Helgoland/Bremen. In der Nordsee sind Dienstag zwei Frachter kollidiert. Vier Seeleute könnten im gesunkenen Schiff eingeschlossen sein.
Nach dem Zusammenstoß zweier Frachtschiffe am Dienstagmorgen in der Nordsee vor Helgoland ist ein Mensch ums Leben gekommen. Vier Seeleute werden noch vermisst. Aktuell kommen Taucher zum Einsatz, um nach den Vermissten zu suchen.
Auf der Suche nach vier vermissten Seeleuten nach dem Zusammenstoß zweier Frachter in der Nordsee sollen Taucher das gesunkene Schiff untersuchen. Trotz intensiver Suche zu Wasser und zu Luft seien die Vermissten bisher nicht gefunden worden, sagte Robby Renner, Leiter des Havariekommandos des Bundes und der Küstenländer am Dienstag vor Journalisten in Cuxhaven. „Deswegen müssen wir in Betracht ziehen, dass sie noch im Schiff sind.“
Helgoland: Taucher sollen nach Vermissten suchen
Es gebe die Chance „und ich betone, es ist nur eine Chance, dass sie im Schiffskörper eingeschlossen sind“, sagte Renner. Gegen 15 Uhr sollten die Taucher zu dem in etwa 30 Metern Tiefe liegenden Frachter „Verity“ hinabtauchen „und schauen, ob es irgendwelche Lebenszeichen gibt“.
Die Bedingungen seien aber äußerst schwierig. „Wir lassen nichts unversucht, um eventuell noch Leben zu retten“, sagte Renner. Bisher konnten zwei Seeleute gerettet werden und befinden sich bereits in einer Klinik.
Das teilte die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) mit. Der Unfall ereignete sich in der Deutschen Bucht rund 22 Kilometer südwestlich der Insel Helgoland und 31 Kilometer nordöstlich der Insel Langeoog.
Eines der Schiffe ist gesunken. Die Suche nach Schiffbrüchigen laufe, hieß es. Sieben Personen waren an Bord des gesunkenen Frachters. Das gesunkene Schiff hatte Stahl geladen und rund 1300 Kubikmeter Dieseltreibstoff an Bord.
Toter bei Havarie vor Helgoland: Seenotretter suchen nach Schiffbrüchigen
Die Seenotretter stellten sich auf eine möglicherweise lang andauernde Vermisstensuche ein. „Solange es einen Funken Hoffnung gibt, werden wir die Such- und Rettungsmaßnahmen fortführen. Im Moment ist nicht absehbar, dass sie eingestellt werden“, sagte DGzRS-Sprecher Christian Stipeldey in Bremen.
Das Havariekommando in Cuxhaven habe die Gesamteinsatzleitung übernommen. Demnach stießen das Massengutschiff „Polesie“ und das Küstenmotorschiff „Verity“ am frühen Dienstagmorgen gegen 5.00 Uhr zusammen. In der Folge ist die „Verity“ gesunken.
An der Küste war das Wetter am Dienstagmorgen diesig, die Sichtweite etwa von den Ostfriesischen Inseln auf die Nordsee gering. Laut dem Havariekommando herrschten in dem Seegebiet an der Unglücksstelle Windstärke sechs und Wellengang mit bis zu drei Metern.
„Wir haben im Seegebiet verhältnismäßig herausfordernde Wetterbedingungen“, sagte Stipeldey. Die Wassertemperatur beträgt zwölf Grad. Dennoch sei es möglich, „engmaschig“ nach den Vermissten zu suchen, sagte der Sprecher.
Zur Suche nach den Vermissten waren sechs Seenotrettungskreuzer der DGzRS, zahlreiche Behördenschiffe und auch ein Hubschrauber der Deutschen Marine im Einsatz. Die „Polesie“ sei schwimmfähig, hieß es. Sie habe 22 Menschen an Bord. Alle sind nach Angaben des Havariekommandos unverletzt.
Der Luftraum über der Unfallstelle ist gesperrt
Ein Geretteter wurde bereits in ein Krankenhaus an Land gebracht, der andere Gerettete war zunächst an Bord des Seenotrettungskreuzers der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger Hermann Marwede. Er befindet sich nun auch auf dem Weg in ein Krankenhaus.
Der Luftraum über der Unfallstelle ist in einem Radius von zehn Seemeilen gesperrt, um die Suchoperation nicht zu behindern. Das Havariekommando ließ das Seegebiet von einem Sensorflugzeug überfliegen, um nähere Erkenntnisse zu bekommen.
Havariekommando wird bei Suche nach Vermissten von Kreuzfahrtschiff unterstützt
Auch das Kreuzfahrtschiff „Iona“, das im Seegebiet unterwegs ist, unterstützt die Suche. Es sei gebeten worden, am Ort zu bleiben, da es „medizinische Fähigkeiten“ an Bord gebe, sagte Stipeldey. Weiteres medizinisches Personal sollte per Helikopter zur Unfallstelle geflogen werden.
„Der Vorfall dauert an, und die Zusammenarbeit der ‚Iona‘ steht im Einklang mit dem internationalen Seerecht sowie mit den moralischen und rechtlichen Verpflichtungen des Unternehmens“, teilte die Reederei P&O Cruises der Deutschen Presse-Agentur mit. Der Zwischenfall werde vermutlich keine Auswirkungen auf den für Mittwoch geplanten Anlauf nach Rotterdam oder die weitere Reise haben.
Schiff „Polesie“ kam aus Hamburg
Zu weiteren Details machte das Unternehmen keine Angaben. Die britische Zeitung „Sun“ zitierte einen 24-jährigen Mann an Bord der „Iona“ mit den Worten, das Schiff habe am Vorabend Hamburg verlassen und sei etwa 200 Meter von der Unfallstelle entfernt gewesen. Die Passagiere seien morgens um 6.00 Uhr von der Mitteilung geweckt worden, dass sich die Crew an einem Sucheinsatz beteilige. Auch Helikopter und weitere Schiffe seien in der Gegend aktiv.
Bilder, die von der „Iona“ aufgenommen wurden, zeigten den dramatischen Rettungseinsatz in der Nacht.
Die gesunkene „Verity“ hatte laut dem Online-Trackingdienst „Vesselfinder“ am Montagabend in Bremen abgelegt und war auf Kurs nach Immingham an der englischen Nordseeküste. Es handelt sich um einen englischen Frachter mit einer Länge von 91 und einer Breite von 14 Metern.
Das 2001 in den Niederlanden gebaute Schiff fährt unter der Flagge der Isle of Man und hat auf der britischen Insel auch seinen Heimathafen. Es gehört zu der britisch-niederländischen Reederei Faversham Ships.
Lesen Sie auch
- Fähre läuft in Ostsee auf Grund – Diesel in Meer verloren
- Klimawandel: Reedereien rüsten sich gegen Monsterwellen
- Nach Schiffbruch vor Wedel: gestrandetes Segelboot nach zwei Tagen befreit
Die „Polesie“ war von Hamburg unterwegs zum spanischen Hafen La Coruña. Der Frachter gehört zur polnischen Reederei Polsteam Group, die ihren Sitz in Stettin (Szczecin) hat. Dieses Schiff ist 190 Meter lang und 28,5 Meter breit – also deutlich größer als die „Verity“. Es wurde 2009 in China gebaut und fährt unter der Flagge der Bahamas.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat unterdessen Besatzungsmitgliedern, Angehörigen und Rettungsteams sein Mitgefühl ausgedrückt. Seine Gedanken seien bei ihnen, erklärte der FDP-Politiker am Dienstag. „Ein Schiff ist gesunken, mehrere Menschen werden vermisst.“ Das Havariekommando habe die Einsatzeinleitung übernommen. „Gemeinsam mit Seenotrettungskreuzern der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, Notschleppern, der Wasserschutzpolizei und weiteren Helfern unternehmen die Einsatzkräfte alles, um die Vermissten zu retten“, versprach er.
Helgoland: Schiffsunglück ist Thema auf Hochseeinsel
Auf Helgoland selbst ist das Schiffsunglück Thema, aber weder die Gemeindeverwaltung noch die örtlichen Rettungskräfte sind involviert – mit Ausnahme der Besatzung des Rettungskreuzers „Hermann Marwede“.
Aus der Verwaltung der Insel hieß es, dass dort noch keine aktuellen Informationen vorliegen würden. Und Wehrführer Heiko Ederleh sagte, dass aktuell keine Amtshilfe seiner Feuerwehr angefordert worden sei. Er gehe auch nicht davon aus, dass dies passieren werde.
Havarie weckt Erinnerungen an „Pallas“-Unglück
Angaben dazu, wie groß das Schadensbild an der Unglücksstelle ist, ob möglicherweise Ladung der Frachter in die Nordsee gelangte oder inwieweit das Unglück Auswirkungen auf den Schiffsverkehr in der Deutschen Bucht hatte, war zunächst nicht bekannt. Das Havariekommando wollte am Dienstagnachmittag weitere Informationen mitteilen.
Die Frachterkollision weckte Erinnerungen an eines der größten Schiffsunglücke in der deutschen Geschichte – fast auf den Tag genau vor 25 Jahren. Am 25. Oktober 1998 war der italienische Frachter „Pallas“ auf der Nordsee unterwegs, als die Holzladung vor der dänischen Nordseeküste in Brand geriet. Das Schiff trieb führerlos in deutsche Gewässer und strandete vor der Insel Amrum. Es kam zu einer großen Ölverschmutzung, in deren Folge viele Vögel starben.