Kreis Pinneberg. Apothekerkammer ruft zum Streik auf. Grund: geplantes Gesetz könnte zusätzliche Zahlungen an die Krankenkassen bedeuten.

Die Apotheker und Apothekerinnen im Land sind auf der Zinne. Am kommenden Mittwoch, 19. Oktober, werden sie erstmals seit vielen Jahren wieder streiken. Die Apotheker ärgern sich über eine Gesetzesnovelle, die ihnen 13 Prozent zusätzliche Abgaben an die Krankenkassen abverlangen soll. Über dieses Gesetzesnovelle berät der Bundestag am 20. Oktober.

Kreis Pinneberg: Warum Apotheker in der Region streiken

Landesweit beteiligen sich nach Angaben des Vorsitzenden des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, Hans-Günter Lund, nach einer Umfrage unter den Kollegen 87 Prozent der 595 Mitglieds-Apotheken bei insgesamt 608 Apotheken in Schleswig-Holstein. „Der Bock ist fett. Wir haben jetzt keine Lust mehr“, sagt Lund. „Das lassen wir uns nicht mehr gefallen“, sagt Lund, der betont, dass die Notdienste vom Streik nicht betroffen sind.

Auch im Kreis Pinneberg werden fast alle Apotheken am Mittwoch ihre Türen um 12 Uhr zuschließen. „Wir sind im Moment die Melkkuh der Nation“, schimpft Christoph Schostek von der Flora-Apotheke in Pinneberg, der Vorstandsmitglied der Apothekerkammer ist, die zu diesem landesweiten Ausstand aufgerufen hat.

Christoph Schostek, Inhaber der Flora-Apotheke in der Stadt Pinneberg: „Wir sind im Moment die Melkkuh der Nation.“
Christoph Schostek, Inhaber der Flora-Apotheke in der Stadt Pinneberg: „Wir sind im Moment die Melkkuh der Nation.“ © Henrike von Usslar | Henrike von Usslar

„Das Maß ist voll. Hier wird eine Grenze überschritten, die wir nicht mehr mitmachen werden“, ärgert sich auch Kollege Christian Stolzenburg von der Erlen-Apotheke in Ellerbek, der dem Vorstand des Apothekerverbandes angehört. „Das werden viele Apotheken nicht überstehen“, warnt Christopher Schwartz von der Adler-Apotheke in Pinneberg, der allein 45 Mitarbeitende in seinen zwei Apotheken an der Drostei und in Waldenau beschäftigt. „Der Streik ist unumgänglich“, sagt er.

In den vergangenen Jahren hat Schleswig-Holstein 100 Apotheken verloren

„Acht Kollegen haben bereits dieses Jahr aufgegeben“, sagt Landesvorsitzender Lund, der mit neun Beschäftigten eine Apotheke in Leck (Kreis Nordfriesland) betreibt. Im vergangenen Jahrzehnt habe Schleswig-Holstein mehr als 100 Apotheken verloren. „Wenn das so weitergeht, sind es in drei Jahren nur noch 400 Apotheken im Land“, glaubt Apotheker und Kammer-Vorstand Schostek. Dann müssten Patienten im ländlichen Raum bis zu 80 Kilometer weit fahren, um die nächste Notdienst-Apotheke zu erreichen.

Worum es bei dem Ärger geht, erläutert Gunnar Stehr von der Pinnau-Apotheke in Quickborn. So sollen die Apotheken künftig statt 1,77 Euro zwei Euro an die Krankenkassen für jede Arzneimittelpackung abführen, für die sie seit 2013 unverändert 8,35 Euro vergütet bekämen. Darüber entscheidet der Bundestag am kommenden Donnerstag, 20. Oktober, also einen Tag nach dem Apotheker-Streik.

Krankenkassen verdienen an den Apotheken ordentlich mit

Zusätzlich erhalten sie seit 2004 drei Prozent vom Apothekeneinkaufspreis der Medikamente, der seit Jahren gedeckelt sei. Die Einnahmen der Apotheken würden aber nicht nur um diese 13 Prozent auf einen Schlag reduziert werden, die bundesweit eine Einsparung von 120 Millionen Euro erbringen soll, führt Stehr weiter aus. Er müsse neuerdings 150 Euro im Monat an seine Großhändler bezahlen. „Sonst beliefern die mich nicht mehr mit Medikamenten.“

Hinzu käme das Risiko, dass der Gesetzgeber die Herstellerrabatte in Höhe von sieben Prozent an die Krankenkassen auf die Apotheken abgewälzt habe, erläutert Stehr. Zwei Monate lang hätten die Krankenkassen Zeit, diese Honorare an die Apotheken auszuzahlen. „Den Rabatt müssen wir uns dann von den Arzneimittelherstellern zurückholen.“ Das habe in der Vergangenheit auch recht gut geklappt. Aktuell allerdings würden immer mehr Hersteller insolvent gehen. „Dann bleiben wir auf diesen Kosten sitzen.“

Und für Hilfsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel zögen ihnen die Krankenkassen bereits 15 Prozent vom Einkaufspreis ab, sodass sie diese Angebote kaum noch wirtschaftlich kalkulieren könnten. „Das ist ein Unding und bei Weitem nicht mehr kostendeckend“, klagt Stehr über das Dilemma. „Aber ich kann und will auch meine Kunden nicht auspressen.“

Apotheken leiden auch unter steigenden Personal- und Energiekosten

Für die Apotheker ist das Vorgehen des Bundesgesundheitsministeriums völlig unverständlich und lässt sie auf die Barrikaden gehen. Gerade in der Corona-Pandemie hätten sie zusätzliche medizinische Aufgaben wie das Impfen, Testen, Verteilen von Masken und Desinfektionsmitteln übernommen. „Das haben wir auch gerne gemacht“, sagt Verbandschef Lund. Gedankt werde ihnen dies nun aber mit diesen gravierenden Abzügen ihrer Einnahmen. „Und wir haben keine Möglichkeiten, das zu kompensieren“, sagt Lund. Die steigenden Personal- und Energiekosten kämen ohnehin noch oben drauf. Einige Kollegen und Mitarbeitende habe der ganze Stress bereits in den Burnout getrieben, betont Apotheker Schostek.

Schon allein die seit Jahren stagnierenden Einnahmen würden angesichts der steigenden Kosten und der jetzigen Inflation ein erhebliches Ungleichgewicht der eigenen wirtschaftlichen Situation bedeuten, erklärt Adler-Apotheker Schwartz. Und nun werde vom Gesetzgeber noch draufgesattelt. „Das überleben viele Apotheken nicht“, sagt Schwartz. Und Kollege Stolzenburg warnt: „Jetzt wird es gefährlich.“

Kreis Pinneberg: Weniger Apotheken als im EU-Schnitt

Dabei würden die Apotheken sehr zur Eingrenzung der Ausgaben im Gesundheitssystems beitragen, betont Erlen-Apotheker Stolzenburg. So sei der Gesamtanteil der Apotheken an den Ausgaben der Krankenkassen seit 2005 von 2,8 auf 1,9 Prozent gesunken. Und mit den Rabattabschlägen, die die Apotheken von den Arzneimittelherstellern für die Krankenkassen eintrieben, sparten sie den Kassen jährlich 5,1 Milliarden Euro ein. Während die Apotheken insgesamt 5,5 Milliarden Euro einnähmen. Unter dem Strich erwirtschafteten sie so fast die gesamten Ausgaben der Kassen für ihre Branche.

Bundesweit gibt es nach Angaben der Kammer noch 18.461 Apotheken (Stand Ende 2021). Das entspricht 22 Apotheken für jeweils 100.000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. EU-weit liege der Durchschnitt aber bei 32 Apotheken für jeweils 100.000 Einwohner.