Kreis Pinneberg. Infektionswelle: Lieferengpässe bei Medikamenten, dazu volle Arztpraxen und Kliniken. So ist die Lage im Kreis Pinneberg.
Überbelegte Zimmer, tagelanger Aufenthalt in Notaufnahmen, kranke Babys und Kleinkinder, die in weit entfernte Krankenhäuser verlegt werden müssen: Fast zehn Millionen Menschen sind in Deutschland gerade krank – darunter auch viele Kinder. Die Welle von akuten Atemwegsinfekten führt in Kinderkliniken zu teils dramatischen Engpässen. In vielen Kinderarztpraxen sieht es nicht viel besser aus.
Kreis Pinneberg: Kinderklinik hat keine freien Betten mehr
Und nicht nur das: Auch in den Apotheken macht sich die Krankheitswelle bemerkbar – oft fehlt es vor allem an fiebersenkenden Medikamenten für Kinder. Wie die Lage im Kreis Pinneberg aussieht:
„In der Kinderklinik sind momentan alle Plätze belegt“, sagt Birga Berndsen, die Pressesprecherin der Regio Kliniken in Elmshorn und Pinneberg. Zum Glück gebe es eine enge Kooperation mit dem Altonaer Kinderkrankenhaus – aber auch da würden die Plätze knapp. Influenza und das RS-Virus seien die häufigsten Ursachen für den Krankenhausaufenthalt der Kinder. Symptome beider Krankheiten sind plötzlich auftretende Abgeschlagenheit, Muskelschmerzen und vor allem trockener Husten sowie Halsschmerzen und Fieber. Corona sei dagegen sehr selten ein Grund dafür, dass sich Kinder zurzeit im Krankenhaus befinden.
Birga Berndsen weist darauf hin, dass sich Kinder mit Infektionen im Krankenhaus isolieren müssen, damit nicht noch mehr der kleinen Patienten und Patientinnen angesteckt werden. Das sei für die Kliniken nicht nur ein Platz-, sondern auch ein Personalproblem.
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Versorgungslage mit Medikamenten auch im Kreis Pinneberg angespannt
Auch der Medikamenten-Engpass wirkt sich auf die Regio Kliniken aus, wie die Pressesprecherin betont: „Die derzeit bundesweit angespannte Versorgungslage mit Medikamenten verzeichnen wir auch bei den Regio Kliniken. Einige Medikamente sind knapp oder könnten es werden. Betroffen sind unterschiedliche Substanzklassen, dazu zählen unter anderem bestimmte Antibiotika und Schmerzmittel.“
Positiv sei in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Regio Kliniken vom zentralen Einkauf des Sana-Klinikverbundes profitieren. Bei Engpässen können sich die Kliniken, die zum Verbund gehören, gegenseitig helfen. Birga Berndsen betont: „Für Patientinnen und Patienten der Regio Kliniken hat der aktuelle Engpass derzeit keine Folgen.“ Weiter sagt sie: „Im Notfall könnten wir kleinere medizinische Mengen, beispielsweise für unsere Kinderstation, in unserer Apotheke auch selbst herstellen.“ Kurzum, so das Fazit die Pressesprecherin: Die Situation sei ernst, aber derzeit noch zu bewältigen.
Der Andrang in allen Kinderarztpraxen in der Region ist groß
Nicht nur die Krankenhäuser, auch die Kinderärzte sprechen von einer ernsten Lage. Eine Mitarbeiterin der Kinderarztpraxis in Tornesch teilt am Telefon kurz und knapp mit, dass man momentan „komplett überfüllt“ sei. Patienten an andere Praxen zu verweisen, sei schwierig, denn alle Kinderarztpraxen in der Region würden momentan vor dem gleichen Problem stehen.
Die Kinderarztpraxis Ziegenrücker und Dr. Hasilik in Pinneberg hat aufgrund des großen Andrangs auf der Internetseite Hinweise zur Terminvergabe veröffentlicht. Demnach haben Patienten mit langfristig vereinbarten Terminen höchste Priorität. Weiter heißt es: Akute Fälle erhalten grundsätzlich einen Wartezeittermin genannt. Dieser dient primär unserer Übersicht und einer gleichmäßigen Verteilung über den Tag. Es besteht jedoch keinerlei Anspruch auf Einhaltung dieser Uhrzeit.“
Des Weiteren kämen schwerkranke Kinder bevorzugt an die Reihe, genauso wie Patienten mit Ausschlägen, die zum Schutz der anderen Patienten und Patientinnen direkt in ein Untersuchungszimmer gebracht würden.
Lieferengpässe gibt es bundesweit bei etwa 300 Arzneimitteln
Erschwerend für die Praxen kommt hinzu, dass auch sie die Lieferengpässe der Apotheken zu spüren bekommen. Die Vorräte an bestimmten Medikamenten werden knapper. Experten gehen davon aus, dass es bei bis zu 300 Arzneimitteln zurzeit Lieferschwierigkeiten gibt. Darunter Antibiotika, Insulin-Medikamente sowie Krebstherapiemittel.
Auch im Kreis Pinneberg sind Paracetamol und Ibuprofen kaum noch vorrätig, vor allem die niedrigeren Dosen für Kinder in Form von Säften oder Zäpfchen. Sie werden momentan sogar von einigen Apotheken selbst hergestellt. Der Prozess sei zeitaufwendig und personalintensiv, sagt Dr. Christopher Schwartz, Mitinhaber der Pinneberger Adler-Apotheke. Auch wer am Ende die Kosten für die Herstellung übernimmt, sei bisher unklar. „Für uns steht momentan aber an erster Stelle, unsere Kunden zu versorgen, vor allem die Kinder“, betont der Apotheker.
Kreis Pinneberg: Das sind die Gründe für die Arzneimittelengpässe
Die Lieferengpässe haben verschiedene Ursachen wie Lieferkettenprobleme, Inflation, Rohstoffmangel. Zudem haben viele Pharmafirmen ihre Wirkstoffproduktion nach Asien verlagert. Durch das erhöhte Aufkommen von Infektionskrankheiten bei Kindern werden nun mehr Medikamente benötigt. Die Folge: Die Rohstoffe für die Herstellung sind knapp und dadurch teurer geworden. „Es wird auch immer weniger von den Krankenkassen erstattet. Dadurch lohnt es sich für viele Hersteller einfach nicht mehr“, sagt Peter Kleist, Inhaber der Brahms-Apotheke in Pinneberg.
Auch gestiegene Kosten für Energie, Verpackungsmaterialien, Logistik sowie Wirk- und Hilfsstoffe machen den Apotheken zu schaffen. Durch die gesetzliche Preisregulierung können diese gestiegenen Preise nicht einfach an den Endverbraucher weitergegeben werden.
Pinneberger Apotheker warnt: Medikamente nicht horten
Apotheker Kleist betont, dass sich die Produktion bestimmter Arzneimittel einfach nicht mehr lohne und deshalb eingestellt werde. Die Nachfrage sei zu hoch für zu wenige Hersteller. Hinzu komme, dass viele Hersteller ihre Inhalts- und Wirkstoffe aus Kostengründen mittlerweile zu großen Teilen aus Asien beziehen. Das erhöhe in Zeiten angespannter Lieferketten die Risiken.
Jetzt sei es vor allem wichtig, nicht in Panik zu verfallen, sagt Peter Kleist. „Ein Lieferengpass ist kein Lieferabbruch. Nur: Wer jetzt Arzneimittel hortet, nimmt sie denen, die sie wirklich brauchen.“