Helgoland/Tornesch. 27 Jahre lang steuerte Andreas Pappert mit seiner Cessna Helgoland an, um Patienten zu versorgen – nun sagt er Adieu.
Auf der Hochseeinsel Helgoland kennen ihn fast alle. Denn Andreas Pappert war 27 Jahre lang eine feste Größe auf der Insel, wo sie ihn auch „Flying Doc“ nennen. Denn der Tornescher Zahnarzt flog sich immer mit seiner eigenen Cessna 210 Turbo Centurion ein. Bei Wind und Wetter steuerte er den Helgoländer Flugplatz auf der Düne an, der als einer der schwierigsten der Welt gilt.
Pappert: „Die Landebahn ist kriminell kurz“
„Die Landebahn ist kriminell kurz“, sagt Pappert lächelnd. Angst machte ihm das nie. Auch wenn die Schiffe wegen Unwetters schon lange nicht mehr die Insel ansteuerten oder Nebel die Sicht erschwerte, nahm er Kurs auf Helgoland. „Das hat etwas mit meinem Pflichtbewusstsein zu tun. Ich muss doch meine Patienten bedienen“, erklärt er.
Umso schwerer fiel es Pappert nun, Adieu zu sagen. Denn der Mediziner ist in Rente gegangenen, und während er für seine Praxis in Tornesch einen Nachfolger gefunden hat, ist für Helgoland keiner in Sicht.
Auch damals, als Pappert den Job übernahm, hätte man zuvor lange gesucht, wie er sich erinnert. Ein Kollege wusste von Papperts Leidenschaft fürs Fliegen und dass er eine Maschine besaß. Das spart viel Zeit und war ein ausschlaggebender Punkt für den Uetersener. Trotzdem hätte er sich 1990 niemals träumen lassen, dass er das einmal solange machen würde. Sein Vorgänger aus Hamburg habe den Job vor ihm 17 Jahre lang ausgeübt. „Der muss ja verrückt gewesen sein, dachte ich damals“, erinnert sich der 67-Jährige. Nie würde er das solange machen. Man soll eben niemals nie sagen. „Nun habe ich das auch noch viel länger gemacht. 27 Jahre“, sagt er kopfschüttelnd.
In den fast drei Jahrzehnten hat Pappert mindestens 380 Mal die Insel angeflogen, Hunderte Helgoländer und sogar die Nachkommen der ersten Patienten als Kieferspezialist behandelt. Dabei waren es vor allem die jungen Helgoländer, die zu ihm in die Sprechstunde kamen. Pappert verpasste vielen Insulanern den richtigen Biss und passte zahlreiche Zahnspangen an, um Fehlstellungen zu beheben. Alle drei Wochen bot er eine Sprechstunde an, zwischen sieben bis 20 Patienten zählte er. Ihnen ersparte er so eine Fahrt zum Festland und gegebenenfalls auch eine Übernachtung, wie er sagt.
„Viele waren traurig, als sie hörten, dass ich aufhöre“, erinnert sich Pappert – der selbst nicht weniger traurig ist. „Ich habe es immer als Privileg empfunden, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen.“ Dabei waren die Arbeitsbedingungen nicht die einfachsten.
Ärztemangel
Das fing schon mit der Landung an. Während der Seehund-Saison musste er immer den Tower anfunken und erfragen, wo die Tiere auf der ohnehin knappen Landebahn liegen. Dann hieß es: drumherum zu steuern. Auch beim Abflug waren die Seehunde gern im Weg. „Einmal lagen drei Stück vor dem Flugzeug“, erinnert sich der Mediziner, der ein Foto vorzeigen kann. Da die Tiere nicht kompromissbereit waren, schob Pappert am Ende seine Cessna kurzerhand weg. Der 67-Jährige ist stolz darauf, dass er sich von Tieren und Wetter nicht einschüchtern ließ. Dank seines Instrumentenflugscheins, den nur wenige Hobbypiloten besitzen, war dies so möglich. Seit rund 50 Jahren hat er seine Lizenz zum Fliegen – „immer unfallfrei“, betont Pappert.
Der lernte auf Helgoland aber nicht nur aufgrund der tierischen Launen zu improvisieren. Auch als Arzt musste er flexibel sein. So teilte er sich seinen Praxisraum in der Paracelsus-Nordseeklinik mit dem Augenarzt und der Neurologie. Die Behandlungslampe borgte er sich beispielsweise vom Gynäkologen aus. „Das waren schon einfachste Bedingungen“, sagt der Mediziner, der auch da aushalf, als den Helgoländern der allgemeine Zahnarzt zwischendurch abhanden kam.
Nachfolger? KZV sieht keinen Handlungsbedarf
Den Job hat mittlerweile Wolfram Dammann übernommen. Der 70-Jährige wollte auf der Insel eigentlich nur seinen Ruhestand genießen, wie Pappert von seinem Kollegen weiß. Nun ist er der einzige Zahnarzt der Insel. Wie es mit der Zahnmedizin auf Deutschlands einziger Hochseeinsel weitergehen soll? Für die Versorgung ist die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) zuständig. Dort sieht man derzeit aber keinen Handlungsbedarf. Laut Kirsten Behrendt, Pressesprecherin der KZV, würde die Vereinigung erst anfangen, jemanden zu suchen, wenn Wolfram Dammann seinen Verzicht auf die Zulassung erklärt. „Im Allgemeinen stehen Ärzte nicht Schlange, um auf einer Insel zu arbeiten“, weiß Kirsten Behrendt aus Erfahrung. Trotzdem ist sie sicher: „Wir haben es bisher immer geschafft, alle Stellen zu besetzen. Das gelingt uns auch auf Helgoland.“
Für Papperts Inselversorgung wird es nach Angaben der KZV damit aber keinen Ersatz geben. Seine Patienten müssen somit aufs Festland ausweichen. Dort sind die Kalender aber voll. Wie Pappert von Patienten hört, müssen sie lange auf Termine warten.
Vielleicht hat der fliegende Arzt es auch deshalb noch nicht übers Herz gebracht, seine Inselpraxis zu räumen. „Es ist schon ein schmerzlicher Einschnitt“, sagt der Zahnarzt. Er hat sich aber vorgenommen, in den kommenden Wochen seine Sachen von der Insel zu holen und den damit letzten berufsbedingten Flug nach Helgoland starten.