Wedel. Kulturkritik: Das Barlach-Museum in Wedel zeigt bis Ende November eine besondere Ausstellung über den Schriftsteller.

Die Bücher von Hermann Hesse (1877 - 1962) sind weltberühmt: 150 Millionen Exemplare wurden bislang verkauft, übersetzt in mehr als 70 Sprachen. Wie aber hat ein so bedeutender Schriftsteller geschrieben? Wie entstanden seine Bücher? Was hat er verworfen? Die Ausstellung „Hermann Hesse – Dichter, Maler, Kultfigur“, die kürzlich im Ernst Barlach Museum Wedel eröffnet wurde, gibt auf solche interessanten Hintergrundfragen Antworten. Zu sehen sind Original-Handschriften, Fotos, Filme und mehr als 100 Aquarelle.

Viel Zeit hat Jürgen Doppelstein, Leiter des Barlach Museums und Kurator der Ausstellung, mit dem Helden seiner Jugend verbracht. Seine Bücher wieder gelesen und sich auf die Spuren jenes Autors begeben, der mehrere Generationen in seinen Bann zog, besonders aber die Hippies der 1960er/70er Jahre. Hesse war Pazifist, propagierte antikapitalistisches Aussteigertum, moralische Libertinage und eine ganz allgemeine Auflehnung gegen Autoritäten. 50 Jahre nach der 68-er Bewegung erinnert Wedel also an Hermann Hesse, der sich, so Doppelstein, „allen Erziehungsversuchen widersetzte und sogar mal in die Irrenanstalt kam, weil er sich nicht anpassen wollte“.

Kurator Jürgen Doppelstein vor dem Ernst-Barlach-Museum in Wedel
Kurator Jürgen Doppelstein vor dem Ernst-Barlach-Museum in Wedel © HA | Thomas Pöhlsen

Vieles in der Ausstellung trägt die Aura des Originals, vieles hat Hesse selbst in den Händen gehalten: Unter Glas liegen vergilbte Papierseiten, die er mit seinem Füller in Sütterlin beschrieben hat, zum Beispiel mit der frühen Geschichte „Wenn es Abend wird“ von 1904. Sämtliche Original-Handschriften sind sauber und nahezu ohne Korrekturen geschrieben und öfter mit lieblichen Bildern geschmückt, mit denen der innerlich zerrissene Hesse „seine Seele beruhigen“ wollte, so Doppelsteins Vermutung.

Die Erzählung „Narziss und Goldmund“, erschienen 1930, schrieb Hesse dagegen auf einer Schreibmaschine. Eine durchgestrichene Seite daraus, die nie erschienen ist, liegt in der Ausstellung unter Glas.

Aber Doppelstein praktiziert keinen Devotionalienkult. Er will dokumentieren, nicht heilig sprechen. Einzig eine stabile Kiepe aus der Familie des Schriftstellers, mit der wahrscheinlich Hesse selbst noch Wein geerntet oder auch Unkraut gejätet haben könnte, steht in der Ecke eines Ausstellungsraumes, dahinter ein lebensgroßes Foto, das den Schriftsteller in einem Weinberg zeigt.

Hermann Hesse neben Thomas Mann
Hermann Hesse neben Thomas Mann © HA | Martin Hesse

Intensiv hat der Kurator mit Volker Michels zusammengearbeitet, der im Suhrkamp Verlag alle Hesse-Werke herausgegeben hat und seit 50 Jahren privat ein beeindruckendes Hesse-Archiv aufgebaut hat. Bei ihm im Hinterhof sind die meisten Fotos aus der Familie Hesse gut aufgehoben, dazu Briefe, Erstausgaben und anderes. Viele Aufnahmen stammen von Hesses Sohn Martin, der Fotograf war. Eines zeigt Hermann Hesse mit seiner dritten Frau Ninon, ein anderes seinen Vater mit Thomas Mann. Beide hängen in der Ausstellung, Letzteres ist deshalb bedeutend, weil Thomas Mann sich wiederholt dafür eingesetzt hat, dass Hesse den Literatur-Nobelpreis erhält.

Doppelstein hatte mit Hesses Sohn Heiner, der als sie sich kennenlernten schon Ende 70 war, einen tieferen Kontakt: „Er war ein klarer, ganz im Geiste seines Vaters denkender Mensch mit einer bedächtigen Sprechweise“, erinnert er sich. „Aber er war auch der mit Abstand kritischste der Hesse-Söhne.“ Heiner hatte sich gewünscht, dass Doppelstein das Hesse-Museum in Montagnola aufbaute.

Heiner Hesse spürte 2000 Aquarelle seines Vaters auf

Es kam dann anders. Die Fotos und Gegenstände, die Heiner ihm damals als Leihgaben in Aussicht stellte, haben die Erben inzwischen in Calw untergebracht. Von dort stammen viele der Hesse-Aquarelle in Wedel.

Der Suhrkamp Verlag betonte 2003 zu Heiner Hesses Tod dessen „Verdienste um die Erschließung der reichhaltigen Hinterlassenschaft des Dichters“. Heiner Hesse, so der „Tagesspiegel“, spürte zehntausende in aller Welt verstreute Briefe sowie rund 2000 Aquarelle seines Vaters auf. Er war auch Mitinitiator der 20-bändigen Hermann-Hesse-Gesamtausgabe.

Etliche weitere Fotos hat Doppelstein herbeigeschafft und reproduziert, die meisten auf einem detaillierten Zeitstrahl. Wer die Texte darin liest, erfährt vieles aus dem komplizierten Leben des unsteten Schriftstellers, der mit seinen ersten Frauen nicht glücklich wurde, seine Kinder vernachlässigte und deshalb von schlechtem Gewissen gepeinigt war. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Doppelstein Heiner Hesse kennenlernte: „Ich musste ihn immer anstarren. So ähnlich sah er seinem Vater!“ Er sei sehr kooperativ und großzügig gewesen und habe damals, als Doppelstein Hesse als Maler präsentierte, vieles verliehen.

Die aktuelle Ausstellung aber befasst sich stärker mit dessen Rezeptionsgeschichte als Schriftsteller, seiner „elektrisierenden Wirkung“ auf die Hippie-Bewegung in Amerika und die nachfolgenden Studentengenerationen. Doppelstein hat aus seiner Rock’n Roller-Zeit eigene Platten-Cover wie die von der US-Band Steppenwolf beigesteuert, von der er damals, als er jung war, noch nicht geahnt hatte, dass sie sich auf Hermann Hesses berühmten autobiografischen Roman bezog.

„Hermann Hesse - Dichter, Maler, Kultfigur“ bis 25.11., Ernst Barlach Museum (S-Bahn Wedel), Mühlenstr. 1, Wedel, Eintritt 8,-/erm. 6,-; Di-So 11.00-18.00; www.ernst-barlach.de