Bönningstedt. Verfahren gegen Erzieher eingestellt. Wurden bei der Aufarbeitung der Vorfälle mit fünf kleinen Mädchen grobe Fehler begangen?
Die Vorfälle in der Bönningstedter Kita sind jetzt schon mehr als zwei Jahre her. Fünf kleine Mädchen beschrieben ihren Eltern haarsträubende Dinge, die auf mehrfachen sexuellen Missbrauch hindeuteten.
Das Strafverfahren gegen den Erzieher, der sofort entlassen wurde, ist allerdings vor einem Jahr eingestellt worden. Aber die betroffenen Eltern sind immer noch sehr aufgewühlt, kommen einfach nicht zur Ruhe.
Eltern unzufrieden: Verfahren wenig kindgerecht abgelaufen
Sie sind unzufrieden, wie das Verfahren abgelaufen ist, wie ihre damals drei bis fünf Jahre alten Kinder von Polizei und Justiz befragt wurden. Das haben sie in einem langen Brief an die Staatsanwaltschaft in Itzehoe nun auch bitter enttäuscht zum Ausdruck gebracht.
„Unsere Kinder wurden in dieser Situation alleingelassen.“ Die Vernehmungen hätten sich als „untauglich“ erwiesen. Sie seien weiterhin „davon überzeugt, dass es zu Missbrauchshandlungen gekommen ist“.
Im Sommer 2021 tauchten Missbrauchsvorwürfe in der Kita auf
Es fing alles plötzlich im Sommer vor zwei Jahren an. Sie erinnere sich noch, wie sie ihre damals drei Jahre alte Tochter von der Kita abholte, berichtet eine betroffene Mutter, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Der neue und noch sehr junge Erzieher E. spielte mit ihr, warf sie hoch in die Luft und fing sie wieder auf.
Dazu rief er: „Pass bloß auf, sonst nehme ich dich mit nach Hause.“ Sie sei darüber höchst „irritiert“ gewesen, sagt die Mutter. „Sowas machen eigentlich nur Eltern und enge Verwandte.“ Ihr sei das zu anzüglich gewesen. Zumal sich der Erzieher noch erkundigt habe, warum ihre Tochter dieses Kleid so oft trage.
Erzieher habe sich auch im Beisein einer Mutter übergriffig verhalten
Dieses übergriffige, für sie „grenzüberschreitende Verhalten“ blieb zunächst unbeanstandet. Die Tochter sei zu Hause aber immer aggressiver geworden, war oft kaum noch zu bändigen, erzählt die Mutter und bricht fast in Tränen aus.
Dann sei der Erzieher im August plötzlich freigestellt worden wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs, hieß es von der Kita-Leitung. Dass es sich um fünf kleine Mädchen aus der Kita handelte, erfuhr sie nicht, sagt die Mutter. Das entdeckte sie überraschend erst Monate später bei der Anhörung vor Gericht. Die Kinder waren in verschiedenen Gruppen, unterschiedlich alt und nur zwei miteinander befreundet.
Ein Mädchen berichtet, dass sie von E. an intimen Stellen gestreichelt worden sei
Sie und die anderen Eltern ließen sich vom Wendepunkt in Elmshorn und der Hamburger Einrichtung Dunkelziffer beraten. Als sie mit ihrer Tochter daraufhin das empfohlene Buch „Mein Körper gehört mir“ durchlas, war sie „perplex“, was diese ihr da offenbarte. Sie erzählte, dass sie schon mal von E. im Intimbereich gestreichelt worden sei. Und sie erzählte andere, noch schlimmere Dinge.
Aber das alles sei ein Geheimnis, über das sie nicht sprechen dürfe, habe die Kleine geflüstert. „Da wusste ich, auch meine Tochter ist betroffen“, sagt die Mutter.
Kinder sprachen von seltsamen Dingen mit erotischem Hintergrund
Alles nur reine Kinderfantasie? Auch die vier anderen Mädchen berichteten ihren Eltern Dinge mit erotischem Hintergrund. Unter anderem habe der beschuldigte Erzieher auf der Kindertoilette uriniert und dabei sein Geschlechtsteil offen gezeigt.
Später sollte kein Kind mehr diese und weitere Aussagen vor Gericht bestätigen. Weshalb das Verfahren gegen den Erzieher eingestellt wurde. Das lag aber aus Sicht der Eltern vor allem daran, dass ihre Kinder erst drei Monate nach den geschilderten Vorfällen von einer Richterin dazu befragt wurden – ohne dass die Eltern dabei sein durften.
Auch in der Kita seien diese Vorfälle nicht umfassend und ohne das genaue Ausmaß beschrieben worden, berichtet eine Mutter. Zudem seien die Kinder im Glauben gelassen worden, dass der freigestellte Erzieher irgendwann wiederkomme, weil er krank oder im Urlaub sei.
Kita betont, dass sie alles korrekt aufgearbeitet und Lehren gezogen habe
Die Kita widerspricht. Über ihren Rechtsbeistand Matthias Lüke teilt sie dem Abendblatt mit: „Unser Mandant hatte nach Bekanntwerden der Verdachtsmomente unverzüglich alles Erforderliche veranlasst, die ihm anvertrauten Kinder vor etwaigen Übergriffen zu schützen. Der betreffende Mitarbeiter wurde entlassen. Mit den Familien der Kinder wurde von Anbeginn offen und transparent kommuniziert.“
Und es seien daraus „selbstverständlich Lehren gezogen und Maßnahmen ergriffen“, betont der Kita-Anwalt. „Unter anderem wurde nach einer ausgiebigen Risikoanalyse das Schutzkonzept vollständig überarbeitet. All das geschah jeweils in Absprache mit den Eltern.“ Diese seien schriftlich und auf Elternabenden über das Vorgehen informiert worden. Die Kita habe sich dabei von der Beratungsstelle Wendepunkt beraten und begleiten lassen.
Wendepunkt verweist darauf, dass Eltern die Kinder nicht beeinflussen dürfen
Deren Sprecherin Michaela Berbner weist darauf hin, dass betroffene Eltern, wenn sie solche seltsamen Dinge hörten, ihre Kinder unterstützen, aber möglichst nicht weiter darüber reden sollten, um sie nicht zu beeinflussen. Das würde deren Aussagen in einem eventuellen späteren Gerichtsverfahren nicht mehr glaubwürdig erscheinen lassen.
Doch das halten die betroffenen Eltern inzwischen für die völlig falsche Strategie. Sie hätten ihre Kinder auf Geheiß der Ermittlungsbehörden drei Monate lang mit dem Problem allein lassen müssen, klagen sie. Und der Richterin sei es nicht gelungen, in den mit Videokameras aufgezeichneten Verhören im Gerichtsgebäude, abgeschottet von den Müttern und Vätern, das Vertrauen der fünf kleinen Mädchen zu gewinnen. Sie hielten ihr Geheimnis von den seltsamen und wohl verbotenen Spielen mit dem von ihnen sehr geschätzten und beliebten Erzieher so lieber für sich.
Eltern sagen, es hätten Kinderpsychologen eingeschaltet werden müssen
Dies sei der falsche, „untaugliche“ Weg der Aufklärung eines solchen Falles, finden die Eltern. Bei aller Unschuldsvermutung, auf die der Erzieher natürlich ein Recht habe, müssten doch Kinderpsychologen eingeschaltet, die Befragung der Kinder in kinderfreundlicher, ungezwungener Atmosphäre ablaufen, fordern sie ein Umdenken der hiesigen Justizbehörden. Andere Kommunen machten dies vor, indem sie wie in Hamburg oder Flensburg sogenannte „Childhood-Haus“-Ambulanzen dafür eingerichtet haben.
Dort würden Kinder, die Missbrauch oder Gewalt erfahren haben oder dies bezeugen könnten, von geschultem Personal in kindgerechter Umgebung befragt. „Unser multiprofessionelles Team besteht aus Rechtsmediziner:innen, Kinderärzt:innen, Sozialpädagog:innen und Psycholog:innen“, heißt es dazu auf der Homepage einer solchen Einrichtung am UKE. „Darüber hinaus besteht eine enge Vernetzung mit den Jugendämtern, der Polizei und der Justiz.“
Staatsanwaltschaft Itzehoe verfügt über keine „Childhood-Haus“-Einrichtung
Ein solches „Childhood-Haus“-Konzept stehe der Staatsanwaltschaft Itzehoe nicht zur Verfügung, sagt Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow. Dabei handele es sich auch bei den Vernehmungen „um Zimmer mit Tisch, Kameras und keinem Spielzeug“, betont er. „Solches soll bei Vernehmungen nicht verwendet werden, um die Kinder nicht abzulenken. Lediglich die Dekoration mag etwas ansprechender sein und die Kameras besser ‚versteckt‘.“
Das Strafverfahren gegen den beschuldigten Erzieher „ist mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden, weil keines der Kinder im Rahmen der richterlichen Vernehmung sexuelle Handlungen durch den Beschuldigten geschildert hat“, erklärt Müller-Rakow.
Dass dieser sich zu den Vorwürfen nicht eingelassen hat, dürfe ihm nicht zum Nachteil ausgelegt werden. Allen Kindern sei ein Beistand bestellt worden, der einen Einstellungsbescheid mit Rechtsmittelbelehrung erhalten habe. „Es wurde keine Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt“, betont er.
Oberstaatsanwalt: Die richterliche Befragung musste erst terminiert werden
Zur Frage, warum die Kinder erst drei Monate nach den aufgedeckten Vorfällen vernommen wurden, sagt Müller-Rakow: „Weil sie zur besseren Beweissicherung sofort durch die Ermittlungsrichterin und nicht zuerst durch die Polizei vernommen werden sollten.“
Entsprechende Vernehmungen bei Gericht bedürften jedoch einer Terminierung und einer Absprache der Termine sowohl mit den Beiständen als auch mit den Zeugen, gesetzlichen Vertretern und dem Verteidiger.
Sexuelle Missbrauchsfälle an Kindern verjähren heute erst nach 30 Jahren
Es sei richtig, dass die Verjährung bei Tatvorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres der Opfer ruhe, erklärt Müller-Rakow weiter. „Die Kinder könnten daher, wenn sie erwachsen sind, erneut Strafanzeigen erstatten. Dies würde jedoch an der Beweislage nichts ändern.“
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Für den beschuldigten Erzieher würde es wegen des eingestellten Verfahrens keine weiteren Konsequenzen geben, erklärt der Oberstaatsanwalt. „Das Ermittlungsverfahren taucht in keinem offiziell einsehbaren Register auf, da es mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden ist.“