Wedel/Itzehoe. Als sein Mitbewohner sich weigert, das Bad zu putzen, soll der Mann zugestochen haben. Doch der Angeklagte spricht von Notwehr.
Der Kontrast könnte kaum größer sein. Auf der einen Seite der Staatsanwalt Hendrik Schwitters, der für den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sieben Monaten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung fordert. Und auf der Gegenseite der Verteidiger Peter Wiebensohn, der eine Notwehrsituation für seinen Mandanten reklamiert und somit einen Freispruch beantragt.
Der Mann, um dessen Zukunft es geht, sitzt auf der Anklagebank des Landgerichts in Itzehoe und hört sich die Schlussvorträge ruhig an. Nach ihrem Ende meldet sich Bülent O. (43), der am 22. Mai 2022 in einer Wedeler Kellerwohnung seinen Mitbewohner Hüseyin D. (30) mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben soll, nochmals zu Wort.
Dass er dem Opfer so schwere Verletzungen zugefügt habe, tue ihm leid, so der Angeklagte, der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft ist. Er verprügelte 2016 einen Kontrahenten mit einer Holzlatte. Zu den jetzigen, deutlich schwerwiegenderen Vorwürfen sagt er: „Ich bin der Meinung, dass ich mich nur gewehrt habe.“
Staatsanwalt hält Aussage des Angeklagten für unplausibel
Genau das nimmt ihm der Staatsanwalt jedoch nicht ab. Schwitters bezeichnete die Angaben des Angeklagten als „ein bisschen unplausibel“. Zwar gäbe es für die folgenschwere Auseinandersetzung der beiden Männer – sie wohnten zur Tatzeit gerade einmal zwei bis drei Wochen zusammen – keine Zeugen, sodass in diesem Fall ganz klassisch Aussage gegen Aussage stehe.
Jedoch würde das Gutachten des Rechtsmediziners die Angaben des Opfers zum Tatgeschehen stützen und auch Spuren in der Wohnung sowie am Tatmesser ließen sich am ehesten mit der Version von Hüseyin D. in Einklang bringen. Schwitters: „Jedes Wort, jeder Satz von ihm muss nicht gestimmt haben, aber das von ihm geschilderte Kerngeschehen ist glaubhaft.“
Demnach habe der Bülent O. an die Zimmertür von Hüseyin D. geklopft und die sofortige Reinigung des Badezimmers eingefordert, was dieser mit Verweis auf fehlende Reinigungsmittel ablehnte. „Der Angeklagte war erbost und drohte dem Opfer an, dass es Bad und Toilette zunächst nicht mehr nutzen dürfe.“ Hüseyin D. habe sich daraufhin in seinem Zimmer eingeschlossen und einen Bekannten gebeten, sofort vorbeizukommen.
Mit „einigem Wumms“ zugestochen
Als es wenig später klopfte, habe er an das Erscheinen des Freundes geglaubt und die Tür geöffnet. „Vor der Tür stand der Angeklagte, der ihn unverzüglich mit einem Messer attackierte und vier Mal in Richtung seines Oberkörpers und Halses stach.“ Hüseyin D. habe noch versucht, sich wegzuducken.
Das Messer habe ihn am Ohr und am Nacken getroffen, letztere Wunde sei 15 Zentimeter lang sowie vier Zentimeter tief und potenziell lebensgefährlich gewesen. Wer ein Messer mit einer Klingenlänge von 19,5 Zentimeter so einsetze, „will einen Menschen töten“, so Schwitters. Bülent O. habe „mit einigem Wumms“ auf sein Opfer eingewirkt.
Er habe die mehr als zweimonatige Beweisaufnahme „anders wahrgenommen“, so Wiebensohn. Hüseyin D. habe „umgangssprachlich gesagt uns hier die Hucke voll gelogen“. Der Verteidiger versuchte in der Folge, Widersprüche in den Aussagen des Opfers aufzuzeigen. So seien etwa seine Angaben, Bülent O. habe nach der Tat sowohl ihn als auch seinen zwischenzeitlich eingetroffenen Bekannten mit dem Tode gedroht, von diesem nicht bestätigt worden.
Verletzungen sind Aµµngriffs-, nicht Abwehrverletzungen
Die Verletzungen, die sein Mandant an der Hand erlitt, habe zwar der Rechtsmediziner als Angriffs- und nicht als Abwehrverletzungen eingestuft. „Aber er konnte nicht sagen, ob das Messer in Notwehr oder im Rahmen eines Angriffs geführt wurde“, so Wiebensohn weiter. Für ihn stehe eindeutig fest, dass sich das Geschehen so abgespielt hat wie von seinem Mandanten geschildert. Zunächst habe Hüseyin D. den Angeklagten mit einem Messer bedroht und der habe sich in seinem Zimmer verbarrikadiert.
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Dort habe sich Bülent O. aus Eigenschutz selbst bewaffnet und dann versucht, aus der Kellerwohnung zu fliehen. Im Flur sei er wiederum auf Hüseyin D. getroffen, der zwar kein Messer mehr dabei hatte, sich jedoch sofort auf den Angeklagten gestürzt habe. Im folgenden Gerangel seien dann die Verletzungen entstanden. „Das Handeln des Angeklagten war durch Notwehr gerechtfertigt“, so Wiebensohn.
Opferanwältin Lena Alpay-Esch stellte keinen eigenen Strafantrag. Sie wies noch einmal auf die Folgeschäden der Tat für ihren Mandanten hin, der weiterhin und möglicherweise für immer unter Taubheitsgefühlen in seiner linken Gesichtshälfte leiden würde. Das Gericht wird das Urteil am 10. Februar verkünden.