Halstenbek/Hamburg. Nach Auswertung erster Beweisstücke wurde ein Haftbefehl gegen Andre M. vollstreckt. In Rellingen ist er als “Feuerteufel“ bekannt.
Es ist eine ruhige Wohnstraße in Halstenbek. Beste Lage, dort stehen überwiegend schmucke Einfamilienhäuser. Am Donnerstagnachmittag fielen Spezialkräfte der Polizei aus Schleswig-Holstein und Berlin in diese Idylle ein – und nahmen einen Mann vorläufig fest, der mit einer Serie von rechtsextremen Drohmails bundesweit für Angst und Schrecken gesorgt haben soll. Andre M., 30 Jahre alt. Psychisch labil, in seinem früheren Wohnort Rellingen bereits als „Apfelfest-Bomber“ und auch als „Feuerteufel“ verschrien.
Jetzt soll der 30-Jährige möglicherweise mehr als 200-mal per Mail mit einer Bombenexplosion gedroht haben – adressiert an Gerichte und öffentliche Einrichtungen, aber auch an Politiker, Anwälte und den Zentralrat der Juden. Zuletzt war es auch in Hamburg zu ähnlichen Briefen an das Hotel Atlantic, an Amtsgericht und Landgericht sowie an die Ida-Ehre-Schule im Bezirk Eimsbüttel gekommen, die wegen angeblich linksextremistischer Umtriebe in einer Klasse kurz zuvor in die Schlagzeilen geraten war.
Lübecker Hauptbahnhof musste geräumt werden
Unterzeichnet waren die bundesweiten Schreiben etwa mit „Nationalsozialistische Offensive“, „Wehrmacht“ oder auch „RAF“. Im März wurde vorsorglich der Hauptbahnhof in Lübeck geräumt, es waren bundesweit mehrere Gerichte, auch die Landgerichte Itzehoe und Kiel, betroffen. Ein Einkaufszentrum in Heide wurde evakuiert, zuletzt war in der Nacht zu Dienstag der Hauptbahnhof in Neumünster geräumt worden. Ein Bekennerschreiben, mit „Nationalsozialistische Offensive“ unterschrieben, ging daraufhin beim Abendblatt ein.
Jetzt müssen die Ermittler versuchen herauszufinden, ob eine oder alle diese Mails von Andre M. stammen. Es könnten auch Trittbrettfahrer am Werk gewesen sein. Die Ermittlungen werden aufgrund der bundesweiten Bedeutung von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin geführt, auch das Bundeskriminalamt soll involviert sein. Bei Andre M. wurden Computer und Handys beschlagnahmt, die jetzt ausgewertet werden. Das dürfte einige Zeit dauern.
Haftbefehl gegen Andre M. vollstreckt
Doch nachdem die Berliner Generalstaatsanwaltschaft noch am Freitag auf Anfrage mitteilte, dass es bislang keinen dringenden Tatverdacht gegen Andre M. gebe, änderte sich die Lage am Sonnabend: Eine Sprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur, es seien Indizien gefunden worden, "dass der Mann sich möglicherweise kundig gemacht hat, wie man eine Bombe baut." Deswegen wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen und vollstreckt. Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es keine weiteren Verdächtigen.
In der Vergangenheit war bereits mehrfach gegen den 30-Jährigen wegen angeblicher Drohmails ermittelt worden, unter anderem im Fall einer Schule. Nachgewiesen werden konnte ihm das nicht. Auch im Fall eines angeblich geplanten Anschlags auf das Rellinger Apfelfest im Jahr 2007 kam es nicht zu einer Verurteilung. Vier Tage vor der Veranstaltung hatte ein Sondereinsatzkommando den damals 19-Jährigen in der Wohnung seiner Eltern in Rellingen festgenommen. Kurz zuvor sollen sich Andre M. und ein Komplize in ihrem Freundeskreis mit den Anschlagsplänen gebrüstet haben.
Dreieinhalb Jahre Jugendhaft
Das Landgericht Itzehoe zweifelte 2008 an, ob die Angeklagten wirklich einen konkreten Tatentschluss gefasst hatten und sprach beide in diesem Punkt frei. Verurteilt wurde Andre M. trotzdem – unter anderem wegen der Sprengung eines Zigarettenautomaten, Dutzenden Sachbeschädigungen, einem Buttersäureanschlag und Brandstiftungen. Für die mehr als 100 Fälle kassierte der damals 20-Jährige dreieinhalb Jahre Jugendhaft und wurde außerdem in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen, da ihn ein Gutachter für gefährlich hielt. Er leide unter einer Persönlichkeitsstörung.
Im September 2013 kam er frei. Kurze Zeit später begann in Rellingen eine Serie von Brandstiftungen und Sachbeschädigungen. Autos standen in Flammen, Reifen an Fahrzeugen wurden zerstochen. Die Tatorte lagen überwiegend im Umkreis der Wohnung, in der Andre M. mit seinen Eltern lebte. Die Polizei observierte ihn rund um die Uhr. Im September 2014 beobachteten zwei Beamte, wie Andre M. ein Fahrzeug anzündete, und nahmen ihn fest.
Verdächtiger war erst seit Herbst wieder frei
Vor Gericht kam nur ein Bruchteil der Taten, alles andere wurde mangels Beweisen eingestellt. In letzter Instanz verurteilte ihn das Landgericht Itzehoe am 10. Mai 2017 zu zwei Jahren und elf Monaten Haft. Im Spätherbst 2018 kam der heute 30-Jährige frei – und zog erneut zu seinen Eltern, die inzwischen in Halstenbek leben. „Über den Wohnortwechsel war ich informiert“, so Halstenbeks Bürgermeister Claudius von Rüden.
Bereits seit Donnerstag befindet sich Andre M. wieder in einer psychiatrischen Einrichtung. Sollte sich der Verdacht nach der Auswertung der Handy- und Computerdaten erhärten, könnte er wegen mehrerer Delikte angeklagt werden. Für die „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ gilt eine Maximalstrafe von drei Jahren Gefängnis. Die Drohmails könnten rechtlich auch als Erpressung und Bedrohung gewertet werden, so der Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft.