Kreis Pinneberg. Mit steigenden Kosten und Ämtern an der Belastungsgrenze ist der soziale Frieden in Gefahr. So ist die Situation in Pinneberg.

Corona, Krieg, Energiekrise: Die Auswirkungen dieses Dauer-Notstandes bekommen vor allem Hilfsbedürftige und finanziell schwächer gestellte Menschen zu spüren – und es werden immer mehr im Kreis Pinneberg. So ist etwa die Zahl der Wohngeldempfänger zuletzt um 30 Prozent gestiegen.

Kreis Pinneberg: Immer mehr Menschen brauchen finanzielle Unterstützung

Das soziale Ventil für mehr Gerechtigkeit und gegen behördliche Willkür ist die Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni mit ihrem 22-köpfigen Team. Und vielleicht war ihre Arbeit nie wichtiger als jetzt. Sie tragen entscheidend zum sozialen Frieden in Schleswig-Holstein bei. Rund 5000 Beschwerden erreichen sie jedes Jahr. In 3302 Petitionen im Jahr 2021 musste sie wegen fehlender sozialer und finanzieller Unterstützung bei der Grundsicherung (651), Krankenversicherung (502) oder dem Kindergeld (149) zwischen Bevölkerung und Verwaltungen vermitteln. „Ich habe zu wenig Geld. Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sei meist der resignierende Grundtenor.

Am kommenden Montag, 29. August, wird sie erstmals im Elmshorner Kreishaus eine Sozialsprechstunde abhalten. Bürgerinnen und Bürger, die Probleme mit Hartz-IV, Grundsicherung, Sozialhilfe, Wohngeld oder Leistungen haben, wird sie in halbstündigen Sprechzeiten von 11 bis 15 Uhr beraten (siehe Infotext). Wenn es nötig sein sollte und nicht alle Anfragen beantwortet werden könnten, werde sie noch in diesem Jahr zu einem weiteren Sprechtag ins Kreishaus kommen, verspricht Samiah El Samadoni.

Warnung der Bürgerbeauftragten: Das soziale Klima wird sich verschärfen

Denn das soziale Klima wird sich verschärfen, warnt die Bürgerbeauftragte. Durch die schon zwei Jahre anhaltende Dauerkrise mit dem Corona-Lockdown und dem Ukrainekrieg seien die Menschen müde und erschöpft, sagt sie. Dieser permanente Alarmzustand werde jetzt durch eine zunehmende Existenzangst durch die steigende Inflation und explodierende Energiepreise verstärkt. Viele Verbraucher und Mieter wüssten nicht, wie sie im kommenden Winter ihre Heizung bezahlen sollen, sagt Samiah El Samadoni. „Das dicke Ende kommt im Januar 2023, wenn die Leute ihre Abrechnung für die Heizkosten bekommen, die sie nicht mehr tragen können.“ Das treibe die Bürger zurzeit um, sagt sie. Viele Stadtwerke und Energieversorger müssten mit Einnahmeausfällen rechnen.

Wer dadurch in soziale Schieflage gerate und Anspruch auf staatliche Leistungen habe, müsse diese aber sofort – noch im Januar – anmelden, sagt El Samadoni. Nur dann könnte er finanzielle Unterstützung für die Nachzahlung der Heiz- und Stromrechnung erhalten, warnt sie. „Das weiß kein Bürger, der bisher noch keine Leistung bezogen hat. Das ist ein echtes Drama.“ Hier gebe es einen Anspruch, der aber an bestimmte Fristen gebunden sei. Sie werde sich als Bürgerbeauftragte bei den Behörden und dem Landtag dafür einsetzen, dass diese Gelder auch an die Bedürftigen ausgezahlt werden, wenn sie zu spät beantragt werden sollten.

Kreis Pinneberg: Bedürftigkeit hat stark zugenommen

Wie rasant sich die Bedürftigkeit entwickelt, zeigt auch der aktuelle Bericht zur Sozialplanung, den der Kreis Pinneberg gerade erstellt hat. Demnach hat sich allein im Jahr 2020 die Zahl der Mieter, die Wohngeld beantragen mussten, um fast 30 Prozent und 425 Haushalte auf 1905 Betroffene erhöht. Im Durchschnitt erhält jeder von ihnen 206 Euro im Monat, 25 Euro mehr als im Durchschnitt des Landes. 19.325 Menschen im Kreis Pinneberg sind derzeit auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, 2150 Senioren müssen ihre Rente mit Grundsicherung aufstocken.

Für die Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni ist es darum von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten auch Gehör finden bei den zuständigen Stellen. Immer noch gebe es Rathäuser und Verwaltungen, die den Corona-Lockdown verlängerten und nicht öffentlich zugänglich seien. Oder Bürgerinnen und Bürger müssten ihren Besuchstermin zuvor erst online anmelden, was für manche ältere, nicht internetaffine Bürger eine unüberwindbare Hürde darstelle. „Andere rufen an, schreiben E-Mails, aber ihr Begehren landet im Nirgendwo“, fasst El Samadoni zusammen.

Viele Ämter haben den Kontakt zu hilfsbedürftigen Bürgern verloren

Offenbar habe sich im Zuge der Corona-Pandemie eine gewisse „Abschottung im Home-Office“ breit gemacht, durch die die Betroffenen die Ansprechpartner in den Behörden nicht mehr erreichen könnten. Der zunehmende Fachkräftemangel befeuere dieses Dilemma. Und eine Grundhaltung in manchen Verwaltungen, die da denke: „In Ruhe lässt sich doch am besten arbeiten. Der Bürger mit seinen Anfragen stört da nur“, kritisiert Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni.

Ein Vorwurf, den Landrätin Elfi Heesch nicht für den Kreis Pinneberg gelten lassen will. Zwar hätten sich durch Corona die Arbeitsschwerpunkte verändert und auf den Gesundheitsbereich konzentriert. Aber die Leistungsverwaltung sei davon nicht betroffen gewesen. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass sie ihr Geld kriegen. Wir verstehen uns als ihre Dienstleister.“ Aber auch der Kreisverwaltung falle es schwer, freie Stellen nach zu besetzen.

Kreis Pinneberg soll aus Fehlern der Vergangenheit lernen

„Aus Fehlern wollen wir lernen. Nur so können wir uns verbessern“, sagt die Verwaltungschefin und kündigt an, im Schriftverkehr mit den Menschen eine einfachere, verständlichere Sprache anzuwenden. „Unsere Kommunikation soll bürgerfreundlicher werden. Aber auch wir müssen erst lernen, anders zu sprechen.“ Ein Beamter, dem jahrelang eintrichtert worden sei, lieber den Gesetzeswortlaut zu zitieren, um rechtskonform zu sein, brauche Anleitung zum Umdenken.

Das betreffe vor allem auch die Satzbausteine in den Verwaltungen und bestimmte Begriffe, rät Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni. Statt des Wortungetüms „Rechtsbehelfs-Belehrung“ könnte es in den Schreiben auch heißen: „Ihre Rechte, wenn Sie nicht einverstanden sind“, schlägt sie vor. „Wir sind auch ganz oft die Übersetzer der Verwaltung.“