Tornesch. Volkshochschule, Kitas und Schulen klagen über Raumnot, Ärzte schlagen Alarm. Einwohnerzahl steigt erstmals über 14.000er-Marke.
In der Sonne funkeln die neuen Dächer um die Wette. Während das eine Haus schon bewohnt ist, flattert nebenan der Richtkranz im Wind. Neubauten und Baustellen reihen sich in Tornesch aneinander. Seit Jahren wird hier kräftig gebaut. Vor allem das Neubaugebiet Tornesch am See lockt viele Neubürger in die Stadt. Tornesch wächst kräftig. Lautete die amtliche Einwohnerzahl im September 2017 noch 13.601, lag sie nach Zählungen des Einwohnermeldeamtes Ende Juli 2018 bereits bei 14.366. Dass die Stadt besonders attraktiv für Familien ist, freut Sabine Kählert: „Es ist ein gutes Zeichen.“ Doch die neue Tornescher Bürgermeisterin weiß auch, dass der Zuzug nicht nur positive Seiten hat.
Ausmaß des Zuzuges sei nicht planbar gewesen
Schulen und Kitas sind voll ausgelastet, die Volkshochschule platzt aus allen Nähten, die Familienbildungsstätte sucht händeringend neue Räume, und auch der Verkehr drückt die Stadt – die Infrastruktur ist dem Bauboom nicht gewachsen. Tornesch ist schnell gewachsen, vielleicht zu schnell? Das sieht Kählert nicht so, aber sie räumt ein: „Ja, wir haben da Probleme.“ In Sachen Infrastruktur müsse die Stadt nachsteuern. „Wir haben in diesem Bereich eine ganze Menge zu tun.“
Das Problem: Der Zuzug sei in dem Ausmaß nicht planbar gewesen. Sicher hätten Familien mit Kindern gebaut und wären in die Stadt gezogen. Teilweise seien aber auch ältere Tornescher in die Neubaugebiete gezogen und hätten ihre alten Häuser vermietet. „Dann wohnt dort plötzlich eine Familie mit zwei Kindern. Das kann man nicht vorhersehen“, so Kählert.
Nun müssen die Kinder versorgt werden. Die Politik habe schnell reagiert, sagt Kählert. Eine neue Kita sei längst beschlossen. Das Problem: Es fehlt jemand, der sie baut. Kählert dazu: „Die Auftragsbücher sind voll, und daher machen viele Firmen überhöhte Abwehrangebote.“ So geht das Warten auf die Kita Seepferdchen weiter.
Nicht nur in Sachen Kita-Plätze ist es eng geworden in der Stadt, sondern auch an den Schulen. Zum Beispiel die Fritz-Reuter-Schule. Bislang war in den Containern an der Grundschule immer noch Platz für die Familienbildungsstätte Wedel (FBS), die dort unter anderem Eltern-Kind-Kurse angeboten hat. Doch die Schule benötigt den Platz nun selbst, die FBS musste ausziehen – und steht jetzt wiederum vor einem großen Raumproblem.
Eine Lösung ist nicht in Sicht. Deshalb tauchen im aktuellen Kursprogramm nur wenige Einzeltermine in Tornesch auf. „Wir bedauern das zutiefst“, sagt FBS-Mitarbeiterin Meike Förster-Bläsi. In den besten Zeiten hätten bis zu 100 Familien pro Woche die Kurse in Tornesch genutzt. Nun muss die FBS auf Uetersen, Wedel oder Moorrege verweisen. Laut Torneschs Bürgermeisterin Kählert hat die Stadt der FBS alternative Räume angeboten. Dabei handelt es sich um das Stadtteilbüro, das allerdings als Multifunktionsraum von mehreren Einrichtungen genutzt wird. „Das können wir nicht verantworten“, erklärt Bläsi. Zu groß sei die Gefahr für die Kinder, dass sie beispielsweise etwas verschlucken oder sich schneiden. Kählert hofft weiter, dass zeitnah eine passende Lösung gefunden wird. Ein nächster Gesprächstermin sei angesetzt.
Auch für die Volkshochschule hält die Verwaltung die Augen nach neuen Räumlichkeiten offen. Die VHS ist bis zum Anschlag ausgelastet, wie eine Mitarbeiterin bestätigt. Die Räume seien von morgens bis abends voll belegt. Man suche ständig nach neuen Räumen und Mitarbeitern.
Für die Schulen der Stadt ist bereits eine Analyse in Auftrag gegeben. Sie soll zeigen, ob die Kapazitäten ausreichen oder wo gegebenenfalls erweitert werden muss. „Wir lassen uns dabei fachmännisch beraten, auch in Hinblick auf die Nachhaltigkeit.“ In einem anderen Punkt kann Kählert als Verwaltungschefin aber wenig ausrichten. Denn der Zuzug wirkt sich auf die ärztliche Versorgung aus.
Kinderärztin schlägt Alarm, Patientenzahl verdoppelt
Kinderärztin Daniela Leiser bekommt die Folgen zu spüren. In den fünf Jahren, in denen sie in Tornesch tätig ist, habe sich ihre Patientenzahl fast verdoppelt. Sie hat eine Unterschriftenaktion für eine weitere Kinderarztstelle gestartet, um bei der kassenärztlichen Vereinigung Alarm zu schlagen. Die Bürgermeisterin weiß um das Problem, nur ihr seien die Hände gebunden. „Ich kann nichts tun, außer selbst zu unterschreiben.“
Angesichts der zahlreichen Baustellen, die sich in Sachen Infrastruktur nun auftun, sagt die Bürgermeisterin: „Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir etwas innehalten müssen.“ Es gebe bestehende B-Pläne, die ausgeführt werden müssen, Baulücken, die geschlossen werden, doch danach müsse man mal sehen, was kommt. Kählert dazu: „Ich denke nicht, dass wir in nächster Zeit große neue Baugebiete erschließen werden.“ Bei allen negativen Folgen kann sie der Sache etwas Positives abgewinnen: „Es freut mich, dass alle unsere Einrichtungen zusammenrücken und sich flexibel zeigen.“