Hamburg/Pinneberg. Die Grünen wollen ein Verkehrsproblem mit einem ungewöhnlichen Projekt beheben. Was dahintersteckt.
Gondeln statt pendeln – das ist die Vision für Arbeitnehmer auf ihrem täglichen Weg in die Firma, wenn ein Antrag der Grünen im Kreis Pinneberg Anklang findet. In einer Phase des bundesweiten politischen Höhenflugs diskutiert die Partei derzeit über Seilbahnpläne von Elmshorn nach Hamburg – parallel zur Autobahn 23.
Diese ungewöhnliche, etwa 30 Kilometer lange Lösung für die anhaltenden Mobilitätsprobleme der Metropolregion sieht Stelzen entlang der Autobahn vor, Haltepunkte wären laut Antrag in Borstel-Hohenraden, Pinneberg, Rellingen und Halstenbek möglich. Endpunkt soll ein Nahverkehrsknoten im Hamburger Westen sein, beispielsweise der S-Bahnhof Eidelstedt oder der Fernbahnhof Diebsteich.
Günstiger und ökologischer als drittes Gleis?
Konkret wird in dem Papier gefordert, die Kosten für den Bau eines dritten Eisenbahngleises zwischen Hamburg und Elmshorn mit denen einer Seilbahnkonstruktion zu vergleichen und ernsthaft zu prüfen. Argumentiert wird mit mehr Umweltfreundlichkeit, weniger Platzbedarf und günstigeren Kosten sowie funktionierenden Beispielen – etwa einem 33 Kilometer langen Seilbahnnetz in La Paz (Bolivien).
Der Antrag wird am Donnerstag bei der Kreismitgliederversammlung der Grünen eingebracht und diskutiert. Bei einer Mehrheit sollen die Pläne den Parteifreunden auf Landesebene zur Abstimmung vorgelegt werden.
Tempo könnte dagegen sprechen
„Wir schließen Ideen für neue Technologien in Mobilitätsfragen nicht grundsätzlich aus“, sagt Jan Glienicke, Sprecher des grünen Landesarbeitskreises für Verkehr. Wie bei jedem Verkehrsprojekt müsse die Kosten-Nutzen-Rechnung stimmen. Und wenn eine Seilbahn deutlich günstiger zu realisieren sei als eine Schienenverbindung, dürfe zumindest eine ernsthafte Prüfung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Gleichwohl sagt der Verkehrsexperte der Grünen, dass Seilbahnen für gewöhnlich alternative Beförderungen in Mega-Städten möglich machen. Auf dem flachen Land habe er seine Zweifel, zumal Kapazität und Tempo deutlich hinter der Schienenlösung zurückbleiben. Die schnellsten Seilbahnen fahren Tempo 40, eine S-Bahn schafft 160.
Ratsherr sieht Südamerika als Vorbild
Die Idee zum Seilbahnprojekt nach Hamburg hatte der Pinneberger Ratsherr Dieter Schott. "Der Antrag soll eine Unterstützung zu den von uns geforderten Themen“ sein, begründet Schott seinen Plan. Konkret wird gefordert, zumindest einen Kostenvergleich für den Bau eines dritten Eisenbahngleises und einer Seilbahn zu prüfen. "Es gibt in den Bereichen sicher finanzielle als auch bauzeitliche Grenzen zur Verwirklichung“, so Schott. „Da könnte die Seilbahn dafür sorgen, dass möglichst schnell und kostengünstig ein Umsteigen möglich wird!“
Umweltfreundlich, wenig Platzbedarf, günstig, pünktlich und in schneller Bauzeit zu errichten – diese Argumente führt der Grüne für seine Parteimitglieder ins Feld, um sie von der Sinnhaftigkeit der Idee zu überzeugen. Zumal es weltweit einige vorbildhafte Beispiele für gelungene Seilbahnprojekte gebe. „In Südamerika gibt es schon bestehende Netze des öffentlichen Nahverkehrs, die mit Seilbahnen errichtet wurden“, so Schott. In Medellin, Caracas oder Rio etwa.
In La Paz seien auf sechs Strecken für den innerörtlichen Verkehr 33 Kilometer mit Seilbahnen erschlossen worden. Eine ähnliche Distanz müsste wohl zwischen Hamburg und Elmshorn überbrückt werden. Die Baukosten hätten beim Projekt in Südamerika bei 600 Millionen Euro gelegen und würden nun 300.000 täglichen Nutzern zugutekommen.
Auch Kiel diskutiert über eine Seilbahn
Doch auch in Europa verkehren in Brest, Toulouse, Linz, Graz und Wien Gondeln. Und obwohl 2014 eine geplante Seilbahnverbindung in Hamburg zwischen St. Pauli und den Musical-Theatern auf der anderen Elbseite am Bürgerwillen scheiterte, kommen Pläne für dieses abwegig erscheinende, aber für viele auch reizvolle Verkehrsmittel immer wieder auf den Tisch.
Erst in diesem Jahr wurden konkrete Gondel-Pläne in Wuppertal nach langem Hin und Her begraben. In Kiel diskutieren die dortigen Grünen aktuell, ob eine Seilbahnverbindung über die Förde – auch angesichts der immens hohen Luftbelastung in der Landeshauptstadt – sinnvoll wäre oder nicht. Insofern ist das Echo auf die Idee aus dem Kreis Pinneberg auf Landesebene immerhin nicht niederschmetternd.
IHK Elmshorn zeigt sich aufgeschlossen
Das Verkehrsministerium in Kiel wollte die grüne Idee auf Abendblatt-Anfrage noch nicht kommentieren. Ein Sprecher sagte, man wolle die Ernsthaftigkeit der Debatte in der Region abwarten.
Aufgeschlossener reagierte die Industrie- und Handelskammer: "Grundsätzlich ist jede Idee, die die Anbindung des Südwestens Schleswig-Holsteins an Hamburg verbessert, zu begrüßen“, so Paul Raab, Leiter der Geschäftsstelle Elmshorn.
Allerdings müsse wertfrei geprüft werden, was mögliche Alternativen leisten können. Auch seien die Kosten eines komplett neuen Systems im Blick zu behalten. „Wir dürfen nicht nur auf die einmaligen Investitionskosten schauen, sondern müssen auch die Instandhaltungskosten gegenüberstellen“, betont Raab.
Antrag als "gute Diskussionsgrundlage"
Die Kreis-Grünen wollen die Akzeptanz der Idee vor der Mitgliederversammlung am Donnerstag noch nicht abschätzen. "Die ersten Reaktionen waren durchaus positiv“, sagt Vorstandssprecherin Gertrud Borgmeyer. Der Antrag sei eine gute Diskussionsgrundlage, sich konstruktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. "Aber ob der Antrag beschlossen wird, kann ich noch nicht absehen“, so Borgmeyer.
Für Antragsteller Schott wäre allein schon die Diskussion "ein Schritt in Richtung selbstgesteckter Umweltziele".