Kreis Pinneberg. Etwa 800 Seehunde leben im und am großen Fluss. Wird ein Tier tot, verletzt oder krank entdeckt, wird Henning Jürgens alarmiert.
Wenn Henning Jürgens über seine Aufgabe erzählt, spricht er oft vom Seehundbetreuer. Denn mit dem alten Begriff Seehundjäger verknüpfen zu viele Menschen das Bild einer aktiven Jagd. Die ist aber schon seit 1974 nicht mehr möglich. Seitdem gilt ganzjährig Schonzeit für die Tiere mit den großen Kulleraugen, egal, ob an der Elbe, wo Jürgens und sein Kollege Hauke Grothusen auch für den Aschnitt Kreis Pinneberg zuständig sind, oder an der Nordsee.
Vom Hauptberuf ist Jürgens Kohlbauer im Kronprinzenkoog, ein anstrengender und zeitaufwendiger Job. Und doch fragte ihn vor vielen Jahren Delf Wille von der Seehundstation Friedrichskoog: „Du wohnst hier, du kennst dich als Jäger mit Tieren aus, bist ein besonnener Mensch, und du hast die Zeit dafür.“
Seehundjäger Jürgens beweist schon als 16-Jähriger waidmännisches Handeln
Und tatsächlich kann der Landwirt seine Arbeit stehen und liegen lassen. „Dann muss ich halt später nacharbeiten. Aber wenn ein Tier in Not ist, sollte es nicht unnötig leiden“, sagt Jürgens. Der gebürtige Dithmarscher hatte schon mit 16 Jahren gezeigt und gelernt, als Jäger waidmännisch zu handeln.
Doch die Aufgabe, sich um verletzte, kranke und tote Seehunde sowie Kegelrobben und auch Schweinswale zu kümmern, hat ihre Herausforderungen. „Wir müssen gerade mit denen, die uns die Funde melden, sehr sorgsam umgehen. Wir benötigen manchmal auch tatkräftige Hilfe“, erzählt Henning Jürgens. Rechtsfragen und tiermedizinische Kenntnisse können theoretisch geschult werden, aber eine akute Krisensituation zu bewältigen, wird am besten in der Praxis geschult.
Erfahrener Seehundbetreuer leitet jungen Nachwuchs an
Mehrere Jahre begleitete Jürgens den erfahrenen Seehundbetreuer Delf Wille. Mittlerweile ist der Kohlbauer selbst ein erfahrener Mann, der die Aufgabe Stück für Stück an Tochter Lea (27) abgibt. Den landwirtschaftlichen Hof mit dem Anbau von Biokohl hat sie bereits übernommen.
Beiden zur Seite steht als Dritter im Bunde noch Jürgens‘ Schulfreund Hauke Grothusen. So manches Mal ist gemeinsames Anpacken auch notwendig, denn die Tiere können ganz schön schwer werden. „Zumal wenn du sie den gut zwei Kilometer langen Trischendamm entlangtragen musst“, erzählt Hennig Jürgens. Selbst eine Schubkarre kann nicht überall eingesetzt werden.
Manchmal müssen freiwillige Helfer kräftig mit anpacken
Also müssen Schaulustige und Finder so manches Mal in die Aktion eingebunden werden. Jüngstes Beispiel: Die Feuerwehr hatte in Itzehoe eine tote Robbe an der Stör gefunden und an den Seehundjäger gemeldet. Doch als Jürgens dort ankam, entdeckte er das Tier hinter einem hohen Zaun, das Tor verschlossen.
Da blieb dem Ehrenamtlichen nichts anderes übrig, als über den Zaun zu klettern. Er verpackte das, wie sich später herausstellte, mehr als 100 Kilogramm schwere Tier in Plastikfolien. Anschließend gelang es Henning Jürgens, zwei junge Leute zu motivieren, ihm zu helfen. Auf den mehrfachen Ruf „Oh, Himmel, das stinkt!“ reagierte der erfahrene Seehundbetreuer ruhig und bestimmt: „Stellt euch nicht so an. Ihr schafft das.“
Dem vermeintlich angeschlagenen Tier keinen Stress bereiten
„Du musst immer klarmachen, dass du der Experte und Bestimmer am Fundort bist“, hatte ihm schon sein Lehrmeister Delf Wille beigebracht. Und so kommt Henning Jürgens jetzt auch beständig gut zurecht. Es sei manches Mal unglaublich, wie Finder reagieren, zum Beispiel ihre Kinder auf die verletzten Tiere setzen, um Fotos zu machen. „Das bereitet dem Tier Stress und ist letztlich auch gefährlich. Das sind Raubtiere, und kranke Tiere können auch Krankheiten übertragen“, erklärt der Seehundjäger.
Henning Jürgens bittet zudem darum, in jedem Fall Ruhe zu bewahren, vor allem eigene Hunde zurückzuhalten. Gerade allein gelassene Jungtiere, oft als Heuler bezeichnet, bräuchten manchmal nur etwas Ruhe, um wieder Kraft zu tanken. „Beobachten Sie bitte das Tier, und wenn es sich wirklich auffällig krank verhält, rufen Sie Unterstützung.“
In Elmshorn beschäftigt eine Robbe wochenlang die Bürger
Diese Geduld mussten vor zwei Jahren auch zahlreiche Menschen in Elmshorn aufbringen. Dort hatte sich ein junger Seehund über die Krückau bis tief in die Gewässer des Stadtparks vorgewagt. „Er war aber gesund, fand offenkundig genügend Fische als Nahrung. Es hätte viel Aufregung und Aufwand bedeutet, das Tier einzufangen.“
Erst als das Tier nach mehreren Wochen über einen Seitenkanal in ein Abflussrohr vom Spielplatz gekrochen war, hielten die Seehundjäger den Zeitpunkt für günstig, den abenteuerfreudigen Kerl einzufangen und ihn schnell in die Nordsee zu befördern. Für Interviews war dann keine Zeit, denn das Tierwohl ging vor.
Gut 50 Seehundjäger teilen sich die Aufgabe in Schleswig-Holstein
50 Euro erhält der Seehundjäger als Aufwandsentschädigung für eine Rettungsaktion. Aus Geldgründen macht das niemand. „Mir macht die Arbeit Spaß. Ich habe es nie bereut. Es ist eine gute Gelegenheit, uns als Jäger zu profilieren und gleichzeitig Tieren zu helfen, auch wenn wir sie manchmal durch einen Schuss von ihrem Leiden erlösen müssen“, erzählt der 60-Jährige.
Die Zahl der Einsätze an der Elbe zwischen Friedrichskoog und Wedel hält sich in Grenzen. Etwa 25-mal pro Jahr muss er los, schätzt Jürgens. Die Arbeit an den Küsten und Flussufern in Schleswig-Holstein hat der zuständige Landesbetrieb auf gut 50 Schultern verteilt.
Regelmäßige Schulungen auch zu Krankheiten der Tiere
Die Seehundjäger werden von Tierärzten, Wissenschaftlern und anderen Fachleuten der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der Seehundstation Friedrichskoog, der Nationalparkverwaltung und des Umweltministeriums regelmäßig geschult. „Das ist auch gut so, da wir ständig auch an neuen Erkenntnissen über Krankheiten und andere Entwicklungen teilhaben“, erzählt Jürgens. Kranke und verletzte Tiere werden in der Seehundstation Friedrichskoog versorgt.
Tote Seehunde, Robben und Schweinswale kommen in die Außenstelle Büsum des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) in Büsum. Henning Jürgens hat Sezierungen miterlebt und daraus weitere Erfahrungen gesammelt. Er weiß, wie es in der Lunge des Tiers aussieht, wo das Blut aus Nase und Schnauze läuft. Dann besteht keine Hoffnung mehr.
Als die Schulklasse einen kraftlosen Heuler entdeckt
Schöner ist dann natürlich schon, wenn die Schulklasse beobachten darf, wie der Seehundbetreuer die junge, von der Mutter getrennte Robbe mit einem Schlauchnetz einfangen kann. „Das Tier hatte keine Kraft mehr, auf den rettenden Damm zu klettern“, erinnert sich Henning Jürgens. Nach der Rettung ging es schnell in die nahe Seehundstation.
Bislang wird der Seehundjäger vornehmlich über Mobilfunk alarmiert. Unter 0160 8358847 klingelt sein Smartphone im Kronprinzenkoog. Ein Problem ist jedoch häufig für die Meldenden, den genauen Fundort beschreiben zu können. Dabei hilft jetzt eine App, in der der Standort des Fundes genau eingegeben werden kann: Die Robben-App der Nationalparkverwaltung im Landesbetrieb für Küstenschutz, zu dem die Seehundjäger gehören, ist selbstverständlich kostenlos herunterzuladen.
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Auch wenn sich die Zahl der Fälle an der Unterelbe noch in Grenzen hält – Hamburg wird übrigens von Schwanenvater Olaf Nieß, Telefon 040 42804-2495 abgedeckt –, wird die Zahl der Meldungen steigen, da immer mehr Seehunde, Robben und Schweinswale die Nahrungsquellen Stint und Co. genießen. Zurzeit wird allein der Bestand an Seehunden auf etwa 800 geschätzt – Tendenz steigend.