Kreis Pinneberg. Unbezahlbare Flugtickets und Restaurantbesuche, Rückkehr zu Kohle – kommt die Menschheit überhaupt voran?

Manchmal wähne ich mich wieder in meiner Kindheit. 50er, 60er Jahre. Bevor Sie jetzt vermuten, der Schröter vergreist allmählich und lebt deshalb vornehmlich in der Vergangenheit, rufe ich zum Faktencheck auf. Die Lufthansa verkauft im Juli nur noch Flugtickets im Hochpreistarif. Flüge nach Paris oder London kosten mehr als 1000 Euro, das Hin-und-her-Ticket Hamburg-Frankfurt über 600 Euro.

Fliegen, Essengehen – alles wird teurer

Gemäß Vergangenheitsumrechnungstabelle (was für ein schönes Wort – wer, bitte, entwickelt eine passende App dazu?) wären das über 2000 bzw. 1200 D-Mark. Soviel wie früher, als nur Reiche, Wichtige und Angeber im Flugzeug reisten. Diese Klientel ist auch die Einzige, die sich noch Gastronomie jenseits des Fastfood-Levels leisten kann. In meiner Kindheit gingen Normalo-Familien auch nur alle Jubeljahre ins Restaurant.

Die Russen stehen wieder auf der dunklen Seite der Macht. Wir erwägen eine allgemeine Wehrpflicht und kaufen neue Kampfflugzeuge, die hoffentlich länger oben bleiben als damals die „Starfighter“. Gas ist aus. Wir werden wieder mit Kohle heizen. Wie früher. Eben las ich von einem Start-up-Unternehmen, welches am Automobil der Zukunft tüftelt. Es sieht aus wie ein Messerschmitt-Kabinenroller 200, gebaut von 1955 bis 1964. Der hatte 10,2 PS und einen Preis von 2395 Mark. Moderne Lastenräder kosten gerne mal das Fünffache. Dafür hat nur die Last ein Dach, der menschliche Motor braucht keines – der schwitzt beim Strampeln derartig, dass Regentropfen bereits verdampfen, bevor sie die Goretex-Klamotten durchdringen.

Und was hat das mit Corona zu tun?

Was das mit Corona zu tun hat? Einfach alles. Corona ist anscheinend das Einzige, was uns noch von der kompletten Rückwärtsrolle in die Ära meiner Kindheit trennt. Sowas gab’s damals nicht. Der Fortschritt ist demnach ein Virus. Es wird auch nicht verschwinden, man achte auf aktuelle Inzidenzen und die vorherrschende Politik, den nunmehr dritten Pandemiesommer verstreichen zu lassen, ohne einen griffigen Plan für den Herbst zu entwickeln.

Selbst wenn ich mit Kohle heize, mir den Restaurantbesuch verkneife, mein solides Verbrenner-Auto gegen einen fragilen Kabinenroller eintausche und fortschreitende Vergreisung meinen Gegenwartsbezug verkalkt, wird mir angesichts der Masken-Mitmenschen, Veranstaltungsabsagen und Lieferkettenprobleme verlässlich bewusst sein, dass meine Kindheit lange vorbei und dies die Realität des 21. Jahrhunderts ist.

Wie lange Corona bleiben wird? Für immer, schätzungsweise. Weil wir damit nicht umgehen können. Meine in einer Apotheke arbeitende Frau berichtet mir regelmäßig von Menschen, die – heute noch! – ins gut besuchte Geschäft drängen, sich umständlich irgendwas aussuchen, quer durch den Saal husten, dann einen positiven Schnelltest auf den Tresen legen und abschließend lauthals verkünden: „Ich hab‘ Corona, wo kann ich mich testen lassen?“ Die Menschheit wird nicht am Virus sterben. Eher an der eigenen Dummheit.

Das war allerdings auch in meiner Kindheit schon so.