Rellingen. Wegbegleiter richten in Gedenken an gebürtige Moskauer Künstlerin Lydia Schulgina Dauerausstellung mit ihren Werken ein.

Pietà, die Mutter Gottes, hält den Leichnam Jesu auf ihrem Schoß. Ihr Gesicht ist vom Leid gezeichnet. Daneben kniet ein Engel. Geschaffen wurden die lebensgroßen Figuren von Lydia Schulgina. Die Bibel, sie besaß eine in Deutsch, Englisch und Russisch, und das Leiden waren ihre zentralen Themen. Die Künstlerin starb am 27. November 2000. Ihre letzten vier Lebensjahre verbrachte die gebürtige Moskauerin in Pinneberg und Rellingen. Es waren für ihre Arbeit fruchtbare Jahre. Ein neu geschaffenes Galeriemuseum in Rellingen erinnert nun an sie. Die Exponate reichen von frühen Illustrationen für Bücher bis hin zu ihrem letzten Zyklus „Stimmen“, den sie in ihrem Todesjahr schuf.

Reliefs und Skulpturen fertigte Schulgina aus Zeitungspapier. Sie selbst sagte einst dazu: „Meine Technik, Zeitungspapier und Farbe, lässt mich wie keine andere die Vergänglichkeit des Lebens und die Widerspiegelung der Vergangenheit in der Gegenwart darstellen, die Themen, die mich am meisten interessieren. Die Figuren, die im offensichtlichen Bezug auf die Bibel aber aus frischesten Zeitungen gemacht worden sind, bilden eine Brücke zwischen den Zeiten.“

Trotz schwerer Krankheit blieb Lydia Schulgina kreativ

Ergänzt wird die Ausstellung durch Schulginas Porträts, geschaffen von Nikolai und Alexander Estis, sowie Fotos von der Pinneberger Fotografin Kathrin Wahrendorff, die ihre Freundin
Lydia in den vier Jahren bis zum Tod begleitet hat. Sie und ihr Mann Jost Wahrendorff halfen Schulginas Mann, dem Künstler Nikolai Estis, bei der Realisierung des Galeriemuseums.

Lydia Schulgina, von der Chemotherapie gezeichnet, bei der Arbeit an einer Skulptur
Lydia Schulgina, von der Chemotherapie gezeichnet, bei der Arbeit an einer Skulptur © Kathrin Wahrendorff | Kathrin Wahrendorff

1984 lernte Schulgina, die in Moskau in eine Literatenfamilie hineingeboren wurde, Nikolai Estis in einem Künstlerhaus kennen. Für ihn verließ sie ihren ersten Mann. „Ich war 20 Jahre älter als sie und hatte kein Geld“, sagt Estis ungläubig. Auch 18 Jahre nach ihrem Tod scheint ihn ihre Entscheidung immer noch zu verblüffen. Zwei Jahre nach der ersten Begegnung kam der gemeinsame Sohn Alexandre zur Welt. Er war neun Jahre alt, als Schulgina und Estris nach Deutschland kamen. Sie hatte in Pinneberg ein Stipendium erhalten und konnte für zwei Jahre im Dachgeschoss der Drostei ein Atelier einrichten. Sie kam mit Schmerzen in der Brust. Doch die Ärzte in Moskau meinten, ihr fehle nichts. Ein verhängnisvoller Irrtum. Kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland diagnostizierte ein Arzt Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Eine Amputation folgte. Der Krebs hatte schon gestreut.

Trotz schwerer Krankheit blieb sie kreativ und steckte alle Energie in ihre Arbeit. Sie stellte aus und gewann Preise. Eine ihrer Skulpturen, die „Kreuztragung“, wurde 1999 auf einer internationalen Ausstellung im Bamberger Dom mit dem Preis des Landkreises Bamberg ausgezeichnet.

In der Drostei konnte sie nicht bleiben. Die Rellinger Kulturbeauftragte Silke Mannstaedt vermittelte ihr Räume im Ellerbeker Weg 4, dem ehemaligen Jugendhaus. Schulgina baute dort eine Kunstetage für Kinder und Jugendliche auf und unterrichtete. Ganz besonders lagen ihr Kinder, die erkrankt waren, am Herzen. Für sie schrieb und illustrierte sie Texte.

Mit winzigen schwarzen Federstrichen schuf Schulgina, die noch während ihres Studiums an der Fakultät für Buchillustration in Moskau Bekanntheit erlangte, ihre Bilder. „Sie setzte die Striche in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit“, sagt Kathrin Wahrendorff, die Schulgina oft bei der Arbeit beobachtete und fotografierte. Einige dieser Fotos und Tagebuchausschnitte und werden in Rellingen zu sehen sein.

Werke der Künstlerin befinden sich auch in der Tretjakow-Galerie und im Museum für Moderne Kunst in Moskau sowie im Russischen Museum in Sankt Petersburg. Ihre Illustrationen sind in mehr als 30 Büchern in Polen, Finnland, Japan, Russland und der Tschechoslowakei verlegt worden.

Ihre letzte Arbeit „Der Engel“, wird im Altonaer Museum in Hamburg aufbewahrt. Wahrendorff fuhr damals Schulgina und den Engel zum Museum. Sie erinnert sich: „Der lebensgroße Engel stand hinter einem Stuhl, auf den sich Lydia setzte und sagte ,Das ist mein Stuhl.’“ In diesem emotionalen Moment schaffte Wahrendorff es nicht, den Auslöser zu drücken.

Feierliche Eröffnung Galeriemuseum Lydia Schulgina am 1. Dezember, um 18 Uhr im Beratungszentrum Energie Rellingen, Hohle Straße 30, in Rellingen. Musikalisch begleitet wird die Einweihung von der Geigerin Marina Reshetova. Öffnungszeiten: Jeden ersten und dritten Sonnabend 11.30 bis 15 Uhr, jeden zweiten und vierten Donnerstag 14 bis 16 Uhr sowie nach Absprache: info@schulgina.de