Elmshorn. Seit 2018 lehrt Henrique Schneider in Elmshorn. Was ihm vorgeworfen wird und was er zu den Anschuldigungen sagt.
- Gegen Henrique Schneider, Professor an der Elmshorner Nordakademie, werden schwere Plagiatsvorwürfe erhoben.
- Schneider äußert sich auf Abendblatt-Nachfrage zu den Vorwürfen.
- Gutachter spricht von „Verdacht des schwerwiegenden wissenschaftlichen Fehlverhaltens über mindestens zehn Jahre.“
Gegen einen Dozenten der Elmshorner Nordakademie werden schwerwiegende Vorwürfe erhoben. Henrique Schneider wurde 2018 von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) zum Professor für Volkswirtschaftslehre ernannt. Jetzt stehen Plagiatsvorwürfe und eine Schönung des Lebenslaufes mit Professuren im Raum.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) hatte unter Berufung auf einen Gutachter über die Vorwürfe berichtet und von „irreführenden Angaben“ geschrieben. Hintergrund war die Wahl von Schneider zum Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes.
Plagiatsvorwürfe: Professor der Elmshorner Nordakademie massiv unter Druck
An der Nordakademie sei man von den Vorwürfen überrascht worden, so die Hochschule in einer Mitteilung. „Reputationsvorwürfe gegen Mitarbeitende oder Dozierende nehmen wir grundsätzlich ernst, da diese unmittelbar mit dem Ruf der Hochschule verknüpft sind“, heißt es dort. Nachweisliches Fehlverhalten werde nicht geduldet.
Die Dokumente, die der Nordakademie vorlägen, sagten aus, dass Schneider einen Hochschulabschluss in Kultur- und Sozialwissenschaften erlangt und in Österreich erfolgreich promoviert habe. Die entsprechenden Hochschulen hätten die Abschlüsse auf aktuelle Nachfrage hin bestätigt.
Nordakademie Elmshorn will sich mit Vorwürfen befassen
Auch im Laufe des Berufungsverfahrens von Schneider an der Nordakademie im Jahr 2018 habe es für die damalige Hochschulleitung keinen Anlass gegeben, die Echtheit der vorgelegten Dokumente und die Aussagen im Lebenslauf anzuzweifeln.
„Selbstverständlich werden wir uns auch mit den weiteren Vorwürfen befassen und zu einer umfassenden Aufklärung, wo es uns möglich ist, beitragen“, teilt die Hochschulleitung mit. Zurzeit sei Schneider in keine Vorlesungspflichten eingebunden.
Elmshorn: Das sagt Schneider zu den Plagiatsvorwürfen
Henrique Schneider teilt auf Abendblatt-Nachfrage mit, er weise die Plagiatsvorwürfe „selbstverständlich“ ab. „Ein unabhängiger Experte wird die Vorwürfe prüfen“, so Schneider. Auch der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) hat mittlerweile reagiert und ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, um die Vorwürfe gegen Henrique Schneider zu untersuchen.
Auf diese Untersuchung verweist auch die Elmshorner Nordakademie. „Hinsichtlich der Plagiierung sind bereits mehrere Prozesse angestoßen worden“, teilt die Hochschule mit. „Unser weiteres Handeln werden wir von den Ergebnissen abhängig machen.“
Henrique Schneider darf sich seit 2018 Professor nennen
Laut Bildungsministerium Schleswig-Holstein ist die Vergabe einer Professur durch die Ministerin, wie 2018 im Fall von Henrique Schneider geschehen, das normale Prozedere. Dies geschehe etwa 15 bis 20 Mal pro Jahr bei den privaten Hochschulen im Land, so David Ermes, Sprecher des Bildungsministeriums.
Anders als bei Professuren an staatlichen Hochschulen, sei Schneider kein Angestellter des Landes, so Ermes. Es bestehe nur ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Schneider und der Nordakademie. Das Bildungsministerium fungiere nur als Aufsicht. Die Verleihung des Rechts, die Bezeichnung Professor zu führen, erfolgte durch einen Antrag der Fachhochschule und nach Prüfung der von der Nordakademie eingereichten Unterlagen.
Elmshorner Nordakademie soll die erhobenen Vorwürfe prüfen
Für die Dauer seiner Beschäftigung an der Nordakademie, sei es Schneider gestattet, den Titel Professor zu führen. Grundlage für die Verleihung der Bezeichnung sei eine Doktorurkunde der Universität Graz gewesen sowie Schneiders berufliche Tätigkeiten. Diese sind laut Hochschulgesetz ebenfalls eine Voraussetzung für eine Professur.
Das Bildungsministerium habe die Nordakademie aufgefordert, die aufgeworfenen Vorwürfe zu prüfen, sofern sie das Beschäftigungsverhältnis zwischen Schneider und der privaten staatlich anerkannten Fachhochschule Nordakademie in Elmshorn betreffen.
Plagiatsjäger nahm schon Annalena Baerbock unter die Lupe
Die Plagiatsvorwürfe basieren auf einem Gutachten des österreichischen Plagiatsforschers Stefan Weber. Weber spürt als „Plagiatsjäger“ überwiegend österreichischen Politikerinnen und Politikern nach, nahm aber auch schon die Arbeit deutscher Politikerinnen und Politikern unter die Lupe.
Unter anderem erhob er Plagiatsvorwürfe gegen Norbert Lammert, Diana Kinnert (beide CDU) und Annalena Baerbock (Grüne). Die Grünen-Kanzlerkandidatin stand wegen möglicher Plagiate in ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ in der Kritik. Baerbock stimmte später zu, dass sich einige Passagen in einer „Grauzone“ befänden. Nach der Bundestagswahl zog sie das Buch aus dem Handel zurück.
CDU-Politikerin räumt Plagiatsvorwürfe ein und entschuldigt sich
Im Falle von Lammert entschied die betroffene Ruhr-Universität, kein Plagiatsverfahren einzuleiten, auch wenn für Weber eindeutiges wissenschaftliches Fehlverhalten vorlag. Die Konsequenz könne nur der Entzug des Doktorgrades sein, forderte Weber damals.
Im Falle von Diana Kinnert kamen im Mai 2022 Vorwürfe auf, dass sie in ihren 2017 und 2021 erschienen Büchern plagiiert habe. Laut Weber habe Kinnert bei Ulf Poschardt und Leander Scholz sowie aus Wikipedia abgeschrieben. Kinnert räumte die Vorwürfe ein und entschuldigte sich.
Gutachten: 65 Plagiate in zehn Veröffentlichungen von Schneider
Das aktuelle Gutachten zu Henrique Schneider, das dem Abendblatt vorliegt, trägt den Titel „Dokumentation von 65 Textplagiaten in zehn wissenschaftlichen und journalistischen Veröffentlichungen von Prof. Dr. Henrique Schneider, MA“ und listet allein 23 plagiierte Autorinnen und Autoren auf.
Für die Überprüfung des Plagiatsverdachts hat Weber zufällige Publikationen Schneiders ausgewählt. Und davon gibt es reichlich. Thematisch ist Schneider breit aufgestellt, schreibt über chinesische Philosophie, ökonomische Theorien, künstlicher Intelligenz, Außenpolitik, Blockchain-Technologie oder Corona.
Gutachter finden auch Plagiatsfragmente in Schneiders Dissertation
Die Deutsche Nationalbibliothek führt als eine der Veröffentlichungen von Henrique Schneider auch das Buch „Indifferenz, Gegnerschaft, Identität: Veränderungen im politischen Verhältnis von Dorf und Stadt im Kosovo“ auf. Eine Buchfassung der Dissertation von Schneider, eingereicht 2015 am Institut für Geschichte der Universität Graz.
Auch diese Publikation wurde von Plagiatsjäger Weber und seinem Team überprüft. Ergebnis: 15 Plagiatsfragmente fanden die Gutachter, fünf plagiierte Autorinnen und Autoren sowie zehn Plagiatsquellen, die auch nicht im Literaturverzeichnis erwähnt werden. Und das sei nur das Ergebnis für eine Arbeit.
Elmshorn: Plagiatsjäger finden auch „zweifachen Titelmissbrauch“
In den untersuchten wissenschaftlichen und journalistischen Veröffentlichungen Schneiders seien zum Teil „absatzlange Plagiatsfragmente“ gefunden worden. Insgesamt hätten die Gutachter 65 Textplagiate identifizieren können.
In den Autorenangaben „diverser Publikationen wurde zweifacher Titelmissbrauch festgestellt“, heißt es in dem Gutachten. Entgegen seiner Angaben aus den Jahren 2011 und 2015 sei Henrique Schneider weder Professor an der Universität Wien noch an der Universität Graz gewesen.
„Schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten über mindestens zehn Jahre“
Entsprechend hart fällt das Urteil der Plagiatsprüfer aus: „In der Summe ergibt sich der begründete Verdacht schwerwiegenden wissenschaftlichen Fehlverhaltens über mindestens zehn Jahr hinweg.“ Genannt werden serienmäßiges Plagiieren und unbefugtes Verwenden von Titeln beziehungsweise Berufsbezeichnungen.
„Das Plagiieren über mehrere Themengebiete hinweg sowie das zweifache falsche Behaupten einer Professur bei ein und derselben Person hat der Gutachter in 15 Jahren Tätigkeit noch nicht erlebt“, heißt es in dem Gutachten.
Plagiate von 23 Autorinnen und Autoren sowie Webseiten und Wikipedia
Quellen der Plagiate sind laut Gutachten aber nicht nur wissenschaftliche Veröffentlichungen, sondern auch Wikipedia, die Stanford Encyclopedia of Philosophy sowie zahlreiche weitere Webseiten und sogar eine Diplomarbeit.
Für Weber ist es „befremdlich bis unbegreiflich“, dass diese Plagiate weder bei den Peer Reviews, also der Überprüfung von wissenschaftlichen Arbeiten durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler desselben Fachgebiets, noch von den Verlagshäusern wie Springer Nature und de Gruyter entdeckt wurden.
Elmshorn: Schneider dozierte zu Volkswirtschaftslehre an der Nordakademie
An der Nordakademie hielt Schneider bislang Vorlesungen zur Allgemeinen Volkswirtschaftslehre sowie zu ausgewählten Aspekten dieses Themenbereichs. Laut Webseite liegen seine Forschungsschwerpunkte auf der Integration der künstlichen Intelligenz in Dienstleistungsprozesse und der chinesischen Außen- und Wirtschaftspolitik.
Außerdem werden Plattformen, Netzwerke und der Wettbewerb, Kapital, Kapitalanlagen, Zinsen und Inflation, Geschichte und Ausprägung des ökonomischen Liberalismus sowie die „Umsetzung der Kernenergie über die Artikel 6, 9 und 10 des Übereinkommens von Paris in Klimasachen“ als Forschungsschwerpunkte genannt.
Schneider soll VWL in der Schweiz, China und den USA studiert haben
Schneiders Werdegang, der im „NZZ“-Artikel kritisch beäugt wird und gegen den erhebliche Vorwürfe laut werden, wird auf der Webseite der Nordakademie ebenfalls thematisiert. Unter dem Punkt Lebenslauf wird ausgeführt, Schneider habe Volkswirtschaftslehre in der Schweiz, China und den USA studiert.
Anschließend soll er selbstständig gewesen sein, „bis er als Chefökonom und stellvertretender Direktor zum Schweizerischen Gewerbeverband wechselte.“ Neben seinen Aufsichtsratsmandaten sei er selbst an Unternehmen in Asien und Südamerika beteiligt.
Elmshorn: Plagiatsvorwürfe gegen Nordakademie-Professor
Schneider widme sich insbesondere der Mikroökonomie, der Wettbewerbstheorie und der Umweltökonomie. Zudem publiziere er regelmäßig in wissenschaftlichen Magazinen und Fachzeitschriften sowie in allgemein zugänglichen Medien.
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Seit Abschluss seines Studiums habe Schneider an Hochschulen in der Schweiz, China und USA unterrichtet. An welchen Hochschulen er lernte und lehrt, wird auf der Nordakademie-Webseite allerdings nicht genannt. Bei anderen Professorinnen und Professoren ist dies dagegen der Fall.