Hetlingen. Enkel der letzten Leuchtturmwärter von Julssand erinnern sich an ihre Kindheit. Was es mit dem Gebäude auf sich hat.
Die Fenster sind zugemauert, die Tür verbarrikadiert. Das weiße Gebäude mit dem markanten Turm ist eingezäunt. Dabei kommt sowieso kaum eine Menschenseele an diesen verlassenen Ort. Denn das Leuchtfeuer Julssand befindet sich im Naturschutzgebiet Haseldorfer Binnenelbe mit Elbvorland. Das bedeutende Rast- und Brutgebiet für Zugvögel darf nur einmal im Jahr auf einer Führung von Naturschützern besucht werden. Julssand ist kein Leuchtturm – und doch hat das Gebäude 110 Jahre mit seinem Licht geholfen, die Schifffahrt auf der Elbe sicherer zu machen.
Kreis Pinneberg: Erinnerungen an das Leuchtfeuer Julssand
Julssan̩d war zunächst eine Insel in der Unterelbe an der Hetlinger Schanze und gehörte ab 1928 zu Hetlingen. Durch Sandanschwemmungen und Veränderungen des Flussbettes verlandete der Arm der Unterelbe. Die ehemalige Insel ist heute direkt mit der Hetlinger Schanze verbunden. Die Insel war von 1704 an durchgehend bewohnt, bis Julssand 1984 zum Naturschutzgebiet wurde. Das kaum erreichbare Leuchtfeuer an der Westspitze von Julssand ist vom Wasser aus zu sehen und für viele ein Sehnsuchtsort.
Wie eine weiße Kapelle steht das 1896 erbaute Gebäude an der Elbe. Bis zum 11. Januar 2010 war es das älteste in Betrieb befindliche Leuchtfeuer an der Unterelbe. Dann wurde es aus Sicht der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes nicht mehr gebraucht. Sein Feuer erlosch endgültig. Das Bauwerk markiert aber weiterhin die Einfahrt zum Dwarsloch und damit zum Haseldorfer Hafen.
„Es steht unter Denkmalschutz“, erzählt Uwe Helbing, Nabu-Schutzgebietsbetreuer im Elbmarschenhaus. Er bietet einmal im Jahr nach der Brutzeit und vor dem Eintreffen der Rastvögel gemeinsam mit Edelgard Heim die Exkursion zum Leuchtfeuer an und kennt viele Geschichten und Fakten rund um das markante Gebäude. „Das Feuer wurde anfangs mit Petroleum betrieben und mit einer 56 Zentimeter hohen Gürtellinse gebündelt. 1928 wurde das Feuer mit einem Gasglühlichtbrenner auf Flüssiggas umgestellt.“
Nach der Elektrifizierung wurde die letzte Leuchtturmwärterin arbeitslos
Zuvor stand an gleicher Stelle eine hölzerne Leuchtbake mit Pyramidendach. Sie wurde 1873 errichtet. Die Laterne war mit einer Gürtellinse und einem Petroleumbrenner ausgestattet. 1965 wurde der Leuchtturm elektrifiziert und zwei Jahre lang automatisiert. Damit verließ die letzte Leuchtturmwärterin Anna Eilers das Dienstgebäude.
Sehr persönliche Einblicke bietet Autor Reimer Boy Eilers, Enkel der Eilers, gleich zu Beginn seines neuen Buches „Der Untergang der Weißen Klippe“, an dem er aktuell arbeitet. „Entweder träumte ich in Großmutters Küche den großen Pötten hinterher, die in alle Welt hinausfuhren und dabei an dem Eiland draußen im Meer vorbeikommen mussten. Oder ich hörte meiner Oti zu, die von Helgoland erzählte“, schreibt er.
Sein Großvater Andreas, Dreesken gerufen, war auf Helgoland Lotse gewesen und hatte als Flüchtling das Licht-Lotsenamt in den Elbmarschen übernommen. „Turm und Wohnhaus zusammengenommen standen da wie ein weißes Schloss am Strom. Wir nannten es Casa Blanca. Wenn ich aus der elterlichen Baracke hinter dem Deich hinaus auf die Leuchtturmwarft durfte, war es ein Wechsel in eine andere, verwunschene Welt.“
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Während einer Sturmflut: Riskanter Ausflug zu den Tieren
Bei einer Sturmflut entwischte er seiner Oma und unternahm einen riskanten Ausflug zu den Rindern und Schafen auf den Wurten. „Die Wiesen waren von Gräben durchzogen, die der Entwässerung der Marsch dienten und über die nur fußbreite Planken führten. Jetzt waren die Gräben dem suchenden Blick entzogen, und die Planken musste ich mit dem Fuß ertasten. Schwimmen konnte ich damals noch nicht.
Als meine Oti mich in ihrer Küche wieder in die Arme schließen konnte, weinte sie vor Freude und Erleichterung. Danach ging eine gewaltige Standpauke wie eine zweite Sturmflut über mich hernieder“, so Eilers, der damals mit seinen Eltern in Holm zunächst in einer Flüchtlingsbaracke lebte und seine Großeltern oft besuchte. „Einmal in der Woche legte ein Schiff des Wasser- und Seefahrtsamtes an und brachte meine Tante zum Einkaufen nach Wedel und wieder zurück“, erzählt Eilers. Das Schiff legte am Stack an und man musste mit der Leiter über den Bug aus- und einsteigen. Und noch heute würden beim Geruch von Petroleum – im Wohnzimmer hing eine Petroleumlampe – Kindheitserinnerungen wach, so Eilers.
Hans-Joachim Selle wohnte sogar mit seiner Familie auf Julssand
Hans Joachim Selle wohnte sogar auf Julssand. „Ich war damals zehn Jahre alt, als wir am 1. Juni 1951 dort hinzogen. Die Schule in Hetlingen war sieben Kilometer entfernt“, sagt er. Das bedeutete eineinhalb Stunden Fußmarsch. Die Bedenken seiner Oma Oti wischte er weg, indem er erklärte, auch jeden Tag ohne zu Murren in die Schule zu gehen. Der Weg ging durch insgesamt sechs Priele, die mit schmalen Eisenträgern oder Holzbohlen überbrückt wurden. „Darüber musste man sich, das Gepäck und später auch das Fahrrad, balancieren“, so Selle. Seine Oti sei auch einmal reingefallen.
Das neue Domizil, bestehend aus Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer der Großeltern im Erdgeschoss und ein Schlafzimmer oben für Mutter und Sohn, beschreibt er so: „Angrenzend das Besucherzimmer schräg unter dem Dach, nur mit einfachen Schlafmöglichkeiten ausgerüstet.
Aber von hier aus konnte man die Schwalben im Nest unter dem Dachvorsprung beobachten. Mein Nachtschränkchen neben dem Bett war eine hochkant gestellte Apfelsinenkiste vom Treibgut mit vorgehängten Tuch. Ein Bad gab es nicht. Man musste sich in der Küche unter der Pumpe mit der Waschschüssel waschen. Das Regenwasser wurde in einer Zisterne im Keller aufgefangen.“ Die Öfen wurden mit Treibholz beheizt. Draußen stand ein Plumpsklo.
Kreis Pinneberg: Hamburger Investor kauft Leuchtturm Julssand
Im Jahr 2017 wurde der alte Leuchtturm Julssand an einen Investor aus Hamburg verkauft. Passiert ist seither allerdings nichts. Der neue Besitzer hat strenge Auflagen bekommen. Das Gebäude, dass ohne Strom- und Wasserversorgung ist, darf nicht verändert werden. „Er darf nicht mal eine Solaranlage installieren“, sagt Helbing. Außerdem kann er nur mit einem Boot an den Leuchtturm herankommen. „Auch ihm bleibt das Betreten des Naturschutzgebietes untersagt“, sagt Uwe Helbing.
Das Wasser- und Schifffahrtsamt hatte damals die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben beauftragt, die Immobilie meistbietend zu versteigern. Das wäre nur zu verhindern gewesen, wenn die Gemeinde sie gekauft und für einen öffentlichen Zweck genutzt hätte. Doch Pläne, in dem maritimen Wahrzeichen ein Trauzimmer einzurichten, ließen sich nicht verwirklichen.