Elmshorn. Neues Gutachten bestätigt die Anschuldigungen gegen Henrique Schneider teilweise. Ein Verband zieht deshalb nun die Konsequenzen.
Eine Zeit lang war es ruhig um ProfessorHenrique Schneider. Nachdem im März dieses Jahres Plagiatsvorwürfe gegen den Hochschullehrer der Elmshorner Nordakademie bekannt geworden waren, tat sich zunächst recht wenig. Doch nun gibt es eine neue Entwicklung.
Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), der Schneider Anfang Februar 2023 zum neuen Direktor gewählt hatte, hat diese Wahl nun widerrufen. Anlass dafür ist ein Rechtsgutachten, dass der Verband selbst in Auftrag gegeben hatte. Dieses hat die erhobenen Plagiatsvorwürfe nun bestätigt.
Elmshorn: Plagiatsvorwürfe kosten Nordakademie-Professor neuen Job
Im März hatte auch das Hamburger Abendblatt über den Fall berichtet. Denn seit 2018 lehrt Henrique Schneider an der Elmshorner Nordakademie. Er wurde von Bildungsministerin Karin Prien an die private Hochschule berufen und zum Professor für Volkswirtschaftslehre ernannt.
Die Nordakademie teilte damals mit, man sei von den Vorwürfen „genauso überrascht wie die Öffentlichkeit. Reputationsvorwürfe gegen Mitarbeitende oder Dozierende nehmen wir grundsätzlich sehr ernst, da diese unmittelbar mit dem Ruf der Hochschule verknüpft sind.“ Nachweisliches Fehlverhalten werde von der Nordakademie nicht geduldet.
Gutachter entdecken zahlreiche Plagiate in Schneiders Dissertation
Die der Nordakademie vorliegenden Dokumente besagten, dass Schneider sowohl einen Hochschulabschluss als auch erfolgreich promoviert habe. Tatsächlich findet sich Schneiders Dissertation unter anderem im Archiv der österreichischen Bibliothekenverbund und Service GmbH.
Allerdings beziehen sich einige der Plagiatsvorwürfe auf genau diese Arbeit, die Schneider 2015 unter dem Titel „Indifferenz, Gegnerschaft, Identität: Veränderung im politischen Verhältnis von Dorf und Staat im Kosovo“ an der Universität in Graz einreichte. 15 Plagiatsfragmente entdeckten die Plagiatsjäger allein in dieser Arbeit.
Elmshorner Nordakademie: Schneider in keine Vorlesungspflichten eingebunden
„Selbstverständlich werden wir uns auch mit den weiteren Vorwürfen befassen und zu einer umfassenden Aufklärung, wo es uns möglich ist, beitragen“, teilte die Elmshorner Privathochschule im März mit. Schneider sei zu diesem Zeitpunkt in keine Vorlesungspflichten eingebunden gewesen.
Hinsichtlich der Plagiierung seien bereits mehrere Prozesse angestoßen worden, hieß es von der Nordakademie mit Verweis auf das vom SGV in Auftrag gegebene Rechtsgutachten. „Unser weiteres Handeln werden wir von den Ergebnissen abhängig machen.“
Neues Gutachten bestätigt Plagiatsvorwürfe gegen Henrique Schneider
Diese neuen Ergebnisse liegen nun vor. Das Rechtsgutachten bestätigt laut Mittelung des SGV ein „serienmäßiges Plagiieren“. In der Folge hat der Vorstand des SGV die Wahl Schneiders widerrufen. SGV-Präsident Fabio Regazzi sagt: „Für den SGV ist die Glaubwürdigkeit das höchste Gut. Daher hat sich der Vorstand nach eingehender Diskussion für diesen Schritt entschieden.“
Henrique Schneider bleibe aber bis auf Weiteres stellvertretender Direktor des SGV, teil der Verband mit. „Der Vorstand wird nun über das weitere Vorgehen beraten und die Nachfolgesuche für den per 1. Juli 2023 altershalber zurücktretenden Direktor Hand-Ulrich Bigler in Angriff nehmen“, heißt es vom SGV.
Plagiatsjäger warfen Schneider auch Titelmissbrauch vor
Zunächst hatte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) im März exklusiv über die Plagiatsvorwürfe berichtet. Die NZZ bezog sich auf ein Gutachten des als „Plagiatsjäger“ bekannten Gutachters Dr. Stefan Weber. Er und sein Team hatten eine Vielzahl an Plagiaten in zufällig ausgewählten Veröffentlichungen Schneiders entdeckt.
Ein weiterer Vorwurf gegen Henrique Schneider: Titelmissbrauch. Dieser sei in den Autorenangaben diverser Veröffentlichungen zweifach festgestellt worden. In einigen Presseartikeln wurde zudem von einer Schönung des Lebenslaufes berichtet. Diese Vorwürfe bestätigt das Rechtsgutachten der Kanzlei Bratschi allerdings nicht.
Elmshorn: Plagiatsvorwürfe „wenig gravierend“ aber sehr umfangreich
„Die aufgeführten Angaben sind schlüssig und nachvollziehbar. Eigentliche Falschangaben konnten keine eruiert werden. Auch von einer eigentlichen Schönung des Lebenslaufes kann nicht die Rede sein“, so die Einschätzung von Isabelle Herner, die das Gutachten für die Kanzlei Bratschi erstellte.
Bleiben die Plagiatsvorwürfe. Und die sind, wenn auch „wenig gravierend“, wie Herner schreibt, so doch sehr umfangreich. 65 Textplagiate in zehn Werken listeten Stefan Weber und sein Team in ihrem Gutachten aus dem März 2023 auf. Das Gutachten liegt dem Abendblatt vor.
Gutachter sprechen von „absatzlangen Plagiatsfragmenten“
In den untersuchten Publikationen, teils wissenschaftlich, teils journalistisch, seien zum Teil „absatzlange Plagiatsfragmente“ gefunden worden, hieß es in Webers Gutachten. Die Originaltexte stammten demnach von 23 unterschiedlichen Autorinnen und Autoren.
Besonders pikant: Einige Plagiate stammen aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia, aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy und von anderen Websites. „In der Summe ergibt sich der begründete Verdacht schwerwiegenden wissenschaftlichen Fehlverhaltens über mindestens zehn Jahre hinweg“, heißt es in Webers Gutachten.
Plagiatsjäger erhob schon Vorwürfe gegen Baerbock und Lammert
Die Vorwürfe wiegen schwer. Zum einen aufgrund des Umfangs der Plagiate. Zum anderen, weil Stefan Weber als einer der renommiertesten Plagiatsjäger im deutschsprachigen Raum gilt. Neben zahlreichen österreichischen gerieten auch deutsche Politikerinnen und Politiker in sein Visier.
Unter anderem erhob Weber Vorwürfe gegen Norbert Lammert (CDU), Diana Kinnert (CDU) und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Kinnert gab zu, Passagen ihrer Bücher abgeschrieben zu haben. Baerbock kündigte zunächst an, Fußnoten zu ergänzen, zog ihr Buch aber schließlich aus dem Handel zurück.
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Elmshorn: Nordakademie-Professor weist Plagiatsvorwürfe zurück
Zuletzt hatte Weber in Zusammenarbeit mit dem luxemburgischen Plagiatsexperten Jochen Zenthöfer die Doktorarbeit des ehemaligen Klimaschutz-Staatssekretärs Patrick Graichen untersucht und „dutzende Plagiatsstellen gefunden“, wie Weber auf seinem Blog für wissenschaftliche Redlichkeit schreibt.
Henrique Schneider hatte alle Vorwürfe auf Anfrage des Hamburger Abendblattes zurückgewiesen. Er kündigte im März an: „Ein unabhängiger Experte wird die Vorwürfe prüfen.“ Von der Nordakademie hieß es am Dienstag, man wolle die neuen Erkenntnisse des vom SGV in Auftrag gegebenen Gutachtens „in angemessener Weise prüfen und bewerten.“ Allerdings liege der Hochschule das Gutachten noch nicht vor.