Kreis Pinneberg. Vertrag für das erste von zwei Terminals in Deutschland steht. Ab 2026 soll Flüssiggas in Brunsbüttel importiert werden. Skepsis ist groß.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will es, und auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) drücken jetzt mächtig aufs Tempo.
Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine wird der Bau eines sogenannten LNG-Terminals für Flüssiggas-Importe in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) massiv forciert – auch, um sich unabhängiger von russischem Erdgas zu machen. Und tatsächlich geht es bei dem Projekt, das auch den Kreis Pinneberg betrifft, jetzt sehr schnell.
Flüssiggas: Pipeline ist 55 Kilometer lang
Ungeachtet der regionalen Proteste gegen das Projekt haben am Sonnabend die Förderbank KfW, der niederländische Gasnetzbetreiber Gasunie und der deutsche Energiekonzern RWE dazu eine Absichtserklärung unterzeichnet. Ministerpräsident Günther will den Bau „mit Hochdruck vorantreiben“. Im Jahr 2026 soll das Terminal in Betrieb gehen. Doch im Kreis Pinneberg regt sich nach wie vor Widerstand gegen die dafür notwendige Pipeline durch die Elbmarschen. Seit 2019 protestieren die betroffenen Gemeinden gegen die XXL-Trasse.
Durch zehn Gemeinden würde die 55 Kilometer lange neue Gas-Pipeline von Brunsbüttel nach Hetlingen führen – mit einem Durchmesser von 80 Zentimetern in einem Meter Bodentiefe. Der längste Abschnitt des 35 Meter breiten Korridors verliefe durch Neuendeich, die anderen Orte sind Raa-Besenbek, Seester, Seestermühe, Groß-Nordende, Moorrege, Haselau, Haseldorf, Heist und Hetlingen.
Kein einziges LNG-Terminal in Deutschland
Schon seit drei Jahren formiert sich vehementer Widerstand gegen dieses Mammut-Projekt mit fossilen Energieträgern. Das Flüssigerdgas – LNG steht für Liquefied Natural Gas – hat im Transport weniger Volumen als im gasförmigen Zustand. Es kommt per Schiff und wird dann nach einer Rückwandlung (Regasifizierung) im gasförmigen Zustand weitergeleitet.
Die Verfahren für Planung und Bau in Brunsbüttel sowie einem zweiten LNG-Terminal in Wilhelmshaven sollen nun beschleunigt werden. Bisher gibt es in Deutschland – als einziges Land in Europa mit Wasserzugang – kein einziges LNG-Terminal. Auch weil Investoren hier bisher nicht genug Bedarf sahen.
Flüssiggas: Grüne beim Thema LNG gespalten
Das hat sich nun geändert. Nach Abendblatt-Informationen kommt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitag, 11. März, nach Brunsbüttel, um dort mit Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden zu sprechen. Denn das Verfahren ist hochumstritten, vor allem aus ökologisch-klimatischen Gesichtspunkten. Das gesamte Öko-System und die Bodenschichten in der Marsch würden in Mitleidenschaft gezogen, so die Kritiker.
Selbst bei den Grünen sind die Meinungen zum Thema LNG gespalten. Habeck und auch die Landesspitze der Partei, allen voran Umweltminister Jan-Philipp Albrecht, fordern LNG als „Übergangstechnologie“. Auf dem Landesparteitag fassten die Mitglieder – noch vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine – aber den Beschluss, den Bau eines LNG-Terminals in Brunsbüttel mit der geplanten Netzanbindung an das Versorgungsnetz abzulehnen. „Wir kritisieren, dass das Verfahren zur Leitungssuche schon eingeleitet worden ist, obwohl das Terminal noch nicht genehmigt wurde“, hieß es.
„Nun stehen wir wieder vor einem Dilemma“
Ändern die Eindrücke und Auswirkungen des Krieges nun etwas an der ablehnenden Haltung gegenüber LNG? „Nein, das ändert nichts an unseren Plänen. Es ist einfach der falsche Pfad“, sagt Petra Kärgel, Vorsitzende der Wedeler Grünen. Die Diplom-Biologin fordert „mehr denn je den Schritt raus aus den fossilen Energieträgern hin zu den erneuerbaren Energien. In diese Technologien muss viel mehr Geld in Nutzung, Ausbau und Weiterentwicklung investiert werden.“ Es gehe darum, die Klimaziele zu erreichen und sich nicht in Abhängigkeiten wie mit Russland zu begeben.
Ein Bebauungsplan von 2018 untersagt für Brunsbüttel zudem sogar bislang einen weiteren „Störfallbetrieb“. In der Umgebung gibt es ein atomares Zwischenlager und einen Chemie-Park, bei beiden könne es in einem Unglücksfall zu weitreichenden Konsequenzen führen. „Wir haben uns in den letzten 20 Jahren auf dem Energiemarkt viel zu abhängig gemacht. Nun stehen wir wieder vor einem Dilemma“, sagt der Hetlinger Ralf Hübner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Haseldorfer Marsch.
„Wir müssen auf die erneuerbaren Energien setzen“
„Wenn LNG aus Katar oder Saudi-Arabien angeliefert wird, sind das auch nicht gerade freiheitsliebende Staaten. Dazu würde dann Fracking-Gas aus den USA kommen. Ich halte diese Entscheidung für klimapolitisch falsch. Wir müssen auf die erneuerbaren Energien setzen.“ Beim Fracking wird ein Chemikalien-Cocktail in tief liegende Gesteinsschichten gepumpt, um durch Aufbrechen ans Gas zu kommen.
Soweit möglich, so Hübner, müsse auf jedes öffentliche und private Eigenheim eine Photovoltaik-Anlage errichtet werden, Speichertechnologien entwickelt werden. So ließen sich „erhebliche Einsparungen an Gas und Kohle“ herstellen, der Staat müsse in dem Bereich viel mehr finanziell unterstützen, so der 60-Jährige. Selbst auf technischer Seite sei es bislang noch nicht ohne Weiteres möglich, Röhren für LNG und zusätzlich für den Transport von klimafreundlicherem Wasserstoff parallel nutzen zu können.
Gasunie will Ressourcen einbringen
Dieser Darstellung widerspricht allerdings Netz- und Terminalbetreiber Gasunie: „Die Planungen der Anschlussleitung für das LNG-Terminal, die bereits technisch für den Transport von Wasserstoff ausgelegt ist, sind weit fortgeschritten. Die erforderlichen Genehmigungsunterlagen können in wenigen Wochen eingereicht werden. Gasunie wird das Projekt nach Kräften weiterentwickeln, um den Vorgaben der Politik zur Sicherung der Energieversorgung nachzukommen“, sagt Sprecher Philipp von Bergmann-Korn.
Gasunie werde die „ganzen Ressourcen und Erfahrungen einbringen, um zu einem guten Ausgleich zwischen energiewirtschaftlichen Anforderungen sowie Anforderungen der Bevölkerung und des Naturschutzes zu kommen, so wie wir das mit unserem gerade fertiggestellten Leitungsprojekt zwischen Braunschweig und Wolfsburg unter Beweis gestellt haben“.
Studie bescheinigt Standort „gute Voraussetzungen"
Katja Freitag, Sprecherin der LNG Terminal GmbH, teilt auf Abendblatt-Anfrage mit: „Die neue Bundesregierung hatte bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgestellt, dass eine Diversifizierung der Energieversorgung und Energieimporte notwendig ist. Genau hierzu dient die von uns geplante Infrastruktur. Insgesamt liefen und laufen daher Gespräche, zu denen wir berichten werden, wenn belastbare Ergebnisse vorliegen. Aus den laufenden Gesprächen möchten wir keine Zwischenstände kommentieren.“
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Die Form der Energiegewinnung durch LNG sei langfristig angelegt: „Zum einen wird LNG in Zukunft „grün“ werden, in dem es auf biogener oder synthetischer Basis hergestellt wird. Außerdem wird der spätere Import von Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten von Beginn an in der Detailplanung mitgedacht werden.“ Eine Studie der Technischen Universität Hamburg bescheinigt dem LNG-Standort Brunsbüttel „gute Voraussetzungen, sich zu einem Import-Hub für eine norddeutsche Wasserstoffwirtschaft zu entwickeln“.
Flüssiggas: FDP begrüßt Plan, Gemeinden bleiben kritisch
In Hetlingen bleibt Ralf Hübner skeptisch. Allein die Kosten für den Bau des Terminals beliefen sich auf „mindestens 450 Millionen Euro“ und für den Ausbau der Gasleitungen kämen „mehr als 100 Millionen Euro“ hinzu. Bevorzugt „müssen wir hier vor Ort Wind und Sonne für die Energiegewinnung nutzen und perspektivisch eben grünen Wasserstoff “, sagt Hetlingens Bürgermeister Michael Rahn.
Die Kreis-FDP begrüßt hingegen den neuen Schwung in der LNG-Debatte. „Wir freuen uns über die Entscheidung der Bundesregierung. Es ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein klares Bekenntnis für den Standort Brunsbüttel. Dies wird auch die Region Dithmarschen stärken. Um die Energiesicherheit gewährleisten zu können, ist es erforderlich, LNG als Überbrückungstechnologie zu setzen“, sagt Annabell Krämer, Mitglied des Landtages und Vorsitzende des FDP-Kreisverbandes Pinneberg. Diese Technologie, aus der sich weitere energierelevante Produktionsmöglichkeiten entwickeln ließen, sei wichtig, um in Kombination mit Erfüllung des 1,5-Grad-Ziels bei der Erderwärmung mögliche Versorgungsengpässe zu vermeiden.