Pinneberg. Türkischstämmiger CDU-Mann erlebt nach Drohanruf eine Welle der Solidarität – und den Besuch von Peter Harry Carstensen.

Nein, vergessen wird Baris Karabacak den 17. April so schnell nicht. Das Klingeln seines Handys. Die wüsten Beschimpfungen des Anrufers. Die Drohung, sein Haus werde verwüstet. Verschwinden solle er. In die Türkei. Zu seinem Präsidenten Erdogan. Und „Pinneberg nicht länger beschmutzen“. Kurz darauf steht CDU-Politiker Karabacak am Tresen der Pinneberger Polizei, stellt Strafanzeige. Drei Tage später macht er seinen Fall öffentlich. Und erlebt eine Welle der Solidarität, wie er sie nicht erwartet hätte.

Es ist eine Rückendeckung, die über Parteigrenzen hinweg geht, wie der 30-Jährige in Zeiten des Kommunalwahlkampfes betont. Die Unterstützung gipfelte in einem Grillfest, das der Christdemokrat mit türkischen Wurzeln am Montagabend steigen ließ. Und da stand prominenter Besuch vor der Tür des kleinen Reihenhauses, an dessen Klingelschild der Name Karabacak steht. Ein Ex-Landesvater begehrte Einlass. Peter Harry Carstensen holte sich eine Bratwurst ab – und fand deutliche Worte für den Hass gegen einen ehrenamtlichen Politiker, der sich Abende um die Ohren schlägt, um Pinneberg voranzubringen.

Es ist kurz vor 18 Uhr, als Carstensen („Ich bin Kilometer gelaufen, meine Frau wird stolz auf mich sein“) die kleine Wohnstraße in dem Neubaugebiet endlich gefunden hat. Ein schleswig-holsteinischer Ministerpräsident außer Dienst, der sich sichtlich von seiner Amtszeit erholt hat. Und für den Zeiten des politischen Dresscodes vorbei sind. Braune Cordhose, bodenständige Weste, Freizeitschuhe – der neue Peter Harry mag es offenkundig leger. Herzlich begrüßt Karabacak seinen Gast, der von Pinnebergs CDU-Chefin Natalina di Racca-Boenigk begleitet wird.

Im Garten hinter dem Haus warten bereits Nachbarn und Freunde. „Das ist keine Parteiveranstaltung“, betont der Gastgeber immer wieder. Das kleine Zelt im Garten trägt dennoch die Aufschrift der CDU. Das hat sich Baris Karabacak, der am Sonntag erneut in die Ratsversammlung einziehen will, dann doch nicht nehmen lassen.

Carstensen scheint allerdings nicht gekommen, um wenige Tage vor der Kommunalwahl Werbung für das Programm der Pinneberger Christdemokraten zu machen. Vielmehr für Menschlichkeit und fairen Umgang. Er habe von dem Fall Karabacak gehört, sich daraufhin spontan entschieden, den weiten Weg aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde nach Pinneberg anzutreten. Drohungen gegen den türkischstämmigen CDU-Politiker nennt er „ehrabschneidend“. Er habe große Angst, dass dergleichen einreiße. „Das ist so weit weg von demokratischem Anstand, wie es nur geht“, sagt Carstensen.

Zwei verkürzte Amtszeiten

Peter Harry Carstensen wurde 1947 auf Nordstrand geboren. Der Diplom-Agraringenieur trat Anfang der 70er-Jahre in die CDU ein.

Von 1986 bis 1992 führte er den CDU-Kreisverband Nordfriesland, saß von 1983 bis 2005 im Bundestag. Von 2002 bis 2010 war er CDU-Landeschef in Schleswig-Holstein.

2005 ging er als Spitzenkandidat in die Landtagswahl – und profitierte von einem Abweichler in der SPD, der Konkurrentin Heide Simonis bei der Wahl zur Ministerpräsidentin die Zustimmung verweigert hatte.

Ab 2009 regierte Carstensen nach dem vorzeitigen Ende der großen Koalition mit der FDP. Auch diese Amtszeit endete vorzeitig: Das Landesverfassungsgericht ordnete Neuwahlen an.

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Dann redet sich der 2012 aus dem Amt ausgeschiedene Ex-Landesvater vor den Grillern so richtig in Rage: „Dumm, verachtenswert und intensivst böse“ nennt er den Drohanruf, der Baris Karabacak vor zwei Wochen erreichte. Es seien nicht zuletzt türkische Gastarbeiter, die den Wohlstand in Deutschland mitbegründet hätten. Und deren Kinder und Enkel sich nun in der Politik für die Gesellschaft engagierten. Dafür gebühre ihnen Dank. „Wir haben in allen Parteien türkischstämmige Mitglieder, sogar auf Ministerposten, sie leisten gute Arbeit.“

Während seiner Amtszeit als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein sei ihm zuweilen vorgeworfen worden, zu viel auf Volksfesten unterwegs gewesen zu sein. Doch er fühle sich bestätigt, so Carstensen: „Wir müssen die Herrschaft über die Stammtische zurückerobern“, sagt er. „Damit andere dort weggehen.“

Der Drohanruf hatte das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Zuvor waren bereits Wahlplakate des 30 Jahre alten CDU-Politikers Karabacak mit Parolen („Unterstützt Erdogan, damit wir muslimisch werden“) beschmiert worden. Und es hatte Beschimpfungen in sozialen Netzwerken gegeben. Die hat Peter Harry Carstensen nicht gesehen. „Ich bin nicht bei Facebook oder Twitter“, bekennt der 71-Jährige, der von 2002 bis 2010 die Landes-CDU führte.

Polizei hat den Namen des Drohanrufers ermittelt

Baris Karabacak hat in den vergangenen Tagen viel Zuspruch erhalten. Vor allem bei Facebook. Er kann Carstensen und den weiteren Gästen am Montagabend noch eine gute Nachricht überbringen. „Die Polizei hat den Namen des Anrufers ermittelt.“ Er selbst sei von den Beamten dazu bereits befragt worden. „Aber der genannte Name sagt mir nichts“, so Karabacak. Weitere Gewaltandrohungen habe es zwar nicht gegeben. Anfeindungen sieht er sich eigenem Bekunden zufolge jedoch weiterhin ausgesetzt. In der Nacht zu Sonnabend seien in der Schöneberger Straße drei seiner Wahlplakate geklaut worden. „Die Diebe haben sogar die Kabelbinder mitgenommen“, sagt er. Peter Harry Carstensen hört aufmerksam zu, schüttelt den Kopf. „Macht mich wütend“, sagt er. Um sich kurz darauf der im Hause Karabacak an diesem Abend gebotenen kulinarischen Vielfalt zuzuwenden: „Und jetzt erst mal ’ne Wurst“.