Hemdingen. Früherer Vize-Bürgermeister meint, dass die Bürger im Dorf zu viel bezahlen – und will notfalls vor Gericht ziehen.
Sind die Schmutz- und Regenwassergebühren in Hemdingen und möglicherweise auch noch andernorts im Kreis Pinneberg vom Abwasserzweckverband (AZV) falsch oder zumindest viel zu hoch berechnet? Dieser Auffassung ist Klaus Ramcke, der bis 2013 stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde im Amt Rantzau war. Ramcke beruft sich dabei auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig, das im Dezember einem klagenden Ehepaar aus Hemdingen Recht gegeben hat.
Gemeinde hat dem AZV die Kanalisation übertragen
Der AZV musste deren Schmutzwassergebühren in Höhe von etwa 400 Euro zurückzahlen. Das zwölf Seiten umfassende Urteil vom 18. Dezember 2020 liegt dem Abendblatt vor. Ramcke glaubt: „Jeder Hemdinger Haushalt, der Abwasser- und Niederschlagswassergebühren an den AZV zu entrichten hat, ist betroffen.“ Darum fordert er nun, dass die Gemeinde die Kanalisation, die sie vor zehn Jahren dem AZV übertragen hat, wieder selbst übernehmen sollte.
„Durch die Übertragung des Satzungsrechtes ist der direkte Einfluss der Gemeinde verloren gegangen.“ Im Ort habe er dafür bereits 32 Mitstreiter gewinnen können, sagt der frühere Landwirt. Er rät ihnen, Widerspruch gegen ihre Abwassergebühr einzulegen und sich „nicht verunsichern“ lassen. „Notfalls werden wir klagen.“ Mit einer Anwaltskanzlei sei er bereits in Kontakt, um eine Musterklage vorzubereiten.
„Die Gebührensatzungen des AZV sind bis heute nicht ordnungsgemäß veröffentlicht“, meint Ramcke. Darum seien die Gebührenbescheide rechtlich unwirksam, wie es das Verwaltungsgericht in dem Urteil bestätigt habe. Darin war den Klägern bestätigt worden, dass ihr Gebührenbescheid von 2017 „rechtswidrig“ war, weil die Gebührensatzung „nicht wirksam bekannt gegeben worden (ist).“
AZV: Urteil nicht als Grundalge für Rückzahlungen geeignet
AZV-Sprecherin Kathrin Eckert sagt dazu auf Abendblatt-Anfrage, „aufgrund eines Formfehlers zum Zeitpunkt der Veranlagung in den zum Zeitpunkt der Veranlagung im Jahr 2016 geltenden Satzungsfassungen hob das Verwaltungsgericht die durch die Kläger angefochtenen Gebührenbescheide auf“. Dieser „Formfehler“ sei aber inzwischen behoben und das „bisherige Satzungsrecht wurde diesbezüglich geheilt“.
Eckert betont: „Aus dem Urteil ergibt sich keine Rechtsfolge in Bezug auf weitere Gebührenveranlagungen – somit wirkt sich das Urteil nicht weiter aus und kann – entgegen der Aussage in einem Flyer eines Kritikers aus Hemdingen (gemeint ist Klaus Ramcke) - nicht als Grundlage für die Rückzahlung vermeintlich zu viel gezahlter Gebühren herangezogen werden.“
Einige Gemeinden zahlen weniger, andere mehr als Hemdingen
Doch Ramcke will sich damit nicht zufriedengeben. Er habe recherchiert, dass andere Kommunen im Amt Rantzau wie Bilsen erheblich geringere Gebühren an den AZV zahlten. Doch die Gemeinde hat nicht wie Hemdingen im Jahr 2010 mit einem öffentlich-rechtlichen Vertrag ihr gesamtes Schmutz- und Regenwassernetz einschließlich Wartung, Reparatur und Gebührenkalkulation dem AZV übertragen, so die Sprecherin Eckert.
Die Schmutzwassergebühr in Hemdingen beträgt nach ihren Angaben im laufenden Jahr 97 Euro Grundgebühr pro Jahr (für Privathaushalte) und 178 Euro (für Gewerbe) plus 2,64 Euro (2020: 3,29 Euro) pro Kubikmeter verbrauchten Frischwassers. Die Schmutzwassergebühr ist also in diesem Jahr um rund 20 Prozent gesunken. Die Niederschlagswassergebühr beträgt pro Jahr 40 Euro Grundgebühr und Grundstück zuzüglich 0,28 Euro (2020: 0,30 Euro) pro Quadratmeter versiegelter Fläche, teilt die AZV-Sprecherin mit.
Damit bewegen sich die Gebühren in Hemdingen ziemlich genau im Mittelfeld jener 15 Kommunen aus den Kreisen Pinneberg, Segeberg und Steinburg, die ihr Abwassernetz dem AZV übertragen haben. Alle anderen 29 Städte und Gemeinden, die dem Verband angehören, leiten nur Abwasser ins Klärwerk nach Hetlingen, wofür sie zurzeit 1,15 Euro pro Kubikmeter zahlen. Diese Gebühr sei seit 2010 nicht angehoben worden, sagt Eckert. Die Ortskanalisation und Gebührenkalkulation warten und berechnen diese Kommunen dann selbst.
Wie viel in den Kommunen für Schmutzwasser anfällt
14 der 15 Kommunen, die wie Hemdingen dem AZV alles übertragen haben, liegen im Kreis Pinneberg. Barmstedt ist seit 2009 als einzige Stadt darunter. Sie zahlt zurzeit 1,39 Euro je Kubikmeter Schmutzwasser sowie 46 Cent je Quadratmeter versiegelte Fläche für Regenwasser. Und so schwanken die Gebühren in den anderen zwölf Gemeinden zwischen 1,71 Euro in Heist und 4,39 Euro in Seeth-Ekholt für jeden Kubikmeter Schmutzwasser.
Im Einzelnen sieht es so aus: Borstel-Hohenraden, Prisdorf und Kummerfeld (seit 2007; je 2,75 Euro für Schmutzwasser und 39 bis 72 Cent für Regenwasser), Ellerhoop (2010, 2,38 Euro und 57 Cent), Heist (2009, 1,71 Euro, nur Schmutzwasser), Haselau und Haseldorf (2007, 2,43 Euro, nur Schmutzwasser), Hetlingen (2007, 2,71 Euro und 76 Cent), Bokholt-Hanredder (2014, 3,20 Euro und 50 Cent), Helgoland (2014, 2,52 Euro, nur Schmutzwasser), Hasloh (2018, 2,76 Euro, nur Schmutzwasser) und Seeth-Ekholt (2016, 4,39 Euro, nur Schmutzwasser). Dazu fällt in einigen Kommunen – bis auf Hasloh, Hetlingen, Prisdorf, Kummerfeld und Borstel-Hohenraden – eine jährliche Grundgebühr von 80 bis 200 Euro je Haushalt an.
AZV arbeitet nicht gewinnorientiert
Die Durchschnittsgebühr für Schmutzwasser in diesen 14 Kommunen im Kreis Pinneberg beträgt also 2,63 Euro je Kubikmeter, was ziemlich genau der aktuellen Gebühr in Hemdingen entspricht. AZV-Sprecherin Eckert begründet diese unterschiedlichen Gebühren so: „Der AZV Südholstein führt für jedes Ortsnetz einen eigenen und unabhängigen Gebührenkreislauf. Damit ist gewährleistet, dass die Bürgerinnen und Bürger einer Kommune genau für die Dienstleistungen bezahlen, die ihnen vor Ort zur Verfügung stehen.“
Und: „Der Verband arbeitet nicht gewinnorientiert. Kostenüber- oder Unterdeckung sind der Gebührenausgleichrückstellung zuzuführen und in einem Zeitraum von bis zu drei Jahren auszugleichen.“
Abwassergebühren von anderen Geschäften nicht beeinträchtigt
AZV-Rebell Ramcke zweifelt das an. Vor allem will ihm nicht einleuchten, wie der AZV die Verluste von rund sechs Millionen Euro, die das inzwischen abgestoßene und rechtswidrige Breitband-Abenteuer forderte, aus der Gebührenkalkulation heraushalten will. „Werden die enormen Schulden des AZV seither mit unseren Abwassergebühren getilgt?“, fragt sich Ramcke genauso wie bereits die erfolgreichen Kläger aus Hemdingen, die nicht namentlich genannt werden möchten.
Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, beteuert AZV-Sprecherin Eckert. „Die Abwassergebühren wurden und werden durch den damaligen Verkauf des Breitbandnetzes nicht beeinträchtigt.“ Entsprechende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seien Anfang 2019 „mangels Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden“.
Der 5,8 Millionen-Euro-Verlust werde seit 2018 in der Bilanz vorgetragen und jedes Jahr durch die Verzinsung des Eigenkapitals ein Stück weit abgetragen. Aktuell betrage der Verlust noch 4,5 Millionen Euro. Im abgelaufenen Jahr 2020 habe der AZV bei 31,7 Millionen Kubikmeter Abwasser und einem Umsatz von 44,8 Millionen Euro einen Überschuss von 670.000 Euro erzielt. Kathrin Eckert sagt aber auch: „Grundsätzlich liegt die Entscheidung über eine Aufgabenübertragung bei der jeweiligen Kommune. Eine Rückübertragung ist möglich.“
Viele Hemdinger Politiker unterstützen Ramcke nicht
Genau das will Ramcke mit seiner Initiative erreichen. Hemdingens Bürgermeister Hans-Hermann Sass, dessen Wählergemeinschaft sechs der 13 Mandate vertritt, ist strikt dagegen. Er sagt: „Dass wir dem AZV unser Abwassernetz komplett übertragen haben, war und ist eine vernünftige Lösung.“ Allein die Wartung und Reparatur der alten Leitungen sei heute so kompliziert geworden, dass es dafür Spezialisten bedürfe. Die Gemeinde müsste externe Ingenieurbüros dafür engagieren, was viel teurer wäre.
Hemdingens SPD-Vorsitzender Helge Neumann unterstützt Ramckes Vorschlag ebenfalls nicht. „Wir haben gute Erfahrungen mit dem AZV gemacht“, sagt er. Einzig Lars Karoleski vom CDU-Fraktionsvorstand ist auf seiner Seite: „Ich persönlich finde es gut, was Klaus Ramcke da durchzieht.“ Für ihn steckt in der Gebührenkalkulation „der große Wurm drin“, sagt Karoleski.