Rellingen. Kritik der Woche: Autorin Barbara Sichtermann plaudert beim 22. Rellinger Frauenempfang aus dem Nähkästchen der Emanzipation.
Das Rellinger Rathaus war fest in Frauenhand. Und in der von Zwergen. „Ich bin Feminist“, „Mehr Frauen in den Hauptausschuss“ und andere Sprüche zierten die Gartenzwerge, die überall im Rathaus verteilt waren – eine PR-Aktion der Gleichstellungsbeauftragten für Schleswig-Holstein, die für mehr Frauen in der Politik wirbt.
Künstlerin Irene Otto lockte die Gäste mit Klaviermusik in die Rathausgalerie. Zum 22. Rellinger Frauenempfang hatten sich dort zahlreiche Frauen aus Rellingen und Umgebung versammelt. Die Stuhlreihen waren komplett gefüllt. Zu spannend schien das Thema zu sein, unter das die Gleichstellungsbeauftragte Dorathea Beckmann die Veranstaltung gestellt hatte. Journalistin und Autorin Barbara Sichtermann war zu Gast, um über „Der Duft der Freiheit – 1968 und die Geschlechterfrage“ zu referieren.
„Freiheit hatte immer einen guten, wenn auch leicht pathetischen Klang“, begann Sichtermann ihren Vortrag. Für junge Frauen Ender der 1968er bedeutete Freiheit, dass sie eine eigenverantwortliche Lebensperspektive entwickeln, dass sie als „eigenes Individuum ohne vorgezeichneten Lebenslauf“ leben konnten, erklärte Sichtermann. Das sei damals alles andere als selbstverständlich gewesen. „Als Frau hörte man ständig den Spruch ,Du heiratest ja doch‘. Man unterstellte ihnen zum Beispiel, dass sie sich an bestimmten Fakultäten an der Uni nur herumtrieben, um einen Mann zu finden“, erzählte die Autorin.
Sichtermann beschrieb, wie sie und ihre Schwester die damalige Zeit erlebten, wie sie – in deren Elternhaus es ein solch vorgefertigtes Frauenbild nicht gab – anfingen, das Verhalten vieler Frauen und das Gesellschaftsbild, das sich dahinter verbarg, zu hinterfragen. „Wir waren nicht frei, bei ganz entscheidenden Schritten. Wir hatten nicht das Recht auf einen eigenen Willen“, betonte Sichtermann und thematisierte dabei vor allem das Abtreibungsverbot und den mühsamen Weg bis zur Entkriminalisierung von Abtreibungen. „Wenn Männer schwanger werden könnten, hätte es nie ein Abtreibungsverbot gegeben“, ist Sichtermann sicher.
Durch die Verknüpfung von den Ereignissen der damaligen Zeit in Deutschland und Europa mit ihren eigenen Erinnerungen gelang ihr ein sehr informativer, unterhaltsamer und auch bewegender Vortrag. Immer wieder erntete sie von den anwesenden Frauen spontanen Beifall für ihre Aussagen. Außerdem gab es Gelächter, Kopfnicken und auch zustimmendes Gemurmel. Barbara Sichtermann traf mit ihrem Vortrag ganz offensichtlich genau ins Schwarze.
Schließlich versäumte sie es auch nicht, auf die aktuelle „MeToo“-Debatte zu verweisen und eine Einschätzung der heutigen Lage für die Gleichberechtigung der Frauen zu geben. Man bewege sich stets zwischen dem Glanz der Erfolge und dem Schatten ausstehender Forderungen. Sichtermann: „Der Kampf um Gleichheit ist ein Kampf für den Rest des Jahrhunderts.“