Quickborn/Itzehoe. Im Verfahren gegen Irmgard F. (97) sagt ein Bewacher des Lagers aus. Bruno D. (95) will die Ereignisse nur vom Hörensagen kennen.

Die Angeklagte ist seit Ende Mai 97 Jahre alt, der Zeuge 95: Beide werden am Dienstag in ihren Rollstühlen in den Saal des Landgerichts Itzehoe geschoben. Irmgard F. aus Quickborn muss sich seit Ende September 2021 vor der dortigen Jugendkammer wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen verantworten, weil sie von Juni 1943 bis April 1945 als Schreibkraft des Kommandanten im KZ Stutthof tätig war.

Bruno D., der jetzt als Zeuge geladen war, hat seinen Prozess hinter sich. 2020 verurteilte ihn das Landgericht Hamburg nach 45 Verhandlungstagen wegen Beihilfe zum Mord in über 5000 Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung. Das Urteil ist lange rechtskräftig, sodass der 95-Jährige nicht die Aussage verweigern durfte. Und so bemühte er sich am 20. Verhandlungstag gegen Irmgard F., auf die Fragen des Richters Dominik Groß zu antworten.

Ob Bruno D. dabei alle seine Erinnerungen an Stutthof preisgab, erscheint zumindest zweifelhaft. So konnte er auf die Fragen zu Randaspekten, etwa wie er als damals 16-Jähriger in die Kriegsmühle geriet, sehr ausführlich antworten. Was er dagegen von den Wachtürmen aus in dem Lager beobachtet hat, darüber wusste der 95-Jährige erstaunlich wenig zu sagen.

60.000 Gefangene kamen im KZ Stutthoff ums Leben

Bruno D. kam nach seiner militärischen Ausbildung bei der Wehrmacht im Juni oder Juli 1944 in das KZ, in dem mehr als 60.000 Gefangene ums Leben gekommen sind. Von den unmenschlichen Taten will der heute 95-Jährige, der bis zur Auflösung des Lagers im April 1945 dort war, nichts gesehen haben. Auf Nachfrage des Richters gibt er an, „von den Kameraden“ gehört zu haben, dass dort „Menschen vergast worden sein sollen“. Die Existenz der Gaskammer sei ihm bekannt gewesen – jedoch zu Zwecken der Desinfektion. Einmal will er gesehen haben, wie Menschen in die Gaskammer getrieben wurden und sich jemand auf dem Dach an etwas zu schaffen machte. „Ich habe nicht gesehen, dass die wieder rausgekommen sind.“

Auch von der Existenz des Krematoriums wusste der Zeuge. „Das war im Dauerbetrieb.“ Einmal will er dort heimlich reingeschaut haben („Das durften wir nicht“) und drei Öfen sowie viele Leichen gesehen haben. Leichen sah er in Stutthof täglich. „Die wurden morgens von den Mitgefangenen rausgetragen und auf einem Ackerwagen abtransportiert.“ Die Personen seien an Diphtherie verstorben. „Da war eine Epidemie ausgebrochen.“ Einmal seien Leichen auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden. An den beißenden Geruch, der laut Zeugen täglich über dem Lager gelegen haben soll, will sich Bruno D. nicht erinnern können. Auch an das Aussehen der Gefangenen nicht. Lediglich dass sie kahlgeschorene Köpfe hatten und gestreifte Kleidung trugen.

Vom Wachturm aus habe er Frauen im KZ gesehen, die zur SS gehörten. „Die hatten Uniformen an.“ Dass es Zivilangestellte wie Irmgard F. gab, die formal zur SS gehörten, davon will der 95-Jährige nichts gewusst haben. Er sei nie in der Kommandantur gewesen, habe keinen Kontakt zu den dortigen Personen gehabt. Den Kommandanten habe er einmal aus der Ferne gesehen. Die Vernehmung des Wachmanns musste nach zwei Stunden abgebrochen und kann erst Ende August fortgesetzt werden. Bis dahin hat die Kammer ein anderes Beweisprogramm geplant.