Halstenbek/Berlin. Andre M. sitzt weiter in Haft. Inzwischen geht es um zehn Drohschreiben, die er vornehmlich an Behörden gerichtet haben soll.
Fast fünf Monaten nach seiner spektakulären Festnahme in seinem Elternhaus in Halstenbek sitzt Andre M. weiter in Haft. Seinerzeit hatten Spezialkräfte der Polizei den als Feuerteufel und Apfelfestbomber von Rellingen bekannt geworden Mann in dem Haus an der Grünen Twiete gestellt. Der Verdacht: Der 30-Jährige soll für eine Serie von Drohschreiben mit rechtsextremistischen Inhalten verantwortlich sein und ganz Deutschland mit Bombendrohungen überzogen haben.
„Der Beschuldigte befindet sich weiter in Untersuchungshaft“, teilt Mona Lorenz, stellvertretende Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, auf Abendblatt-Anfrage mit. Ihm werde die Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen. Laut Paragraf 91 Strafgesetzbuch wird dies pro Fall mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe geahndet. „Die Ermittlungen dauern weiter an“, so Lorenz. Wann mit einem Ende zu rechnen sei, dazu machte die Vize-Pressesprecherin keine Angaben. Viel Zeit hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die die Ermittlungen aufgrund der bundesweiten Dimension übernommen hat, nicht mehr. Laut der Strafprozessordnung darf eine Untersuchungshaft in der Regel höchstens sechs Monate dauern. Eine längere Untersuchungshaft ist nur dann möglich, wenn die Ermittlungen besonders aufwendig und umfangreich sind oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt. Wenn – wie offenbar im Fall Andre M. – die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr erfolgt ist, liegt die Obergrenze bei zwölf Monaten.
Andre M. hat sich über Bau einer Bombe informiert
Laut Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft wurde der Haftbefehl gegen den 30-Jährigen zwischenzeitlich erweitert. Zehn Drohschreiben sind darin nun aufgeführt. In dem Zimmer, das Andre M. im Haus seiner Eltern bewohnte, sei Schriftmaterial sichergestellt worden, das offenbar zu der bundesweiten Serie von Drohschreiben passt.
Außerdem sollen Hinweise entdeckt worden sein, dass sich Andre M. über den Bau einer Bombe informiert hat. Diese waren ausschlaggebend, dass die Ermittler einen dringenden Tatverdacht bejahten und ein Richter Untersuchungshaft anordnete. Nach seiner Festnahme war Andre M. zunächst in eine geschlossene Fachklinik für Psychiatrie gekommen.
Täter war schon früh verhaltensauffällig geworden
Wie viele dieser Taten letztlich auf das Konto des Halstenbekers gehen, ist Gegenstand der Ermittlungen. Die Serie von Drohschreiben mit rechtsextremistischen Inhalten, die teilweise auch Bombendrohungen enthielten, ist lang. Mehr als 200 derartiger Briefe und Mails sollen abgeschickt worden sein – auch zu Zeitpunkten, zu denen Andre M. bereits in Haft saß. Teilweise wurden Gerichtsgebäude, Finanzämter oder öffentliche Orte wie Bahnhöfe evakuiert. Mails, die mit NSU 2.0 oder Wehrmacht unterzeichnet waren, gingen an Politiker, Anwälte, Journalisten – und angeblich auch an auch Helene Fischer.
Andre M., dem in der Grundschulzeit ein angeblicher Herzfehler attestiert worden war, war schon früh verhaltensauffällig geworden. Bereits 2006 und 2007 stand er vor dem Amtsgericht Pinneberg – unter anderem wegen Bedrohung, Körperverletzung und Androhung erheblicher Gewalttaten. Im September 2007 verhaftete ihn dann ein Sondereinsatzkommando. Er soll gemeinsam mit einem Freund einen Bombenanschlag auf das Rellinger Apfelfest geplant und quasi als Generalprobe in Ellerbek einen Zigarettenautomaten in die Luft gesprengt haben.
Gutachter attestierte „abartige Persönlichkeitsstruktur“
Für die Sprengung, für Dutzende Sachbeschädigungen und Brandstiftungen wurde Andre M. von der Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe 2008 zu dreieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Vom Hauptanklagevorwurf – den Anschlag auf das Fest – sprachen ihn die Richter frei. Sie hatten Zweifel, ob tatsächlich ein konkreter Tatentschluss vorlag. Weil ein Gutachter ihm eine „abartige Persönlichkeitsstruktur“ attestierte, kam der damals 20-Jährige in eine psychiatrische Einrichtung.
Dort blieb er bis Ende 2013. Nach seiner Entlassung zog Andre M., dem zuvor mehrfach Nähe zum Rechtsextremismus nachgesagt worden war, wieder zu seinen Eltern nach Rellingen. Wenig später begann in der Gemeinde eine Serie von Autobränden und Sachbeschädigungen. Zu den Brandstiftungen bekannte sich im Internet eine Person namens „Felix Steiner“. Steiner war SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS. Im September 2014 ertappten Polizisten, die Andre M. wochenlang beschattet hatten, ihn beim Anzünden eines Autos. Nach zwei Gerichtsverfahren, die jeweils in die Berufung gingen, stand am 10. Mai 2017 die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und elf Monaten Haft.
Im Herbst 2018 kam Andre M. frei
Ein Großteil der Brandstiftungen hatte die Anklagebehörde dem damaligen Rellinger nicht nachweisen können. Auch die Frage, ob die unter dem Nazi-Pseudonym verfassten Bekennerschreiben von ihm oder einem Trittbrettfahrer stammten, blieb offen. Ein Gutachter bezeichnete ihn als nicht therapierbar. Weil Andre M. zielgerichtet und geplant gehandelt habe, sei seine Schuldfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen. Daher kam er ins Gefängnis und nicht wieder in die Psychiatrie. Die zwei Jahre und elf Monate saß er voll ab. Ein Teil der Jugendstrafe von 2008, die nicht durch den Aufenthalt in der Psychiatrie als verbüßt galt, schloss sich an. Im Herbst 2018 kam Andre M. frei und lebte wieder bei seinen Eltern, die nach Halstenbek umgezogen waren.