Hetlingen/Kiel. Eisensalz, ein wichtiger Stoff bei der Abwasseraufbereitung, ist wegen des Kriegs in der Ukraine rar. Warum das zu Problemen führt.
Phosphor ist Segen und Fluch zugleich. Es sorgt für üppigere Ernten und saubere Wäsche, verschmutzt aber auch Grund- und Abwasser. Zumindest letzteres Problem hatten die Klärwerke in Schleswig-Holstein bisher gut im Griff. „Die Betreiber sind stark auf Phosphor konzentriert, die Grenzwerte wurden locker eingehalten“, sagt Thomas Behrends, Gewässer-Experte des Nabu.
Ukraine-Krieg sorgt für Chemikalien-Mangel im Klärwerk
Doch diese Zeiten sind vorbei. Und das ist auch eine Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine. Es fehlt den Klärwerken an Eisensalz, das zum Ausfällen des Phosphors aus dem Abwasser benutzt wird. „Eisensalze entstehen als Nebenprodukt bei der Herstellung von Titandioxid, das für Farben und Lacke benötigt wird“, erklärt auf Abendblatt-Anfrage Anja Schacht von der Stabsstelle Managementsysteme und Kommunikation des Abwasser-Zweckverbandes (AZV) Südholstein, das das größte Klärwerk in Schleswig-Holstein in Hetlingen betreibt.
Bedingt durch die steigenden Energiekosten und Ausfälle in den Lieferketten würde bei den Farbenherstellern die Produktion gedrosselt, was einen geringeren Anfall von Nebenprodukten zur Folge habe.
Wegen des Eisensalzmangels wird nur ein Teil des Phosphats aus dem Abwasser gereinigt, ein Teil fließt in Seen und Flüsse. „Die Klärwerke werden dreckiger“, schlussfolgert Behrends. Der Nabu sei erstmals Anfang September auf das Problem aufmerksam geworden. Es handele sich nicht nur um ein landes-, sondern ein bundesweites Problem.
- Klärwerk: Einbrecher stürzt in vier Meter tiefes Betonbecken
- Klaus Ramcke ist der Abwasser-Rebell von Hemdingen
- Kampf gegen Mikroplastik und Medikamente im Abwasser
Klärwerke-Problem: Schäumt bald die Elbe?
Die Folgen für die Umwelt seien gravierend. „Ohne die erforderlichen Fällmittel beziehungsweise auch bei reduzierten Einsatz können Kläranlagenbetreiber die festgeschriebenen Überwachungswerte für Phosphor zum Teil nicht einhalten. In allen Gewässern, in die eingeleitet wird, führen zusätzliche Phosphateinträge zur Belastung des Gewässerzustandes“, erklärt Matthias Kissing, Sprecher des Kieler Umweltministeriums, auf Anfrage.
Problematisch sei der höhere Phosphor-Eintrag besonders bei Gewässern mit weniger Wasserbewegungen, wie dem Plöner See. „Dort akkumulieren sich die Schäden“, erklärt Behrends. Bei einer Einleitung wie im Fall des AZV in die gewaltigen Wassermassen der Elbe wird das Phosphor zwar stark verteilt in die Nordsee geschwemmt. Es ist damit aber nicht weg. „Wir könnten im nächsten Sommer mehr Schaum an den Stränden der Nordsee sehen“, sagt der Umweltexperte.
Bei einer Nachfrage, wie die Situation konkret in den Klärwerken Schleswig-Holsteins aussieht, hält sich das Umweltministerium bedeckt. „Unseres Wissens nach hatte bisher nur eine Kläranlage temporär Probleme die Vorgaben der Abwasserverordnung einzuhalten“, so Kissing. Der AZV gibt an, die Grenzwerte einhalten zu können.
Chemikalien: Klärwerke suchen nach Alternativen
Es gibt zwar Alternativen zum Eisensalz, etwa Aluminiumsulfat oder der biologische Abbau mit Hilfe von Mikroorganismen, erklärt der AZV. Doch könnte es negative Nebeneffekte geben, zumal Aluminiumsulfat derzeit ebenfalls am Markt schwer zu bekommen sei. Die Einschätzung teilt der Nabu-Mann. „Klärwerke sind fein austarierte Systeme“, so Behrends. Da seien Veränderungen der Prozesse im laufenden Betrieb schwierig.
Nach dem Wissen des Nabu-Naturschutzreferenten versucht das Umweltministerium in Kiel derzeit, die Unteren Wasserbehörden der Kreise und kreisfreien Städte dazu zu bewegen, keine Verfahren wegen überhöhter Phosphor-Grenzwerte einzuleiten. Denn eine Überschreitung ist eine Ordnungswidrigkeit, die von den Aufsichtsbehörden der Klärwerke mit einem Bußgeld geahndet werden muss.
„Da könnte bei einem größeren Klärwerk schon eine sechsstellige Summe zusammenkommen“, sagt Behrends. Das Geld würden sich die Betreiber von den Kommunen zurückholen, die es dann auf die Gebühren aufschlagen würden. Für die Nichteinhaltung der Phosphor-Grenzwerte würden also letztlich die Bürger und die Unternehmen zahlen.
Ministerium reagiert mit Erlass auf Eisensalz-Mangel
Das Ministerium hat mit einem Erlass auf die Eisensalz-Mangelsituation reagiert. Es wurde geregelt, dass Kläranlagen bei Mangelsituationen von Fällmitteln die gesetzlichen Vorgaben des Bundes grundsätzlich einhalten sollen, so der Sprecher. Falls dies nicht möglich sei, müssten Kläranlagenbetreiber das dokumentieren.
„Durch Zufall“ hat die SPD-Landtagsabgeordnete Sandra Redmann vor kurzem von der Phosphor-Problematik bei einem Besuch des Zweckverbandes Ostholstein (ZVO) erfahren. Dort seien gute Verträge ausgehandelt worden, so dass es aktuell keinen Eisensalzmangel gebe. Anderenorts sehe es schlechter aus. Unter den Kläranlagenbetreibern werde etwa diskutiert, wer Abwasser von anderen Betreibern übernehmen könne, so die Abgeordnete für den Wahlkreis Ostholsein-Süd.
Chemikalien-Mangel in Klärwerken: Und nun?
„Ich ärgere mich, dass es uns nicht von Seiten des Umweltministeriums mitgeteilt wurde“, sagt die Gewässerexpertin. Das Thema wurde nun auf die Tagesordnung der Umweltausschusssitzung gesetzt. Dies erfolgte nicht auf Initiative des Umweltministeriums. Die Koalitionäre von CDU und Grünen hatten das veranlasst. „Ich hoffe, dann gibt es endlich umfassende Informationen“, sagt Sandra Redmann.
Der Nabu-Gewässerexperte Behrends weiß von der nächsten Umweltministerkonferenz der Länder im November, während der über die Phosphor-Problematik beraten werden soll. „Spätestens dann brauchen wir eine Lösung“, so Behrends.