Tornesch/Hamburg. Jetzt sind auch Pfleger positiv getestet worden. Einige Bewohner des Altenheimes sind dement. Leitung befürchtet Eskalation.
Nachdem in einem Pflegeheim in Tornesch zwei ältere Frauen an den Folgen einer Coronavirusinfektion gestorben sind, hat sich die Situation in dem Altenheim weiter zugespitzt. Am Dienstag gab der Kreis Pinneberg bekannt, dass acht weitere Bewohner positiv auf den Erreger getestet wurden. „Zwei von ihnen befinden sich im Krankenhaus“, sagt Dr. Angelika Roschning, Leiterin des Fachdienstes Gesundheit. „Ich gehe leider davon aus, dass noch weitere Infektionen bekannt werden.“
Zudem sind inzwischen sieben von 16 Pflegekräften des Heims positiv auf das Virus getestet worden. Sie befinden sich in Quarantäne. Die Untersuchungen in dem Haus mit insgesamt 35 Bewohnern dauern an. Noch immer ist unklar, wie das Virus ins Haus getragen wurde.
Tornesch: Altenheim nach Todesfällen gesperrt
Schon nach dem Bekanntwerden des ersten Todesfalls am Donnerstag, als eine 87 Jahre alte Frau an den Folgen der neuartigen Lungenerkrankung Covid-19 starb, wurde der Zutritt zu den Seniorenresidenzen des Betreibers für Besucher gesperrt. Das Unternehmen bietet an drei Standorten Pflegedienstleistungen an. Dennoch verstarb am Sonntag eine weitere Bewohnerin, eine 81-Jährige, an den Folgen der Infektion.
Video: Corona-Krise in Hamburg
Zur Arbeit kommt die inzwischen nahezu halbierte Stammbelegschaft nur unter enorm strengen Sicherheitsvorkehrungen. Neu rekrutierte Pflegekräfte ersetzen die ausgefallenen Kollegen und helfen nach Unternehmensangaben bei der Versorgung der Bewohner. „Der Kreis Pinneberg und die Heimleitung stellen den ordnungsgemäßen Betrieb der Einrichtung sicher“, sagt Kreissprecher Oliver Carstens.
Altenheim: Bewohner werden strikt getrennt
Die Pflege der acht positiv getesteten Bewohner erfolge strikt getrennt von den gesunden Senioren der Einrichtung, sagt Anna Martin, Leiterin des betroffenen Altenheims, dem Abendblatt. Die Zimmer werden nur mit Schutzausrüstung betreten. Alle Infizierten stünden unter ärztlicher Kontrolle. „Wir tun alles, um in dieser schwierigen Situation die beste Betreuung für unsere Bewohner zu gewährleisten.“ Einige Menschen in dem Heim seien dement, andere nehmen die Situation klar wahr.
„Wir versuchen, ihnen mit vielen Gesprächen die Angst und Sorge zu nehmen“, sagt Martin. Der Anblick von Pflegepersonal im Vollschutz sei für viele verstörend und beunruhigend genug, bei den positiv Getesteten kämen noch konkrete Ängste um ihre Gesundheit dazu. „Umso stolzer macht es mich, wie engagiert das ganze Team die ohnehin hohen Anforderungen in der Pflege erfüllt“, sagt Martin.
Das könnte Sie auch interessieren
- Tschentscher schwört Hamburg auf längeres Kontaktverbot ein
- Corona-Krise: Italien sieht etwas Licht am Ende des Tunnels
- Kurzarbeit steigt dramatisch an
- Paracetamol in Corona-Zeiten: Es gibt Engpässe in Hamburg
- Maskenpflicht wegen Coronavirus – Das muss man wissen
- Stormarner geben dem Begriff Risikogruppe ein Gesicht
- Coronavirus: Sterberate wird laut RKI in Deutschland steigen
Bürgermeisterin: "Absolute Stresssituation"
Von einer „absoluten Stresssituation“ im Pflegeheim spricht Torneschs Bürgermeisterin Sabine Kählert. Der Ausbruch des Virus in einer solchen Einrichtung sei „der Super-Gau“, zumal es mit dem Heim einen Dienstleister treffe, der zuvor „vorbildlich“ gearbeitet habe. Die Anteilnahme der Tornescher sei groß. „Aber es ist natürlich eine bedrückende Situation.“
Es komme nun darauf an, die Bewohner bestmöglich zu schützen. „Deshalb appelliere ich an alle, nicht nur in Tornesch, den Kontakt mit älteren Menschen zu meiden, um sie nicht zu gefährden.“ Sie stehe im ständigen Austausch mit Heimleitung und Gesundheitsamt. Die gesamte Situation sei eine „extreme Belastung für Bewohner und Personal“. Nicht grundlos seien die Sicherheitsvorkehrungen in der Pflege schon am Donnerstag extrem verschärft worden.
Kontaktverbot sei richtig: „Vielleicht rüttelt das wach“
Für viele Bewohner des Seniorenheims ergebe sich mit dieser schwerwiegenden Zäsur erhöhter Gesprächsbedarf, sagt Kählert. „Ich habe der Heimleitung alle uns zur Verfügung stehenden Hilfen angeboten.“ Ob das nun Seelsorger seien oder die Beschaffung von zusätzlicher Ausrüstung. Immerhin: „Es stehen genügend Masken, Desinfektionsmittel und Schutzbekleidung zur Verfügung.“
Menschlich ändere das aber natürlich nichts an der prekären Lage, Bewohner, Pfleger, Angehörige und viele Menschen in Tornesch seien in großer Sorge. „Eine solche Situation war mein absoluter Albtraum“, sagt die Bürgermeisterin.
Es geht um jedes einzelne Leben der Bewohner
Laut Kählert zeige die aktuelle Entwicklung, wie vielschichtig die Problematik bei einem Coronaernstfall ist. Denn es gehe nicht nur darum, Bewohner und Personal zu schützen, im Zweifel sogar darum, einzelne Leben zu retten, sondern auch den Betrieb trotz Ausfällen noch aufrechtzuerhalten, die Infektionsketten zu durchbrechen und die Hygienebestimmungen in Ausnahmesituationen einzuhalten. „Ich glaube, das rüttelt viele wach“, so die Bürgermeisterin. Das Einhalten des nach wie vor geltenden Kontaktverbots sei deshalb wichtig und richtig. In Tornesch befolge die große Mehrheit der Einwohner die erlassenen Allgemeinverfügungen.
Vor dem Hintergrund einer ganzen Todesfall-Serie in deutschen Pflegeeinrichtungen wegen Coronainfektionen hat am Dienstag auch die Stadt Hamburg die Besuchsmöglichkeiten in den Heimen der Metropole drastisch eingeschränkt. Ab sofort gilt ein generelles Besuchsverbot. In Hamburger Pflegeheimen wurden bisher 17 Personen positiv auf das neuartige Virus getestet
Angebote für Ältere
Nach Coronatragödien in Würzburg (13 Todesfälle unter den Bewohnern eines Pflegeheims) und Wolfsburg (17 Tote) sowie explosionsartig gestiegenen Infektionszahlen in Seniorenheimen in Wildeshausen (Landkreis Oldenburg) und Herzberg (Landkreis Göttingen) gilt seit Montag in Niedersachsen sogar ein Aufnahmestopp in Pflegeheimen.
Wie Torneschs Bürgermeisterin Sabine Kählert appellierte in Hamburg Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks eindringlich an ältere Menschen, ihre Kontakte auf das Nötigste zu reduzieren – auch zu Familienangehörigen. Kählert: „Wir haben in Tornesch viele Angebote – etwa das Einkaufen für Senioren: Darauf sollten Ältere jetzt zurückgreifen!“