Helgoland . Ein modulares Bauverfahren sorgt dafür, dass auf der Hochseeinsel 67 neue Wohnungen im Rekordtempo entstehen können.

In weiße Planen verhüllt stehen die Fertighausteile auf der Deckfläche eines 1140 Quadratmeter großen Ponton. Der schwimmende Quader wird von zwei Schleppern in den Helgoländer Hafen gezogen, wo ein Kran die zwischen neun und 13 Tonnen schweren Module an Land hebt. Selbst Dusche, Toilette und Spiegel sind bereits in den Holzkonstruktionen mit Stahlrahmen verbaut. Die Teile haben einen weiten Weg hinter sich. Der Hersteller Diamond Module fertigt die Bauteile in Radomsko, Polen, und bringt sie auf dem Landweg nach Glückstadt. Von dort geht es in etwa acht Stunden über den Wasserweg auf die zum Kreis Pinneberg gehörende Hochseeinsel. Ein Traktor bringt die einzelnen Teile dann zu Alexander Krensel ins Oberland.

Mit einem Kran werden die Module vom Ponton aufs Festland gehoben.
Mit einem Kran werden die Module vom Ponton aufs Festland gehoben. © Alexander Krensel | Alexander Krensel

Der Bauleiter lässt in Nachbarschaft zum Leuchtturm bis Ende des Jahres 67 Wohnungen in 14 Wohnblöcken zusammenschrauben. Im Modulbauverfahren, bei dem Gebäude ähnlich wie bei Lego-Bauten aus einzelnen, vorgefertigten Teilen zusammengesetzt werden. Das hat laut Hersteller einige Vorteile: In den überdachten Produktionsstätten kann wetterunabhängig gebaut werden, es ist günstiger als konventionelle Bauweisen, und die Variabilität ist hoch. Die Bauten können aus beliebig vielen Modulen bestehen, die wiederum individuell gestaltet werden können. Durch die modulare Bauweise können Bauherren ihre Gebäude sogar nachträglich ergänzen oder verkleinern lassen. Selbst ein Umsetzen des Hauses auf ein anderes Grundstück ist möglich. Der größte Vorteil ist aber die Zeitersparnis.

Es dauert nur Tage ein Modulhaus aufzubauen

Ein Traktor zieht die Häuserteile dann aufs Oberland.
Ein Traktor zieht die Häuserteile dann aufs Oberland. © Alexander Krensel | Alexander Krensel

Das bestätigt auch der Bauleiter. „Sobald die Vorbereitungen erledigt und die Module vor Ort sind, dauert es nur wenige Tage, bis die einzelnen Teile verschraubt sind“, sagt Alexander Krensel. Anschließend folgen der Innen- sowie Außenausbau, und nach nur wenigen Wochen steht das Haus. Theoretisch eine massive Zeitersparnis gegenüber konventionellem Massivbau, bei dem ein Haus in vergleichbarer Größe oft Jahre bis zur Fertigstellung braucht. In der Praxis macht dem Bauleiter aber die Witterung auf der Hochseeinsel zu schaffen. „Wir haben hier Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern“, sagt der Bauingenieur. „Da darf man nichts unbeobachtet lassen.“ Der Bauzaun zum Absperren des Geländes wird regelmäßig umgeweht. Auch die Lieferung der Module ist durch das wechselhafte Wetter nicht immer zuverlässig. Teilweise muss sein Team wochenlang auf ein Teil warten.

Für die momentan 19 polnischen Bauarbeiter und ihren durchgehend anwesenden Übersetzer gibt es auf der Baustelle aber immer etwas zu tun. „Die Vorbereitungen vor dem Zusammenschrauben sind teilweise sehr umfangreich“, sagt der 30-Jährige. Beispielsweise müsse der Baugrund ausgetauscht werden, da die Erde zu „schluffig-tonig“ sei. Außerdem es eine besondere Herausforderung, auf einer Insel zu bauen. Spaß macht es Krensel aber. „Für mich ist es eine tolle Erfahrung, da ich sonst nur Wald und Wiesen kenne“, sagt der Thüringer. Ganz besonders gefällt ihm der Zusammenhalt auf Helgoland: „Egal um was es geht – hier greifen einem alle unter die Arme.“

Baukasten-Häuser nach dem Lego-Prinzip

Modulares Bauen ist ein Bauverfahren, bei dem Teile des Bauwerkes, etwa die Fassade, aus vorgefertigten Bestandteilen, den Modulen, nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt werden.

Die Außenwände werden also nicht mehr vor Ort hergestellt, sondern dorthin transportiert und auf der Baustelle nur noch montiert.

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Das Bauprojekt soll die Wohnungsnot auf der Insel reduzieren. Die ist laut Bürgermeister zuletzt massiv angestiegen. „Aktuell haben wir etwa 70 Arbeitsplätze, die nicht besetzt werden können, weil Wohnraum fehlt“, sagt Jörg Singer. Auch deshalb habe sich die kleine Gemeinde entschieden, selbst zu bauen, anstatt einen Investor zu suchen. „Wir wollten die Zügel in der Hand behalten – selbst entscheiden, wer die Wohnungen mieten darf.“

Und so sieht ein fertig zusammengesetztes Haus aus.
Und so sieht ein fertig zusammengesetztes Haus aus. © Sebastian Becht | Sebastian Becht

Ende September wurden alle neuen Wohnungen im Hauptausschuss nach vorher festgelegten Kriterien vergeben. Menschen mit Arbeitsplatz auf der Insel sowie Familien seien dabei bevorzugt worden. Die zukünftigen Mieter mussten ihren Hauptwohnsitz bereits auf Helgoland haben. „Wir haben keine der neuen Wohnungen an Festländer vergeben“, sagt Singer. Freiraum entstehe aber im Altbestand. Auch weil eine im Mai diesen Jahres erlassene Satzung die Umwandlung von Wohnraum in Ferienappartements deutlich erschwert.

Das sei durch Wachstum in vielen Bereichen nötig geworden. Zu den drei Offshore-Windparks nördlich der Insel kommt demnächst noch ein vierter, und auch in der Klima- und Meeresforschung werden neue Stellen geschaffen. Hauptgrund sei aber ein anhaltender Tourismus-Boom. „Die Besucherzahlen gehen stetig nach oben, selbst im Winter“, sagt Tourismusdirektor Lars Johannson. Im vergangenen Jahr sind 348.000 Touristen auf die Insel gekommen. Bis Mitte Oktober diesen Jahres wurden bereits 365.000 Gäste gezählt. Auch dadurch entstehen neue Jobs – und Arbeiter brau Wohnraum.