Elmshorn. Die Kreiskulturpreisträgerin erinnert an das jüdische Mädchen Anne Frank. Aktuell tourt sie mit einer Hommage an Udo Jürgens.

Die Wände sind mit Regalen tapeziert. In ihnen stehen Notenblätter, Aktenordner und Bücher, darunter zahlreiche Biografien. Udo Jürgens, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Heinrich Heine, Joachim Ringelnatz, Hermann Hesse, Wolfgang Borchert, Theodor Storm, Edith Piaf reihen sich aneinander – Buchrücken an Buchrücken und durch Anna Haentjens Bühnenprogramme. Akribisch bereitet sich die Chansonsängerin auf jeden ihrer Auftritte vor.

Die Wohnung im Stadttheater Elmshorn ist seit 19 Jahren ihr Zuhause. Hier erholt sie sich von Auftritten, kann schöpferisch tätig sein. Ein kreativer Ort, den die Künstlerin liebt, auch wenn er mit einer kleinen Einschränkung verbunden ist. „In meinem Mietvertrag steht, dass ich während der Vorstellungen nicht Klavier spielen darf“, sagt Haentjens und lacht. Das Theater wurde im vergangenen Jahr aufwendig restauriert. Durch das Fenster hinter dem neu angebrachten Balkon scheint die Wintersonne ins Wohn- und Arbeitszimmer. Auf dem Dielenboden stapeln sich Blätter mit Notizen, Gedichten und Noten für Kreuzfahrtshows, Künstlerporträts und Gastspiele.

Haentjens erinnert an das jüdische Mädchen Anne Frank

„Durch die vielen Reisen ist einiges liegen geblieben“, sagt die Kulturpreisträgerin der Stadt Elmshorn. Chansonwerkstatt im Kurt-Weill-Zentrum in Dessau, deutsche Weihnachtslieder singen mit Kindern im französischen La Rochelle, Weihnachtsprogramm in Ahrensburg und über den Jahreswechsel eine Rheinkreuzfahrt bis nach Holland waren nur einige Termine in den vergangenen Wochen. In Amsterdam rezitierte sie im Anne-Frank-Haus aus deren Tagebuch und sang. Es war auch das Anne-Frank-Programm, mit dem sie erstmals auftrat. Das war 1978 in Wedel, das Jahr, in dem sie ihren langjährigen Mentor, den Berliner Komponisten und Pianisten Manfred Schmitz, kennenlernte. „Er half mir, meinen persönlichen Stil zu entwickeln.“

Schon als Achtjährige habe sie singend Geschichten erzählen wolle, sagt Haentjens, die im ostfriesischen Emden aufgewachsen ist. Damals erhielt sie ersten Gesangsunterricht. Nach dem Abitur studierte sie an der Hochschule für Theater und Musik in Hamburg Musik für das Höhere Lehramt mit dem Schwerpunkt Gesang sowie Sprecherziehung/Phonetik und beschloss ihr Studium mit dem Ersten Staatsexamen. „Bereits während meiner Studienzeit entdeckte ich meine große Liebe für den Chanson.“ Für sie ist es „Welttheater in drei Minuten“, in dem sie Gefühle und Gedanken in komprimierter Form ausdrücken kann.

Sie kämpft gegen das Vergessen der Nazigräuel

In den 1920er-Jahren, der Blütezeit des literarischen Chansons, waren es Tucholsky, Brecht, Kästner, Ringelnatz, Friedrich Hollaender, Walter Mehring und Werner Finck, deren Gedanken die Kabarettbühnen behaupteten, bis 1933 die Nationalsozialisten jede kritische Äußerung untersagten. In ihrer Auseinandersetzung mit der Zeit entstanden beispielsweise Beiträge für das Kurt-Weill-Fest in Dessau. Dort geht sie am 4. März mit der Konzertmatinee „Kleiner Vogel Kukuli“ den Lebensspuren von Carola Neher und Klabund nach.

Längst ist ihr Elmshorn Heimatstadt geworden. Hier gründete sie 2005 mit Manfred Schmitz an der Volkshochschule eine Chanson-Werkstatt, arbeitet seit 2007 in der Arbeitsgruppe „Aktion Stolpersteine“ mit und ist seit 2008 Erste Vorsitzende der Kleinkunstbühne Haus 13. Seit Jahren erarbeitet sie mit Elmshorner Schülern die Gedenkveranstaltung „Gegen das Vergessen“, die am 25. Januar, dem Tag der Befreiung Auschwitz’, von 19 Uhr an im Saalbau der Freien Waldorfschule Elmshorn aufgeführt wird. „Meine Auseinandersetzung mit der barbarischen Zeit des Nationalsozialismus und meine persönliche Begegnung mit Verfolgten sowie Besuche ehemaliger Konzentrationslager und des Hinterhausverstecks von Anne Frank ließen in mir das Bedürfnis entstehen, singend und erzählend Einblicke in dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte zu geben“, sagt Haentjens, die mit Sorge eine zunehmende Verrohung in Politik und Gesellschaft beobachtet.

Ihre Reisen führen sie immer wieder auch ins französische La Rochelle. Der Ort liegt ihr besonders am Herzen. „Mein Vater war dort als 20-Jähriger auf einem U-Boot stationiert.“ Er habe sich damals begeistert freiwillig gemeldet und sei desillusioniert aus dem Krieg zurückgekehrt. „Wenn ich dort bin, frage ich mich immer wieder, ob ich gerade in seinen Fußstapfen wandele“, sagt Anna Haentjens. Sie kann ihn nicht mehr fragen. Er starb vor zehn Jahren.

„Hommage an Udo Jürgens“ am 30. Januar im Haus 13 ist bereits ausverkauft. Für die Vorstellung am 25. Februar von 16 Uhr an im Kulturwerk in Norderstedt gibt es noch Karten, zu bestellen unter 040/30 98 72 34.