Quickborn/Itzehoe. Der ermittelnde Staatsanwalt berichtet vom ersten Treffen mit Irmgard F., die vorgab, das Lager Stutthof nie betreten zu haben.
Es ist fast genau fünf Jahre her, dass sich Thorsten Schwarzer (43) und Irmgard F. (96) in ihrem Quickborner Altenheim gegenübersaßen. Schwarzer war damals der zuständige Staatsanwalt – und die einstige Schreibkraft des KZ Stutthof kurz zuvor zur Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren wegen der Beihilfe zum tausendfachen Mord geworden.
Das Ermittlungsverfahren mündete viereinhalb Jahre später in einen Prozess vor der Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe – und Schwarzer war am zwölften Verhandlungstag als Zeuge geladen, um von dem Zusammentreffen zu berichten. Denn damals hatte die Angeklagte – anders als im jetzigen Verfahren – Angaben zu den Vorwürfen gemacht. „Sie hat zuzugeben, im KZ Stutthof als Schreibkraft für den Kommandanten Paul Werner Hoppe gearbeitet zu haben.“ Welche Schreibarbeiten sie genau für ihn erledigte, habe sie nicht mehr gewusst. „Sie sagte, sie erinnere nur eine Bestellung für Gartenbedarf. Das habe ich ihr nicht geglaubt“, so Schwarzer.
War Irmgard F. geistig voll auf der Höhe?
Er erinnere noch weitere damalige Aussagen der Angeklagten. Etwa, dass sie das eigentliche Lager nie betreten und kaum Kontakt zu den Häftlingen gehabt habe. Lediglich in der Gärtnerei sowie der Druckerei habe sie einige Häftlinge getroffen. „Sie sagte auch, dass sie dienstverpflichtet wurde. Ich erinnere mich an ihren Satz ,Ich wurde gerufen und musste gehen’“, so Schwarzer. Irmgard F. habe betont, ein reines Gewissen zu haben. „Sie habe niemanden getötet und auch keine Tötungen wahrgenommen.“
In der Befragung des Staatsanwalts ging es insbesondere um den Zustand der damals 91-jährigen Beschuldigten. So hatte die Verteidigung der Verwertung dieser Aussagen widersprochen, weil ihrer Meinung nach Irmgard F. damals den Wechsel vom Zeugen- in den Beschuldigtenstatus nicht verstanden habe. Das Gericht hat diesen Antrag bereits abgelehnt – und Schwarzer machte klar, dass Irmgard F. damals geistig voll auf der Höhe war. „Sie hat das voll durchdrungen.“
Er sei damals gemeinsam mit zwei Beamten des LKA zu dem Altenheim gefahren, um den Durchsuchungsbeschluss für das Zimmer der heute 96-Jährigen zu vollstrecken. Gefunden wurde nichts. „Sie sagte, dass die Unterlagen aus der Zeit bei der Flucht verloren gegangen seien.“ Bilder aus dieser Zeit seien bei der Auflösung ihrer Wohnung in Schleswig vernichtet worden.
Laut Schwarzer habe Irmgard F. auf ihrem Bett gesessen und ferngesehen, als die Beamten eintrafen. Sie habe geistig sehr rege gewirkt und die Erklärung, warum der Besuch da sei, nachvollziehen können. Der Staatsanwalt gab an, er habe weit ausgeholt, um der damals 91-Jährigen die Änderung in der Rechtsprechung zu erklären, aufgrund derer sie zur Beschuldigten geworden sei. „Sie sagte dann ,machen Sie mal hin, junger Mann, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit’.“ Auf diese Erklärung und die Belehrung, dass sie nicht aussagen müsse, habe Irmgard F. unwirsch reagiert. „Sie fand es lächerlich, dass wir nach so langer Zeit am Ende ihres Lebens wegen dieser Sache kommen und so einen Aufwand betreiben. Sie sagte: ,Da wird sowieso nichts draus’.“
Staatsanwalt verzichtete auf eine förmliche Vernehmung
Er habe sie mehrfach über mögliche Konsequenzen aufgeklärt und auch darauf hingewiesen, dass ihr eventuell eine Haftstrafe droht, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Schwarzer: „Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht wusste, in welcher Situation sie sich befindet oder dass sie nicht damit umgehen konnte.“ Sie habe mehrfach von einer Enkelin gesprochen, die Rechtsanwältin sei. „Ich habe mich dann entschlossen, auf eine förmliche Vernehmung zu verzichten“, so der Staatsanwalt.
Auf die Nachfrage eines Nebenklagevertreters, ob Irmgard F. die vielen Toten von Stutthof bedauert habe, sagte der Staatsanwaltschaft vielsagend: „Daran erinnere ich mich nicht.“
Zu den Umständen des Treffens vernahm die Kammer auch den LKA-Mann Andreas G. (58). Der bestätigte den Eindruck der geistig fitten Angeklagten. Die damals 91-Jährige habe sich letztlich dazu durchgerungen, die Aussage zu verweigern und einen Anwalt zu kontaktieren. Vorher habe sie einige Angaben gemacht – welche, erinnerte der Zeuge nicht mehr.
Er habe bei der Bundesrentenanstalt angefragt, ob Irmgard F. zwischen 1943 und 1945 einer rentenpflichtige Beschäftigung nachgegangen sei. Das sei bejaht worden, ein Arbeitgeber sei nicht mehr benannt gewesen. Bei der Wehrmachtsauskunftstelle hätten keine Hinweise auf die Quickbornerin vorgelegen. Nächste Woche soll ein weiterer Zeitzeuge vernommen werden.