Kreis Pinneberg. Ob Wedel, Quickborn, Helgoland oder Halstenbek – 2022 haben Herausforderer auffallend oft gegen Amtsinhaber gesiegt. Warum?

Aus fünf Bürgermeisterwahlen 2022 gingen vier neue Verwaltungschefs hervor: Das ist die erstaunliche Bilanz des Wahljahres im Kreis Pinneberg. Ob Quickborn, Wedel, Helgoland oder nun Halstenbek – bei den dortigen Bürgermeisterwahlen setzten sich die Herausforderer durch. In den Städten und Gemeinden herrscht offenkundig Wechselstimmung. Die Bürger wählten lieber das Neue als das Altbewährte. Nur Marc Trampe, der im Mai in Rellingen ohne Gegenkandidat im Amt bestätigt wurde, bricht diesen Trend – mit Anfang 40 ist er aber auch der jüngste Bürgermeister in dieser Reihe.

Bürgermeisterwahl: Herausforderer setzten sich gegen Amtsinhaber durch

Aber warum konnten sich die Platzhirsche nicht durchsetzen? Ganz grundsätzlich habe den Menschen „die Pandemie viele Defizite aufgezeigt. Das hat eine Grundstimmung für mehr Wandel erzeugt, auch bei Menschen, denen es eigentlich eher ums Bewahren geht“, sagte der Demokratie-Experte Dr. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung schon mit Blick auf die Bundestagswahl 2021. Das Ergebnis ist bekannt: Die Menschen wählten die CDU nach 16 Jahren ab und hoben eine neue, rot-gelb-grüne Regierung ins Amt. Ein Bundestrend, der offenbar auf den Kreis abfärbte

„Es muss sich vieles ändern, damit unser Leben so gut bleiben kann, wie es für viele war und noch ist“, analysierte Experte Vehrkamp. Das beschreibe das Gefühl in der Mitte der Gesellschaft recht gut. Parteien und Kandidaten sollten das „als freundliche Aufforderung zum Tanz begreifen“, riet Vehrkamp. Sie sollten den Wahlkampf beleben und „die Wechselstimmung aufnehmen“.

Bürgermeisterwahl: Wechsel an der Spitze des Halstenbeker Rathauses

Im Kreis Pinneberg war am Wochenende Claudius von Rüden in Halstenbek letztes Opfer des ausgeprägten Wechselwillens der Wähler. Nach sechs Jahren im Rathaus muss von Rüden den Chefsessel nun zum 31. Januar räumen und Jan Krohn (55) Platz machen. Der CDU-Herausforderer, der an etlichen Haustüren klingelte, um die Halstenbeker zu überzeugen, setzte sich deutlich mit 66,8 Prozent durch. Sechs Jahre zuvor hatte von Rüden noch 73,3 Prozent geholt und zwei Mitbewerber in die Schranken gewiesen.

Warum der 46-Jährige nun seinerseits deklassiert wurde? Der SPD-Mann hatte es sich wohl mit den übrigen Parteien verscherzt, selbst die sonst der SPD zugewandten Grünen gaben wie die FDP eine Wahlempfehlung für den Herausforderer ab. Gefolgt von drei Altbürgermeistern.

Offenbar verließ sich von Rüden auf seinen Amtsbonus. Im Wahlkampf war von ihm wenig zu sehen. Zudem musste er sich Anschuldigungen erwehren, sein Führungsstil demotiviere Mitarbeiter und habe zum Abgang von zwei leitenden Mitarbeitern im Rathaus geführt. Uwe Grünefeldt, der 2018 nach 32 Jahren als Büroleitender Beamter in den Ruhestand ging, hatte diese Version nach außen getragen.

Wedeler wählen Niels Schmidt nach 18 Jahren als Bürgermeister ab

In Wedel erwischte es schon im März Niels Schmidt: „Wahrscheinlich habe ich die Wechselstimmung in Wedel nicht richtig wahrgenommen“, sagte der abgewählte, parteilose Bürgermeister, als er das Amt nach 18 Jahren zum 1. Mai an Gernot Kaser (parteilos) abgeben musste. Der 60 Jahre alte Österreicher Kaser (Wahlslogan: „Klare Kante für Wedel“) setzte sich mit 55,87 Prozent durch. Gemeinsam mit der Politik hatte Schmidt – gut 40 Jahre in unterschiedlichen Funktionen im Rathaus tätig – in seiner Amtszeit kostspielige Großprojekte wie etwa den Schulauer Hafen, der mit 35 Millionen Euro Investitionskosten zu Buche steht, angeschoben.

Gernot Kaser löste Niels Schmidt nach 18 Jahren an der Spitze der Wedeler Verwaltung als Bürgermeister ab.
Gernot Kaser löste Niels Schmidt nach 18 Jahren an der Spitze der Wedeler Verwaltung als Bürgermeister ab. © Dennis Weichert | Dennis Weichert

Schmidt verteidigte diese Projekte stets im Hinblick auf Wedels Zukunftsfähigkeit, während ein Teil der Bürger die Sinnhaftigkeit im Hinblick auf die ausufernden Kosten – und ein Haushaltsdefizit, das Richtung 100 Millionen Euro tendiert – hinterfragte. Der Österreicher Kaser, der sich bürgernah gibt, war beruflich zuvor Unternehmer und möchte den Wedeler Haushalt in den Griff bekommen. Am heutigen Mittwoch etwa sucht er mit der Politik nach Lösungsansätzen für Einsparungen. „Die Verwaltung braucht einen Schulterschluss mit der Politik“, sagt Kaser, der seit 2013 in Wedel lebt.

Quickborn: Amtsinhaber Köppl verliert gegen Herausforderer Beckmann

Auch die Wähler in Quickborn hatte im Mai das Bürgermeister-Wechselfieber gepackt. Amtsinhaber Thomas Köppl (CDU) musste sich nach 18 Jahren Thomas Beckmann (61) geschlagen geben, der am gestrigen Dienstag seinen ersten Arbeitstag als Rathauschef hatte. Beckmann war FDP-Parteivorsitzender. Dieses Amt hat er jetzt an Thomas Katlun (53) abgegeben. „Ich hätte den Vorsitz nicht abgeben müssen“, erklärt Beckmann. Aber um einen Neuanfang zu starten und sein Versprechen wahr zu machen, ein Bürgermeister für alle Quickborner zu sein, habe er das politische Amt aufgegeben. So könne er neutral und unvoreingenommen sein.

Thomas Beckmann ist neuer Chef im Quickborner Rathaus.
Thomas Beckmann ist neuer Chef im Quickborner Rathaus. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Seinen 300 Beschäftigten hat sich Beckmann am Dienstag gleich in zwei Personalversammlungen vorgestellt. Die Kollegen zeigten sich „positiv gespannt“, wie ein Mitarbeitender kommentierte. Beckmann hatte die Stichwahl mit 4368 Stimmen (55,6 Prozent) gegen Köppl gewonnen. Die Wechselstimmung, die Wahlsieger Beckmann überall gespürt haben wollte, war wohl ausschlaggebend. Auch wenn Köppl vom besten Wahlkampf als Bürgermeister sprach – er war 2010 und 2016 nur knapp wiedergewählt worden. Die Beliebtheit eines Bürgermeisters nutze sich ab, sagte Köppl dazu. Es gebe immer mehr Menschen, denen er in seiner Amtszeit habe auf die Füße treten müssen, die mit Entscheidungen nicht einverstanden waren.

Wenn das stimmt, könnte auch Beckmann dieses Schicksal drohen. Er will in sechs Jahren noch mal antreten. Seinen Amtsstil bezeichnet er als „offen, transparent und wertschätzend“.

Bürgermeisterwahl: Helgoland hat einen neuen Inselbürgermeister

Auch die Insel Helgoland, Außenposten des Kreises Pinneberg in der Nordsee, bekommt zum 1. Januar mit Thorsten Pollmann einen neuen Bürgermeister. Der bisherige Fachamtsleiter beerbt Noch-Bürgermeister Jörg Singer, der zuvor nach zwölf Jahren angekündigt hatte, nicht wieder anzutreten.

Insofern stand ein Wechsel schon fest. Pollmann (51) holte in der Stichwahl schließlich 51,31 Prozent der Stimmen und setzte sich gegen Sinditt Küster (SPD) durch – übrigens die einzige weibliche Bewerberin bei den Bürgermeisterwahlen im Jahr 2022. Seine Kontrahentin hatte mit SPD und Teilen der CDU zwar eine starke Lobby. Aber Pollmann überzeugte die Insulaner.

Thorsten Pollmann setzte sich in der Stichwahl durch und ist neuer Bürgermeister von Helgoland.
Thorsten Pollmann setzte sich in der Stichwahl durch und ist neuer Bürgermeister von Helgoland. © Privat | Privat

Fachkräftemangel, Wohnungsnot oder die Alltagshilfe für Ältere machte Pollmann mit Erfolg zu seinen Wahlkampfthemen. Dabei kam dem geschiedenen Vater einer Tochter, geboren im Sauerland, wohl auch seine Verwaltungserfahrung zu Gute. Seit 2009 arbeitet er bei der Gemeindeverwaltung Helgoland, seit 2018 als Fachamtsleiter Bürgerdienste und Verkehr. Zudem ist er Vorsitzender des Personalrates der Gemeinde und des Helgoland Tourismus-Service. Kurzum: Er kennt Abläufe und Mitarbeiter.

Bürgermeisterwahl: Marc Trampe hat in Rellingen keine Konkurrenz

Das kann Marc Trampe auch von sich behaupten. 2016 war er in Rellingen jüngster Bürgermeister einer schleswig-holsteinischen Gemeinde geworden – im Mai 2022 wurde er mit 90 Prozent wiedergewählt. Allerdings ohne Gegenkandidat. Dieser Umstand, sein durchaus jugendlicher Elan sowie eine gewisse Bürgernähe haben anscheinend geholfen, die Rellinger zu überzeugen. Trampe richtet seine Politik am Zeitgeist aus.

Bürgermeister Marc Trampe vor dem Rellinger Rathaus.
Bürgermeister Marc Trampe vor dem Rellinger Rathaus. © Katja Engler | Katja Engler

Ganz oben steht die Verkehrsproblematik, die zu hohe Belastung der Straßen, der Ausbau der A23 und der Radwege. Auch für Klimaschutzmaßnahmen und die Ortsentwicklung macht er sich stark, geht auf Widerstände aus der Bevölkerung ein. Viele Projekte stehen vor der Umsetzung, beim Dirtpark etwa wurde am Dienstag angefangen. Hinzu kommt der Umbau der Bücherei zum dritten Ort. „Eines unserer wichtigsten Ziele ist, Menschen zusammen zu bringen, gerade nach Corona“, so Trampe.