Aber nicht nur in der Schule sollten sie so auftreten, was für eine weitere Erinnerung bei Uwe Lehmann sorgte. „Unsere Lehrerin hat dann gesagt, dass wir so auf der Straße jeden grüßen müssen, den wir kennen“, erinnert sich Lehmann. „Als ich dann mit meiner Mutter in der Königstraße einkaufen gegangen bin, kam dann auch bald der erste Bekannte und ich dann auch gleich ,Heil Hitler!‘ gerufen. Meine Mutter dann ganz entsetzt ,Wo hast Du das denn her? So grüßt Du jetzt aber nicht mehr!‘“

Auch Uwe Hansen erinnert sich hierzu an Frau Thies und den dann erfolgten Wandel der Zeiten. „Dann kam das Kriegsende, wir hatten eine kurze Unterbrechung, kamen bald darauf aber wieder zur Schule“, lässt Hansen den Mai 1945 wieder aufleben. „Selbe Schule, selbe Klasse, selbe Lehrerin. Wir sitzen alle da, stehen dann auf und grüßen sie wie bisher mit erhobenem rechten Arm. Da musste die arme Frau uns erklären ,Das ist jetzt vorbei; jetzt müsst ihr guten Morgen sagen‘.“ Einig sind sich alle: „Wir sind, was die Nazis angeht, bis Kriegsende und auch danach sehr unwissend erzogen worden.“

Mit Ankunft der Flüchtlinge platzt die Klasse aus den Nähten

Und voll wurde es in der Klasse. Aus den über 30 Jungs der ersten Wochen und Monate wurden es nach Kriegsende durch die vielen Flüchtlinge über 50 Grundschüler, die sich auf viel zu kleinem Raum drängen mussten, um dann bis zum Übergang in die Beobachtungsstufe 1948 zusammenzubleiben. „Viele von denen haben dann auf derselben Ecke gelebt und haben dann dort auch ihr Revier verteidigt; es gab Stellen, an die wir dann einfach nicht mehr gegangen sind.“

„Blaue Schule“ Elmshorn, hier begann die gemeinsame Zeit für die Jungs des Einschulungsjahrgangs 1944.
„Blaue Schule“ Elmshorn, hier begann die gemeinsame Zeit für die Jungs des Einschulungsjahrgangs 1944. © Wolfgang Weiss

Im Klassenraum waren die Jungs aber wieder eine Einheit, um mit Lehrerinnen wie Frau Thies („Die war auch ganz bestimmt kein Nazi gewesen und der Herr Dröge auch nicht.“) eine gute Schulzeit zu haben, aber auch durch andere Lehrkräfte, die mit moderner Pädagogik überhaupt nichts am Hut hatten, unschöne Momente wie Schläge und Würfe des Schlüsselbundes mitzumachen.

Nicht alle Jungs dieser Klasse waren Musterschüler; es gab echte Rabauken

Einige Jungs waren Musterschüler, andere rechneten sich den Rabauken zu, wie zum Beispiel Markus Riepen mit einem breiten Schmunzeln bekennt. „Wir haben auch schon mal Ruderboote angebohrt und die Jungs, denen die Teile dann voll liefen, dabei auch noch beworfen.“ Und auch die Gartenpforten der Nachbarschaft auszuhängen und miteinander zu vertauschen ist eine Erinnerung, die die Pennäler von einst gern wieder hervorholen.

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Dabei findet dieses gemeinschaftliche Schwelgen in der Vergangenheit noch nicht so lange statt. Zwar gab es schon in den 70er-Jahren erste Treffen mit über drei Vierteln der damaligen Klassengemeinschaft, doch es trat wieder eine Pause ein. „Dann aber hat Claus Dammann das Anfang der 2000er neu angestoßen, dass wir uns wiedersehen sollen“, sagt Uwe Hansen und ist dem angesehenen Elmshorner Drogisten für dessen Einsatz dankbar.

Auch 2025 soll es ein Klassentreffen geben, wenn die „Graue-Erbsen-Zeit“ kommt

Durch die vielen Treffen seitdem ist Uwe Hansen vor allem ein Umstand bewusst geworden: „Obwohl die meisten von uns kein Abitur gemacht haben, ist doch aus uns allen was Ordentliches geworden.“

Zuerst „Im Winkel“, nun im „Sibirien“ gibt es nun regelmäßig das Wiedersehen, wenn auch in zunehmend kleinerer Runde. Und auch wenn nur noch zehn von ihnen leben, für 2025 hoffen die „Blauen Schüler“ wieder auf mehr Beteiligung als dieses Mal durch ihr Quartett. Schließlich waren die Fehlenden durch Absagen entschuldigt. Also wird auch nächstes Jahr zum Klassentreffen geladen, wenn wieder „Graue-Erbsen-Zeit“ ist.