Helgoland. Einst Lager der Fischer, sind die unter Denkmalschutz stehenden Hütten heute Touristenmagneten, Galerie – oder Standesamt.
Wie ein buntes Band reihen sich die Holzhäuschen am Binnenhafen auf. Die Helgoländer Hummerbuden sind wie die Lange Anna ein Wahrzeichen der Nordseeinsel. Es waren die ersten Bauten, die 1952 nach der schrecklichen Zerstörung vom 18. April 1947 durch die Engländer wieder errichtet wurden und den Helgoländer Fischern als erste Bleibe dienten. Später waren es Lager und Werkstätten.
Ende der 90er-Jahre ändere sich das. Die Gemeinde hatte Pläne, die denkmalgeschützten Hummerbuden für den Tourismus zu erschließen und boten diese zum Kauf an. Unter dem Motto „Kunst, Kultur und Knieper“ sollte neues Leben in die Hütten einkehren – mit Erfolg.
Helgoland: Wie die Hummerbuden zu einem Wahrzeichen der Insel wurden
„Wenn ich einen Feuerstein finde und ihn verkaufen möchte, wie viel Geld bekomme ich dann?“, fragt ein Junge. Er sitzt mit seinen Mitschülern vor der Bude 31 und wittert offenbar ein gutes Geschäft. Ladenbetreiber Jan Ludwig erklärt den Kindern gerade, was das Besondere am Helgoländer Feuerstein ist und wie man ihn überhaupt erkennen kann.
Der rote Flint ist eine geologische Besonderheit. Während der Feuerstein anderswo innen schwarz ist, wurden die rot-braunen Färbungen bisher nur auf Helgoland gefunden. Ihn zu finden erfordert Erfahrung und ein wenig Glück. Äußerlich grau-weiß bis schwarz gefärbt lässt sich nur schwer auf die innere Färbung schließen. „Gäste können mit ihren Funden gern zu mir kommen – ich helfe ihnen, diese zu bestimmen“, sagt Jan Ludwig, der den Schnack mit den Gästen genießt.
Was den Helgoländer Feuerstein so besonders macht
Er hat das Geschäft von seiner Mutter Inger Ludwig, einer Schmuckdesignerin, übernommen. Ihr Mann Hans Stühmer, ein Gesteins- und Fossiliensammler, hatte sie auf die Idee gebracht, den Roten Feuerstein zu edlen Schmuckstücken zu verarbeiten. Während der rote Flint bereits in der Steinzeit zu Steinbeilen und Pfeilspitzen verarbeitet wurde, werden in Ludwigs Werkstatt daraus heute Schmuckstücke und beliebte Souvenirs. Dafür sägt er die Steine mit der Diamantsäge in Scheiben und poliert diese sorgfältig. „Die Silberfassungen lasse ich von einem Goldschmied anfertigen“, sagt Jan Ludwig.
Das nächste Seebäderschiff hat die Tagesgäste ausgespuckt, die nun im Pulk Richtung Einkaufsstraße ziehen. Dabei kommen sie an der Hummerbude „Bunte Kuh“ vorbei. Einige bleiben stehen, studieren die Speisekarte des rustikalen Fischrestaurants mit gutbürgerlicher und Helgoländer Küche und maritimem Dekor. „Besonders beliebt sind bei unseren Gästen vor allem die Helgoländer Knieper und der Pannfisch nach Art der Hauses. Außerdem sind wir für unsere Cocktails berühmt“, sagt Pächterin Jasmin Ventura, die zunächst hier kellnerte und 2012 dann die Geschäfte übernahm.
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Hummerbuden sind ein Heim für Künstler und Kreative
Derzeit sind die Zeiten schwierig. Nach den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie sind es nun die steigenden Kosten für Energie und Lebensmittel durch den Ukraine-Krieg. „Ich muss jede Woche neu kalkulieren“, sagt Ventura, die vor 17 Jahren von Delmenhorst nach Helgoland kam. Übrigens: Auch wenn eine bunte Kuh am Eingang steht – das Restaurant ist benannt nach einer Hansekogge, die als Galionsfigur einen Kuhkopf trug. Mit ihr hatten die Hamburger Kaufleute den berühmt-berüchtigten Seeräuber Klaus Störtebeker besiegt und gefangen genommen.
Die Künstlergruppe Paradox wurde auf Initiative von B. J. Antony 1996 als freier Zusammenschluss bildender und darstellender Künstler gegründet, um gemeinsam Ausstellungen und umfangreiche Kunstprojekte durchzuführen. Insgesamt sind unter dem Dach mehr als 100 internationale Künstler organisiert, die ein vielfältiges Spektrum zeitgenössischer Kunst repräsentieren. Die Kunstbude steht auch anderen Künstlern offen. Für zwei Wochen hat die Schnitzerin Ragna Reusch aus Ahausen die Bude bezogen.
Helgoland: Aus Zahnstochern werden Meerschweinchen
„Ich habe schon als Kind mit meinem Vater geschnitzt“, sagt sie. Im kleinen Format spezialisierte sie sich auf das Bearbeiten von Zahnstochern, aus denen mit Hilfe eines Taschenmessers filigrane Figuren entstehen. Von den Helgoland-Besuchern nimmt sie gern auch Wünsche entgegen. Eine Frau hätte gern ein Meerschweinchen, ein Mann wünscht sich einen Taucher. „Im großen Format arbeite ich hauptsächlich mit der Kettensäge“, sagt Reusch. Dann schält sie aus einem Stück Eiche wie bei einer Zwiebel nach und nach Frauen mit Rundungen auf zumeist roten Pumps heraus.
„Männer lassen sich nicht so übertreiben, ohne dass sie albern wirken“, sagt die Künstlerin. Frauen würden hingegen durch Übertreibung immer toller, an Grazie und Lebensfreude gewinnen. Für sie stehen die Figuren für ein selbstbestimmtes Leben – auch mal im Handstand oder in der Standwaage. Die Kettensäge hat sie zu Hause gelassen. Die Insel soll emissionsarm bleiben und niemand durch Motorenlärm belästigt werden. Sie sitzt vor der Hummerbude und schnitzt. Gästen zeigt sie in Kursen gern, wie es geht.
Ihre Arbeit in einer Hummerbude präsentieren zu dürfen, empfindet Ragna Reusch als Privileg und wunderbare Abwechslung. „Das ist ein bisschen wie Urlaub“, sagt die gebürtige Eutinern. Die Nachbarn seien hilfsbereit und nett. Sie will im September 2023 wiederkommen.
Helgolands Inselfotografin Lilo Tadday zeigt in der Hummerbude ihre Arbeit
Der Basstölpel schaut dem Betrachter direkt in die hellblauen Augen. Fotografin Lilo Tadday hat den Fokus auf das Gesicht des Vogels gerichtet. Das Foto hängt in der der Hummerbuden-Galerie der Inselfotografin. Ihr Mann Klaus Furtmeier berät gerade einen Kunden. „Meine Frau begleitet heute ein Brautpaar auf der Insel“, sagt der ehemalige Tourismusdirektor von Helgoland. Der 60-Jährige ist 2017 in das Geschäft seiner Frau eingestiegen, übernimmt vor allem die administrativen Aufgaben, sodass sie sich auf das Fotografieren konzentrieren kann.
„Unser wichtigster Kundenkreis rekrutiert sich vor allem aus naturinteressierten Urlaubern“, so der gebürtige Münchner, der 2007 auf die Insel kam. Lilo Tadday ist bekannt für ihre Helgoland-Motive – vom Hummerfischer über Kegelrobben bis hin zum roten Felsen. Bei Ausstellungen empfinde sie sich auch als Botschafter der Naturbühne Helgoland, so die gebürtige Karlsruherin. Sie betreibt seit 1998 die Mini-Fotogalerie. Reisen führten die Wahl-Helgoländerin rund um den Globus. 2001 und 2006 war Lilo Tadday mit dem Forschungsschiff „Polarstern“ in der Antarktis unterwegs.
Gleich nebenan, in der Hummerbude des Fördervereins Museum Helgoland e.V., kann geheiratet werden. „Wir vermieten an das Standesamt der Gemeinde“, sagt der Vorsitzende Rudolf Mensendiek. Als ein Hamburger 2019 einen 800 Gramm schweren und knapp 15 Zentimeter langen Bernstein am Weststrand fand, kaufte Mensendiek, der auch den Bielefelder Hof auf Helgoland betreibt, den wertvollen Fund für das Museum. Auch die in einem Nachlass wiederentdeckten Glasplatten des bekannten Helgoländer Fotografen Franz Schensky wurden Dank des Fördervereins restauriert und für die Öffentlichkeit erhalten. Der Verein wurde 1981 gegründet und hat heute circa 200 Mitglieder.