Prisdorf. NDR-Experte Meeno Schrader spricht vor Bürgermeistern im Kreis Pinneberg. Seine These: Die Marsch ist in 100 Jahren überflutet.

Hitzewellen, Starkregen, Orkan und Dürreperiode – extreme Wetterkapriolen wechseln sich ab und werden sich in Zukunft immer mehr häufen. „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf. Wir sind auch hier im Norden Deutschlands mitten im Klimawandel. Unser Klima hat Fieber.“ Das ist die deutliche Botschaft des Meeno Schrader, der als promovierter Meteorologe seit 20 Jahren für den NDR Wetterberichte macht. Nun sprach er auf Einladung der Schleswig-Holstein-Netz AG vor rund 90 Bürgermeistern, Kreistagsabgeordneten und Gemeindevertretern in Prisdorf über die Folgen und was zu tun sei. Schraders bittere These: Aufhalten lasse sich der Klimawandel nicht mehr, höchstens noch verlangsamen.

Hier die wichtigsten Fragen an den bekannten Wetterfrosch und was er darauf antwortet.

Wo ist der Klimawandel zu spüren?

Um zu beobachten, wie unser Wetter immer häufiger verrücktspielt, bräuchten wir nicht auf die vier Wirbelstürme innerhalb von vier Tagen voriges Jahr in der Karibik zu schauen, sagt Schrader. Im Mai 2017 wurde das bayerische Dorf Simbach nach starkem Regen (175 Liter pro Quadratmeter) von einer Schlammlawine überspült. Durch Husum wirbelte 2016 ein Tornado. Dieses Jahr zu Himmelfahrt wurde Hamburg-Lohbrügge überflutet. In Quickborn prasselten am 10. Mai fast 60 Liter und am 25. Juli noch mal beinahe 50 Liter je Quadratmeter Regen in nur zehn Stunden auf den Boden.

Wie hoch ist der Temperaturanstieg?

Weltweit ist die Durchschnittstemperatur von 1981 bis 2017 um 1,1 Grad Celsius angestiegen, berichtet Schrader. In Deutschland seien es im selben Zeitraum 1,4 Grad. Und im Norden schreitet der Temperaturanstieg nach eigenen Messungen Schraders sogar noch schneller voran: 1,25 Grad Celsius allein von Januar 2005 bis Juni 2018.

Wie warm war der Sommer 2018?

Wie enorm der Temperaturanstieg bereits ausschlägt, hat sich in diesem Sommer im Norden gezeigt. Der April war um 3,6 Grad wärmer als im Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990. Der Mai um 4,2 Grad, der Juli um 3,6 Grad und der August um 3,1 Grad. Schrader: „Es wird weiterhin Schnee und Winter geben. Aber immer seltener.“

Moderator, Unternehmer, Segler

Meeno Schrader ist den Menschen im Norden am ehesten aus dem Fernsehen vertraut. Seit 2002 ist er für die Wettermoderation im Schleswig-Holstein-Magazin des Norddeutschen Rundfunks zuständig.

Der gebürtige Ostfriese ist 57 Jahre alt. Zunächst machte er, der seit seiner frühen Kindheit segelt, als Fahrten- und Regattasegler Karriere. Bei einer Profi-Weltmeisterschaft wurde er Dritter. Später trat er bei Wettbewerben als Berater namhafter Segler-Teams auf, zuletzt bei den Olympischen Sommerspielen 2008.

Nach seinem Studium der Meteorologie gründete Meeno Schrader zwei Unternehmen in Kiel (WetterWelt und Meteolytix), die Beratungsleistungen rund ums Wetter anbieten.

Promoviert hat Schrader über die Warmwassersphäre des Atlantiks.

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Was sind die Folgen, was kosten sie?

Weltweit seien zurzeit 50 Millionen Menschen auf der Flucht, so Schrader. 2050 werden es nach Schraders Prognose 250 Millionen Menschen sein, die vor allem aus Wassermangel, Dürre und anderen Klimafolgen flüchten müssen. In Deutschland hat sich in den letzten 30 Jahren die Zahl der Naturkatastrophen verdoppelt. Schrader sagt: „Jedes Grad mehr kostet uns in Deutschland 200 Milliarden Euro an Folgeschäden.“

Wie warm ist die Nordsee?

Der Meeresspiegel sei im Vergleich zu 1962 um 20 Zentimeter angestiegen. Auch hier zeigt sich der Klimawandel im Norden schneller als anderswo. Während die Ozeane seit 1962 um 0,8 Grad wärmer an der Meeresoberfläche sind, ist die Nordsee vor Helgoland bereits um 1,7 Grad wärmer als vor 55 Jahren.

Was passiert an der Elbe?

Schraders Prognose: Wenn der Meeresspiegel in den nächsten 100 Jahren nur um einen Meter steigt, sind die Haseldorfer und Seestermüher Marsch überflutet und nicht mehr bewohnbar – sofern die Deiche nicht enorm verstärkt und erhöht werden. Er rechne sogar eher mit einem Anstieg um anderthalb Meter, andere Prognosen gingen von bis zu fünf Metern bis 2120 aus.

Was kann jeder tun?

Schraders Tipps: Der Verbraucher sollte keine großen Autos mehr fahren, Haushaltsgeräte nicht im Stand-by-Modus laufen lassen. Beim Fliegen könne jeder freiwillig in einen Fonds für CO2-Äquivalenz einzahlen, der für die Abgase des Fluges andernorts Klimaprojekte finanziert. Schrader zahlt 140 Euro für seinen bevorstehenden Tokio-Flug ein.

Was macht der Kreis Pinneberg?

Landrat Oliver Stolz kündigte an, dass der Fuhrpark der Kreisverwaltung komplett auf abgasfreie Fahrzeuge umgerüstet werden soll. Auch die 45 Busse der Kreisverkehrsgesellschaft sollen nach und nach von Diesel- auf Elektroantrieb umgerüstet werden. Der Kreis hat dafür für dieses Jahr eine halbe Million Euro bereitgestellt, damit der Betriebshof der KViP mit Ladestationen und eigener Photovoltaikanklage ausgestattet werden kann. Damit dieses Ziel auch schnell erreicht werden kann, „bedarf es Förderprogrammen von Bund und Land, sonst dauert das 20 Jahre“, sagt SPD-Fraktionschef Hannes Birke.

Wie unterstützt die SH Netz AG?

Das Hansewerk, an dem alle elf Kreise im Land zu einem Drittel beteiligt sind, und die Netz AG, an der 340 Kommunen beteiligt sind, bietet ein Internet-Tool an, das die CO2-Ersparnis im Kreis Pinneberg mit 43,3 Prozent seit 1990 angibt. Diese Daten sind auch für jede einzelne Kommune erhältlich, sie kosten aber Geld, teilt die Hansewerk-Sprecherin Christine Pinnow mit. Zudem helfe das Unternehmen den Kommunen bei der Planung von Blockheizkraftwerken, Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED und anderen individuellen Lösungen für die Energieeinsparung.