Quickborn/Itzehoe. Prozess gegen Irmgard F. aus Quickborn: Ex-LKA-Beamter hat einen ähnlich gelagerten Fall bearbeitet. Warum dieser eingestellt wurde.
Die Südwestpresse hat ihn Ende Juli 2019 als „Nazi-Jäger“ tituliert. Damals schloss Martin Bohn seine letzte Akte und ging in Pension. Zuvor war er beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg in der Sonderkommission „Ermittlungsgruppe Nationalsozialistische Verbrechen“ tätig.
Den Ruhestand musste der mittlerweile 63-jährige Kriminalhauptkommissar a. D. am Dienstag unterbrechen. Das Landgericht Itzehoe hatte ihn als Zeugen im Verfahren gegen Irmgard F. (96) aus Quickborn geladen, die zwischen 1943 und 1945 als Schreibkraft des KZ-Kommandanten in Stutthof tätig war und der Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen vorgeworfen wird.
Sieben Jahre hat Bohn bis zur seinem Ausscheiden in der „Inspektion 610“ des LKA in Stuttgart gearbeitet, hat viele Fälle von Nazi-Verbrechern in Baden-Württemberg betreut, die noch in hohem Alter angeklagt und zum Teil verurteilt wurden.
Ehemalige Beschuldigte kannte Irmgard F.
Mit dem Fall Irmgard F. hatte er nichts zu tun. Wohl aber mit einer Frau, die zur selben Zeit wie die Angeklagte als Zivilangestellte im KZ-Stutthof tätig war. Die damals 16-Jährige arbeitete ab 1. April 1943 zunächst in der Telefonzentrale, wechselte dann ein Jahr später in die Fernschreibstelle und blieb dort bis Februar 1945. Es handelt sich dabei nicht nur um einen vergleichbaren Fall, sondern es ergaben sich in der Vernehmung der Frau auch Hinweise, dass sie Irmgard F. kannte.
Die Zeugin selbst ist zwar zwei Jahre jünger als die Quickbornerin, jedoch nicht mehr transportfähig. Daher holten die Richter Bohn als damaligen Vernehmungsbeamten in den Zeugenstand. Der bestätigte der Kammer, dass seine Zeugin bei der Vernehmung im Oktober 2017 auf Nachfrage angegeben habe, Irmgard F. aus ihrer Zeit in Stutthof zu kennen.
Allerdings nur flüchtig. „Ja, die hat irgendwo als Sekretärin gearbeitet“, hatte sie laut dem Vernehmungsbeamten zu Protokoll gegeben. Und sie habe sich an Irmgard F. erinnern können, weil diese bitterlich geweint habe, als ihr Heimatort Marienburg von den Alliierten eingenommen wurde.
Keine weiteren Querverbindungen gefunden
Bohn gab an, die damaligen Ermittler hatten weiter nach Querverbindungen gesucht und auch die Kollegen in Itzehoe kontaktiert, wo zu diesem Zeitpunkt bereits das Ermittlungsverfahren gegen Irmgard F. lief. Gefunden hätten sie keine.
Der Fall ist auch deshalb vergleichbar, weil die damalige Beschuldigte aus Baden-Württemberg als sehr junge Frau ihren Dienst in Stutthof antrat – ähnlich wie Irmgard F., die kurz nach ihrem 18. Geburtstag dort anfing. Und: Beide waren an Schaltstellen der Macht in dem KZ tätig. Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit: In beiden Fällen gibt es keine Unterlagen aus der Stutthof-Zeit, die eine der beiden Frauen belasten würden.
Der Unterschied: Während sich die Quickbornerin seit Ende September vergangenen Jahres vor Gericht verantworten muss, stellte die Staatsanwaltschaft in Stuttgart das Verfahren gegen die dortige Beschuldigte 2018 ein. „Ich habe angeregt, das Verfahren einzustellen“, sagt Bohn. Man habe nicht nachweisen können, dass die Frau von den grausamen und heimtückischen Verbrechen in dem KZ Kenntnis gehabt habe. Sie habe dies in ihrer Vernehmung bestritten.
„Ich gehe davon aus, dass sie wusste, was dort im KZ geschah“, sagt der ehemalige LKA-Beamte. Das sei nach gesundem Menschenverstand der Fall gewesen. Aber nachweisbar sei diese Kenntnis für die Ermittler nicht gewesen.
Es gibt auch Unterschiede zwischen den Fällen
Verteidiger Wolf Molkentin griff die Parallelität der beiden Fälle auf und beklagte, dass es auch im Fall Irmgard F. „an belastbaren Tatsachengrundlagen“ fehle. Der historische Sachverständige Stefan Hördler versuche, diese Lücken „mit untauglichen Mitteln“ zu schließen , so Molkentin.
Dennoch gibt es auch Unterschiede zwischen den Fällen. Die ehemalige Beschuldigte aus Baden-Württemberg war sowohl in der Telefonzentrale als auch in der Fernschreibstelle eine von vielen. Da erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass die besonders heiklen Fernschreiben von den anderen Kräften und nicht von der damals 17-Jährigen bearbeitet worden sind. Irmgard F. wiederum war die einzige Schreibkraft, die im Büro des Lagerchefs ihren Dienst versah.
Am 7. Juni wird mit Bruno D. ein ehemaliger Wachmann des KZ als Zeuge vernommen. Er wurde im Juli 2020 vom Hamburger Landgericht zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig, so dass der 95-Jährige die Aussage nicht verweigern kann.