Kreis Pinneberg. Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit kommt am 29. Oktober nach Pinneberg. 32 Reichsbürger im Kreis Pinneberg bekannt.

288 Reichsbürger sind beim Innenministerium Schleswig-Holstein zum Stichtag 30. September aktenkundig. 32 davon leben im Kreis Pinneberg. Stellen sie eine Gefahr dar? Ja, meint Autor und Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit. Er kommt Ende Oktober auf Einladung des Kriminalpräventiven Rates Pinneberg, der Polizei, der Kreisjugendpflege und der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in die Kreisstadt, um sein Buch „Reichsbürger – die unterschätzte Gefahr“ vorzustellen.

Die selbst ernannten Reichsbürger sehen in der Bundesrepublik Deutschland keinen souveränen Staat. Sie verstehen sich als Bürger eines Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 und boykottieren daher Institutionen und Gesetze. Sie verweigern die Zahlung der Rundfunk- und Fernsehgebühren und ignorieren in der Regel auch Bußgeldbescheide. „Wenn dann Polizei und Gerichtsvollzieher vor der Tür stehen, kann von diesen Personen eine Gefährdung ausgehen“, sagt Till Stehn von der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus. Er verweist auf einen Fall aus dem bayerischen Georgensgmünd, wo ein 49-jähriger Reichsbürger bei einem Polizeieinsatz einen Beamten erschoss.

Zu derartig dramatischen Vorfällen ist es im Kreis Pinneberg zum Glück bislang nicht gekommen. Hier machte der Fall des selbsternannten „Oberreichsanwalts“ Steffen Peter aber Schlagzeilen, der am 21. September 2014 als Kandidat zur Uetersener Bürgermeisterwahl antrat. Seine erste Niederlage erlebte er schon vor dem Urnengang, als der Wahlausschuss seine Berufsbezeichnung „Oberreichsanwalt“ nicht zuließ und stattdessen „Stahl- und Walzwerker“ einfügte. Die finale Schlappe folgte am Wahlabend mit einem Ergebnis von nur 1,6 Prozent.

Kreis-Jugendpfleger Jörn Folster (r.) und Werner Westerhoff vom Kriminalpräventiven Rat Pinneberg
Kreis-Jugendpfleger Jörn Folster (r.) und Werner Westerhoff vom Kriminalpräventiven Rat Pinneberg © Arne Kolarczyk | Arne Kolarczyk

Auch der Fall des Waffennarren von S. aus Pinneberg, bei dem im Februar 2017 bei einer Razzia 114 Gewehre und Faustfeuerwaffen sowie 71.000 Schuss Munition beschlagnahmt worden waren und der seit Jahren die Kreisverwaltung und den Landrat Oliver Stolz mit teils beleidigenden Schriftsätzen bombardiert, weist starke Parallelen zur Reichsbürgerbewegung auf. Ob sich von S. tatsächlich als Reichsbürger sieht, ist allerdings nicht bekannt.

„Die Schwierigkeit ist, dass sich Reichsbürger nicht zwangsläufig nach außen als solche zu erkennen geben“, sagt Stehn weiter. Daher sei die Dunkelziffer vermutlich erheblich größer als die offiziellen Zahlen. Seine Beratungsstelle mit Sitz in Itzehoe, die für die Kreise Pinneberg, Steinburg und Dithmarschen zuständig ist, bekomme häufiger Anfragen von Menschen, die sich mit vermeintlichen Reichsbürgern konfrontiert sehen und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. „Wir hatten Anfragen von Behördenmitarbeitern, die ellenlange Briefe aus diesem Personenkreis bekommen“, so Stehn weiter. Es seien Lehrer dabei gewesen, die Schwierigkeiten mit Eltern hatten, die sich offenbar der Szene zugehörig betrachteten. Auch aus einer Kleingartenanlage, in der ein Mitglied auf seinem Areal eine Reichsfahne hisste, sei ein Hilferuf gekommen.

Was sind Reichsbürger?

Erste Reichsbürger fielen in den 80er-Jahren auf. Sie glauben, das deutsche Grundgesetz sei eine „Fortsetzung des Krieges gegen das Reich“ und sehen die Bundesregierung als von „den westlichen Siegermächten aufgezwungenes Statut der Fremdherrschaft über das Deutsche Volk“ an.

Die Anhänger dieser Bewegung behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei nicht der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches der NS-Diktatur. Ihrer Meinung nach ist die Bundesrepublik Deutschland völker- und verfassungsrechtlich illegal und damit nicht existent.

Dieser Theorie nach sind für die Reichsbürger alle Institutionen und Gesetze der Bundesregierung unrechtmäßig. Die Reichsbürger erstellen eigene Pässe, Führerscheine, sie bilden Regierungen und prägen Münzen.

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„Diese Menschen werden häufig jahrelang als Spinner abgetan“, berichtet Juliane Deppe, die ebenfalls in der Beratungsstelle tätig ist. Dabei würden sie sehr intensiv die sozialen Medien nutzen, um für ihre Belange Werbung zu betreiben. Dabei seien oftmals antisemitische Äußerungen und auch Verschwörungstheorien anzutreffen.

„Mitarbeiter des Pinneberger Bürgerbüros berichten uns von Fällen, wo Personen ihren Personalausweis abgeben wollten und stattdessen einen Staatsangehörigkeitsausweis mit dem Stand von 1914 anfordern“, sagt Werner Westerhoff, Geschäftsführer des Kriminalpräventiven Rates der Stadt. Seit Oktober 2017 nehmen Behörden in Schleswig-Holstein von Personen, die einen noch gültigen Pass oder Ausweis bei den Behörden abgeben wollen, dafür eine Gebühr von fünf Euro pro Tag. „Seitdem ist die Rückgabe von solchen Dokumenten um 70 Prozent zurückgegangen“, so Juliane Deppe weiter.

Westerhoff vom Kriminalpräventiven Rat hat die Initiative ergriffen und maßgeblich die Veranstaltung mit Andreas Speit organisiert. „Es herrscht über die Reichsbürgerbewegung viel Unwissen. Wir wollen dem Fachwissen entgegenstellen“, sagt der Kreisjugendschützer Jörn Folster, ebenfalls Mitorganisator.

Die Veranstaltung beginnt am Montag, 29. Oktober, um 19 Uhr im Geschwister-Scholl-Haus, Bahnhofstraße 8, in Pinneberg. Zunächst wird Speit aus seinem Buch vorlesen. Anschließend ist eine Diskussion geplant, Besucher können Fragen stellen. Der Eintritt ist frei. Die Veranstalter sorgen vor Ort für ein begleitendes Informationsangebot, einen themenbezogenen Büchertisch gestaltet die Pinneberger Buchhandlung Bücherwurm.

„Wir hoffen auf 60 bis 100 Besucher“, sagt Folster. Sollten unerwünschte Gäste aus der rechtsextremen Szene auftauchen oder andere Personen versuchen, die Veranstaltung zu stören, werde man restriktiv das Hausrecht nutzen und diese vor die Tür setzen, kündigt Westerhoff an. „Wir greifen auf die Polizei als unseren Mitveranstalter zurück, der bei Bedarf relativ schnell zusätzliche Kräfte bereitstellen kann. Niemand muss sich bei unserer Veranstaltung unsicher fühlen oder mit Angst herkommen.“