Kreis Pinneberg. „Schockiert“: Wie der Skandal um Missbrauchsvorwürfe im Weißen Ring die ehrenamtlichen Opferhelfer im Kreis Pinneberg trifft.

Als Uwe Kleinig im September 2017 den Job als Chef beim Weißen Ring in Pinneberg übernahm, gab es ein Diensthandy als Zugabe. Eine uraltes wohlgemerkt. Telefonieren, Nachrichten schreiben – mehr war nicht drin. Kürzlich tauschte Kleinig das Gerät gegen ein Smartphone ein. Und wünschte sich in den vergangenen Tagen wohl, er hätte den alten „Knochen“ noch etwas behalten. Denn im Internet, und somit auf dem Bildschirm seines neuen Handys, schlägt der Skandal um den Leiter des Weißen Rings in Lübeck hohe Wellen.

Außenstellenleiter Kleinig will Vertrauen zurückgewinnen

Ein Opferhelfer, der Schutzsuchende missbraucht haben soll – etwas Schlimmeres kann den engagierten, ehrenamtlichen Betreuern in den Außenstellen wohl nicht passieren. „Wir sind schockiert“, sagt Kleinig. Er will um den Ruf des Rings kämpfen: „Wir müssen jetzt Vertrauen zurückgewinnen.“

Der Skandal ist noch frisch. Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass dem Ex-Außenstellenleiter Detlef Hardt vorgeworfen wird, in Lübeck mehrere Frauen in Beratungsgesprächen sexuell belästigt und genötigt zuhaben. Der pensionierte Polizist bestreitet die Vorwürfe, doch es melden sich immer mehr Opfer, die diese schweren Vorwürfe untermauern.

Kleinig, ebenfalls Polizist im Ruhestand, hörte eigenem Bekunden zufolge erstmals im November von personellen Veränderungen in der Lübecker Außenstelle des Weißen Rings. „Wir haben damals nachgefragt, aber nicht viel erfahren“, erinnert er sich. Erst
Ende Februar sei ihm dann mitgeteilt worden, dass es um den Vorwurf sexueller Belästigung gehe.

Die Vorwürfe gegen den Kollegen aus Lübeck will Uwe Kleinig nicht groß kommentieren. „Das ist jetzt Sache der Staatsanwaltschaft.“ Deutliche Worte findet der Pinneberger Außenstellenleiter dennoch: „Fast unerträglich“, nennt Uwe Kleinig die Schlagzeilen der vergangenen Tage. „Dass so etwas in einer Organisation passiert sein soll, die sich dem Opferschutz verschrieben hat, macht uns fassungslos.“

Angesichts des bereits eingetretenen Image-Schadens appelliert Kleinig an Unterstützer des Weißen Rings, nicht vom Fehlverhalten eines Einzelnen auf den gesamten Verein zu schließen. „Das haben die Mitarbeiter vor Ort nicht verdient.“ Opfer bräuchten auch im Kreis Pinneberg weiterhin dringend die Hilfe von Ehrenamtlichen. „Wir haben in unserem Gebiet noch nie Probleme gehabt“, so Kleinig.

„Es geht hier um ein schwarzes Schaf“, sagt auch Marga Ehlers, die sich für die Weißen Ring in ihrer Freizeit um Menschen kümmert, die unter Folgen eines Verbrechens leiden. Die Opferhelfer, es sind derzeit drei Frauen und drei Männer, würden intensiv geschult. Wer für den Weißen Ring in der Region im Einsatz sei, habe zuvor ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. „Auch bieten wir regelmäßig Supervisionen an“, so Kleinig. Während dieser Gesprächsrunden mit Psychologen komme auch das Thema der notwendigen Distanz zwischen Opfer und Mitarbeiter des Weißen Rings regelmäßig auf den Tisch.

Im Jahr 2017 wurden 117 neue Fälle bearbeitet

Wie wichtig die Arbeit der Opferschützer im Kreis Pinneberg ist, das belegt Kleinig mit seiner Jahresbilanz für 2017. Demnach wurden in zwölf Monaten insgesamt 117 neue Fälle bearbeitet. 49 Fälle aus 2016 wurden weiterbearbeitet. Insgesamt kamen 1.101 Arbeitsstunden zusammen. 17.748 Kilometer fuhren die Mitarbeiter des Weißen Rings durch den Kreis Pinneberg. An finanziellen Hilfen gingen 15.113 Euro raus.

145 der 2017 betreuten Opfer waren Frauen, nur 21 Männer. Neun Jugendliche und drei Kinder tauchen in der Statistik auf. Bei den Delikten, um die es 2017 ging, nahmen Körperverletzungen mit 29 Prozent aller Fälle großen Raum ein. Sexualdelikte schlugen mit 28 Prozent zu Buche. Oft ging es um Stalking und Häusliche Gewalt.

Marga Ehlers kümmerte sich 2017 unter anderem um eine Mutter, die nach massivem Missbrauch an ihrem Kind aus Lübeck an die Pinnau gezogen ist. „So ein Fall nimmt einen dann schon mit“, sagt die Opferhelferin. Was Uwe Kleinig angesichts der Bilanz etwas wundert: „Es melden sich wenig Einbruchsopfer bei uns.“ Und das, obwohl die Zahl der Wohnungseinbrüche im Hamburger Rand so hoch ist.

Der Weiße Ring in Pinneberg zählt 341 Mitglieder. Von Austritten nach dem Hochkochen des Skandals von Lübeck weiß Kleinig noch nichts zu berichten. Und er hofft, dass das auch so bleibt. „Wir können nur versuchen, unsere Arbeit hier vor Ort gut zu machen“, sagt der Ex-Polizist. An der Ehrenamtsmesse in Elmshorn nahm der Weiße Ring wie geplant teil. Allerdings mit gedämpfter Stimme. Kleinig verzichtete darauf, bei der Messe an ein Mikro zu treten.