Schenefeld. Schleswig-Holstein Musik Festival: Dirigenten-Tochter gibt Einblick ins Leben des Musikers, Sebastian Knauer spielt Klavier.

Nachts, wenn er allein am Klavier saß, besuchten ihn seine Dämonen. Nachts, allein am Klavier, entwickelte er Ideen. Nachts, allein am Klavier, war er auch mal verträumt, nachdenklich und geheimnisvoll. „Das sind nicht gerade die Eigenschaften, die man mit Leonard Bernstein verbindet“, sagt Jamie Bernstein. Sie weiß es wohl besser als die meisten anderen.

Die Tochter des Komponisten, Dirigenten und Pianisten bringt dem Schenefelder Publikum an diesem Abend eine etwas andere Sicht auf Leonard Bernstein, der in diesem Jahr am 25. August 100 Jahre alt geworden wäre, näher. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival liest Jamie Bernstein unter dem Titel „Nachtgespräche“ Texte und verschiedene Gedanken zu ihrem Vater, umrahmt von Musikstücke von Leonard Bernstein, Aaron Cop-land und George Gershwin, die Pianist Sebastian Knauer spielt.

Das Forum Schenefeld hat für die Besucher den roten Teppich ausgerollt, links und rechts davon säumen Feuerkörbe den Weg, und neben dem Eingang wird leise Musik gespielt. Die Stadt Schenefeld gibt einen aus und spendiert jedem Gast ein Glas Sekt zum Empfang.

Bürgermeisterin Christiane Küchenhof betritt als Erste die Bühne. Mit leicht zittriger Stimme leitet sie den Abend ein und verrät dann auch, warum sie etwas aufgeregt sei: Festivalgründer Justus Frantz ist überraschend als Gast im Publikum. Die Zuschauer begrüßen ihn mit „Ooh“-Rufen und spontanem Applaus – auch wenn die meisten ihn an diesem Abend nicht zu Gesicht bekommen werden.

Jamie Bernstein und Sebastian Knauer beim SHMF-Konzert im Forum Schenefeld 
Jamie Bernstein und Sebastian Knauer beim SHMF-Konzert im Forum Schenefeld  © Mirjam Rüscher | Mirjam Rüscher

Dann heißt es: Bühne frei für Jamie Bernstein und Sebastian Knauer. In seinen nächtlichen Sessions am Klavier hat Leonard Bernstein 29 kurze Klavierstücke geschrieben, die „Anniversaries“. Er schrieb sie für Freunde, musikalische Partner und Familienangehörige. Sie entstanden über Jahrzehnte hinweg. Jamie Bernstein erzählt die jeweiligen Geschichten zu den Klavierminiaturen, Hintergründe, Anekdoten. Nach ihrer Einführung spielt Sebastian Knauer eben diese Stücke.

Mit den Worten Jamie Bernsteins noch im Ohr, ist es etwas Besonderes, den passenden Klängen am Klavier zu lauschen. Zum Beispiel dem Stück für Helen Coates. Sie war Bernsteins Klavierlehrerin und dann 46 Jahre seine persönliche Sekretärin. „Das Stück beginnt mit einem krachenden Akkord, als würde sie ihn ermahnen aufzuwachen. Der Rest ist geschäftig und emsig – so wie Helen Coates“, so Bernstein. Als Knauer in die Tasten haut, zuckt Jamie Bernstein leicht zusammen. Während er spielt, sieht der Zuschauer Helen Coates förmlich durch die Gegend wuseln.

Geschichten bleiben etwas bruchstückhaft

Das Publikum erfährt an diesem Abend vieles über Leonard Bernstein, über seine Freunde, über die Tiefschläge seines Lebens. „Seine größte Schwäche sei, dass er immer Menschen um sich herum brauchte“, das habe ihr Vater immer behauptet. Sie hätte noch Stunden über ihn und sein Werk sprechen können, man hätte ihr gern zugehört. So bleiben die Geschichten von Jamie Bernstein – mal ganz gefühlvoll, mal beinah sachlich vorgetragen – etwas bruchstückhaft, flüchtig.

Bernstein und Knauer wirken harmonisch auf der Bühne. Mit geschlossenen Augen lauscht sie seiner Musik, aufmerksam hört er ihren Erzählungen zu. Die Anniversaries zeigen die große Vielseitigkeit von Leonard Bernstein.

Nach der Pause wird die Musik für viele eingängiger. Auszüge aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ – darunter das leichtfüßige „I feel pretty“ – und zum Abschluss die „Rhapsody in Blue“ von George Gershwin. Sebastian Knauer packt die Zuschauer vor allem mit diesem letzten Stück. Virtuos gleiten seine Hände über die Tastatur, er schraubt sich ins furiose Finale dieses insgesamt ruhigen aber sehr bewegenden Abends. Das Publikum dankt mit einem donnernden Applaus.

Das Konzert am 15. August in Wulfshagen wurde vom NDR aufgezeichnet. Es wird am 26. August um 11 Uhr in der Sendung „Das Sonntagskonzert“ auf NDR-Kultur gezeigt.