Pinneberg . Autor Andreas Speit stellte in Pinneberg sein Buch über eine Bewegung vor, deren Anhänger auch im Kreis zunehmend Probleme bereiten.

Der „Freistaat Preußen“ hat eine ausführliche Gebührenordnung für Amtshandlungen aufgestellt. Eine Gewerbeanmeldung etwa kostet 1,5 Reichsmark. „Bezahlt werden soll dann aber bitte doch in Euro“, sagt Andreas Speit, und die etwa 50 Zuhörer lachen laut. Dabei ist das Thema an diesem Abend alles andere als lustig. Der Autor ist auf Einladung des Kriminalpräventiven Rates Pinneberg und des Kreisjugendschutzes im Geschwister-Scholl-Haus in Pinneberg zu Gast, um sein Buch „Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr“ vorzustellen und über das Phänomen zu informieren.

Zur so genannten Reichsbürgerbewegung werden mehr als 30 Projekte und Gruppierungen gezählt, die allerdings keine gemeinsame Organisation haben. Was sie alle eint: Die Anhänger erkennen die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht an. Einige gehen davon aus, dass das Deutsche Reich noch existiert, andere haben ihr eigenes Reich gegründet. Laut Bundesregierung gibt es in Deutschland aktuell etwa 19.000 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Das Innenministerium korrigiert die Zahl aber seit Jahren immer wieder nach oben. Für das Jahr 2017 ging das Bundesamt für Verfassungsschutz noch von etwa 16.500 aus, im Jahr davor von 10.000 Personen. Beim Innenministerium in Schleswig-Holstein sind 288 so genannte Reichsbürger aktenkundig – 32 davon im Kreis Pinneberg. Speit geht aber davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist. „Das sind nur die offiziellen Zahlen – Leute, die aufgefallen sind“, sagt der Experte.

Szene vergrößert sich stärker, als Öffentlichkeit wahrnimmt

Speit ist Journalist und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der rechten und rechtsextremen Szene. Der 51-Jährige kam während seines früheren Berufes in der Behindertenpflege mit dem Thema Euthanasie in Kontakt. Dabei überraschte ihn, dass die Euthanasiegutachter im Dritten Reich oft Veganer, Tierrechtler oder generell humanistisch eingestellte Menschen waren. Nach ersten Aufsätzen darüber beschäftigte er sich weiter mit dem Thema Rechtsextremismus. Mittlerweile hat Speit etliche Bücher geschrieben, gilt als Experte. Das hat zur Folge, dass er, besonders online, oft angefeindet und beleidigt wird. Speit will das aber nicht in den Mittelpunkt stellen: „Es gibt zahlreiche Menschen, die tagtäglich bedroht werden – die sich das aber nicht ausgesucht haben.“ Für ihn ist es wichtig, über Phänomene wie die "Reichsbürger" aufzuklären. „Ich habe seit Jahren bemerkt, dass sich da mehr bewegt, als in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird“, sagt Speit.

Das kann auch der Direktor des Amtes Marsch und Geest Südholstein bestätigen. „Die Vorfälle werden immer mehr“, sagt Rainer Jürgensen. Mittlerweile verzeichne seine Behörde mindestens alle 14 Tage Zwischenfälle. Die seien zum Teil äußerst skurril. „Ich habe schon öfter Briefe bekommen, in denen gegen mich Strafanzeige gestellt wird – bei Putin, Trump oder dem Papst“, sagt Jürgensen. Ihn beim amerikanischen und russischen Präsidenten anzeigen zu wollen, könne Jürgensen noch nachvollziehen. Schließlich gehen viele "Reichsbürger" davon aus, Deutschland werde noch immer von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs regiert. Er kann aber nur mutmaßen, was das Oberhaupt der katholischen Kirche damit zu tun haben soll: „Vielleicht steht der Papst ja über allem“, sagt er und muss selbst ein wenig lachen. Auch bei Speits Vortrag muss das Publikum immer wieder laut lachen. So abwegig und albern klingen die Forderungen und Überzeugungen der Anhänger dieser Bewegung.

Das Phänomen sollte aber nicht auf die leichte Schulter genommen werden, warnt Speit. „Es ist gut vorstellbar, dass sich Gruppen radikalisieren und Anschläge verüben“, warnt er. Immer wieder fallen "Reichsbürger" mit Widerstand gegen behördliche Anordnungen auf. Dabei kam es auch schon zu Gewalt. In Bayern wurde gar ein Polizist von einem selbst ernannten Reichsbürger getötet. Auch deshalb hat laut Speit ein Umdenken bei den Sicherheitsbehörden stattgefunden. Als Feinde des Grundgesetztes werde Reichsbürgern beispielsweise das Recht auf Waffenbesitz entzogen.

Im Kreis Pinneberg wurden bereits Waffen eingezogen

So auch schon im Kreis Pinneberg geschehen. „Wenn jemand durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er sich nicht an unsere Rechtsordnung gebunden fühlt, führt das zum Entzug des Waffenscheins oder auch zu einem Waffenverbot“, sagt Kreissprecher Oliver Carstens. Das sei im Kreis Pinneberg auch schon vorgekommen.

Und die Kreisverwaltung habe immer wieder mit Anhängern der Bewegung zu tun. Es sei aber sehr schwierig, diese Menschen zu identifizieren. Zu unterscheiden sei zwischen bekennenden "Reichsbürgern" und Verdachtspersonen. „Wir gehen von mindestens mehreren Dutzend echten 'Reichsbürgern' im Kreisgebiet aus“, sagt Carstens. Die meisten Kontakte zu dieser Bewegung habe die Finanzabteilung. Meist gehe es um die Begleichung offener Rechnungen.

Speit weiß, warum das so ist. „'Reichsbürger' sind oft verkrachte Existenzen – haben finanzielle Probleme“, sagt der Autor. Der Bundesrepublik die Souveränität abzuerkennen sei dann ein scheinbar einfacher Weg etwas Herausragendes zu leisten und bringe praktischerweise den Vorteil mit, seine Steuern oder sonstige Gebühren nicht bezahlen zu müssen.

Auch in Jürgensens Behörde melden sich immer wieder Bürger, die der Meinung sind, ihre Steuern nicht bezahlen zu müssen, da die Bundesrepublik nicht existiere. Das sei zwar keine bestimmte Sorte Menschen, aber: „Akademiker waren noch nicht unter ihnen.“