Kreis Pinneberg. Im Kreis schließen immer mehr Schlachter. Innungsmeister Jan-Peter Fülscher erklärt, wieso so viele Geschäfte aufgeben müssen.
Die Liste der Negativ-Nachrichten ist lang: Thomas Dörling (60) gibt nach 115 Jahren die letzte eigenständige Fleischerei in Tornesch zum 31. Dezember auf. Die Geschwister Kilb schließen ebenfalls zum selben Termin die letzte freie Schlachterei in Uetersen. Andere sind bereits seit Monaten dicht: darunter Claußen in Quickborn sowie die Filiale von Peter Raabe in Moorrege.
„In den 80er-Jahren gab es in den Städten unserer Region jeweils mehrere Schlachtereien sowie weitere Betriebe auf den Dörfern“, erinnert sich Jan-Peter Fülscher (60). Doch vor allem Discounter mit großem Billigfleischangebot haben vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen die Perspektive geraubt, wirtschaftlich handeln zu können, klagt der Chef der Bezirks-Innung Pinneberg-Steinburg.
Erst die Corona-Pandemie fegt die unfairen Werkverträge vom Markt
Jahrzehntelang hatte sich Fülscher für faire Bedingungen in der fleischverarbeitenden Branche in Deutschland starkgemacht. Vor allem die arbeitnehmerrechtlich heftig umstrittenen Werkverträge mit osteuropäischen Lohnarbeitern – drei Euro pro Stunde samt Lohnnebenkosten – machten denen zu schaffen, die wie Fülscher auf fest angestellte Kräfte setzten, die mindestens 20 Euro pro Stunde kosteten.
Doch all die Gespräche mit Abgeordneten im Bund und Land nutzten wenig. Stattdessen sorgte die Corona-Pandemie für ein Ende des staatlich geduldeten Lohndumpings. Das Problem der schlecht bezahlten Kräfte aus dem Ausland wurde der Öffentlichkeit deutlich, weil sich aufgrund mangelhafter Unterkünfte das Virus und noch Kakerlaken obendrauf verbreiteten.
Der Verdienst im Fleischer-Handwerk ist wieder deutlich gestiegen
„Seitdem es die Werkverträge nicht mehr gibt, verdienen die Fleischer teilweise sogar mehr als Gesellen anderer Handwerksbranchen“, sagt der Innungsmeister. Er hat rechtzeitig die Nachfolge geregelt und seinen Betrieb, die Schlachterei Fülscher in Seestermühe, bereits vor drei Jahren an seine Söhne Marc und Sven übergeben hat.
Doch zu dem Zeitpunkt kam der Umschwung in der Gehaltsstruktur für viele Kollegen zu spät. Sie sind ausgebrannt nach jahrzehntelanger Arbeit an fast 365 Tagen pro Woche. „Auch das Bürokratiemonster hat manchen Fleischermeister geschafft“, klagt der Chef der Innung. Plastikgesetz, Kennzeichnungspflicht, Datenschutz, Etikettengesetz und so weiter – Jan-Peter Fülscher kennt sie alle.
Innung hilft, um das Bürokratiemonster zu bekämpfen
Wer sich der Fleischer-Innung angeschlossen hat, bekommt von dort aus Unterstützung, um die Flut der Vorschriften zu bewältigen. Aber Aufwand und Zeit kostet auch das Eintragen in vorbereitete Listen und Bücher, um Auflagen zu erfüllen. Jan-Peter Fülscher sagt: „Wir regeln uns in Deutschland irgendwann kaputt.“
Seit ein paar Jahren verhindert auch der allgemeine Fachkräftemangel einen breiten Neuanfang. „Patenrezepte dagegen haben wir nicht“, gibt Jan-Peter Fülscher zu. Doch geholfen werde jedem Mitglied der Innung, das Rat sucht. Der Fleischermeister aus Seestermühe nimmt sich Zeit für jeden, der anruft und über seine Probleme sprechen will.
Kaum noch Lehrlinge fürs Fleischer-Handwerk zu finden
Ein weiteres Problem der Branche: Nachwuchs ist nur sehr schwierig für das Fleischerhandwerk zu begeistern. Seit rund zehn Jahren hat Innungsmeister Fülscher keinen neuen Lehrling gefunden. Wie ihm geht es auch Michael Raabe, dessen Vater Peter ebenfalls jahrzehntelang tatkräftig die Innung geführt hatte.
Die Folge des Fachkräfte- und Auszubildendenmangels: Michael Raabe beschäftigte Ende 2022 noch 20 und jetzt nur noch zehn Mitarbeiter. Aus dieser Personalnotlage heraus musste Raabe die Filiale in Moorrege schließen.
Flüchtling ist einer der letzten Auszubildenden bei Raabe in Pinneberg
Am Hauptstandort in Pinneberg scheiterte Raabe mit einem geplanten Ausbau an den Vorschriften. Doch das Kerngeschäft läuft weiterhin auf Hochtouren, da die Stammkunden die Qualität des Raabe-Fleisches lieben. In diesen Wochen gehen die Bestellungen für Weihnachten ein. Raabe macht viel möglich, bis hin zum vorgekochten Weihnachtsbraten.
Während Wolfgang Kilb in Uetersen und Thomas Dörling in Tornesch aus Alters- und Gesundheitsgründen einen Schlussstrich ziehen, bleibt Michael Raabe in Pinneberg noch Zeit, um einen Nachfolger zu finden. Auch Innungs-Obermeister Fülscher wird nicht müde, für seinen Berufsstand zu trommeln: „Der Beruf des Fleischers ist sehr interessant und anspruchsvoll und bietet viele Möglichkeiten der Weiterbildung.“
Obwohl jährlich etwa fünf Prozent der Fleischerei-Fachbetriebe aufgeben, äußert sich Dr. Joachim Drescher, Geschäftsführer im Fleischerverband Nord, optimistisch: „Unser Handwerk musste sich in seiner mehr als 1000-jährigen Geschichte mehrfach neu erfinden.“ Das sei auch zu schaffen, wenn die große Generation der Babyboomer von jungen, kreativen Köpfen abgelöst werde.
Aktuell, das bestätigen Umfragen, sind es vor allem wachsende bürokratische Auflagen, die kleine und mittelständische Betriebe bremsen. „Das kostet Zeit und Personal“, sagt Drescher. Wie Bezirks-Obermeister Fülscher fordert der Fleischerverband faire Wettbewerbsbedingungen. „Das fängt bei den Schlachtgebühren an und hört bei den Energiekosten auf.“
Fleischerei Fülscher öffnet zwei eigene Fachgeschäfte
Und was ist nun zu tun? Weil viele Kollegen aufgeben, hat die Fleischerei Fülscher ihre eigene Vermarktung ausgeweitet. Neben der langjährigen Möglichkeit, am Hauptstandort in Seestermühe vorbestellte Ware abzuholen, betreibt die Familie ein Ladengeschäft in Hemdingen sowie einen kompletten Supermarkt mit großer Fleischtheke und 24-Stunden-Service in Sparrieshoop.
Jan-Peter Fülscher weist auf die Folgen eines ungebremsten Sterbens der Branche hin. Wenn es keine Fleischerfachgeschäfte mehr gebe, müssten auch Landwirte in der Region aufgeben. „Fleischer und Landwirte sind wirtschaftlich wichtig für die Region“, sagt der Innungsmeister.
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Fleischer unterstützen die regionalen Sport- und Kulturveranstaltungen
Jan-Peter Fülscher: „Fleischer unterstützen die regionalen Sport- und Kulturveranstaltungen. Partyservice und Catering kommen vom Fleischer. Bei Fleisch- und Wurstgenuss denkt man an die handwerkliche Fleischerei. Ohne Fleischer gibt es in ganz Deutschland nur noch wenige Wurstfabriken, das führt zu einem eingeschränkten Angebot, zu Einheitswurst. Die Esskultur leidet.“