Gross Nordende. Sound-Ärztin ist Frontfrau der Groß Nordender Band Tonchirurgie, die gerade den Deutschen Rock&Pop-Preis gewonnen hat.

Von der Hauptstraße aus führt ein etwa 250 Meter langer, holpriger Kiesweg zwischen Feldern entlang hin zu einem versteckten Haus aus Backstein. Und in der Eingangstür wartet: Frau Dr. Glühfinger. Schwarze Haare, schwarze Corsage, schwarze Plateaustiefel. Von drinnen klingt Musik nach draußen, noch leise. Denn Prof. Dr. Morpheus, der auch an einem dunklen Winterabend Sonnenbrille trägt, schiebt in einem der hinteren Räume des Hauses Regler hin und her, dreht an Knöpfen. Es ist das Tonstudio.

Pardon: der OP-Saal. Denn bei der Goth-Electro-Band Tonchirurgie aus Groß Nordende, die gerade mit dem Deutschen Rock & Pop-Preis in der Kategorie „beste Gothic-Wave-Band“ ausgezeichnet worden ist, dreht sich zumindest namenstechnisch alles um das Thema Chirurgie. Das beginnt beim Bandnamen, setzt sich mit den Künstlernamen der Musiker fort und bezieht sogar die Fans ein, die sogenannten Patienten. Nur so ein Outfit wie das von Dr. Glühfinger und Co. hat in einem OP-Saal wohl noch niemand gesehen. Eine Obertonschwester Resistentia gibt’s auch.

Tonchirurgie besteht aus rund 20 Mitgliedern, die je nach Art des bevorstehenden Projektes eingesetzt werden. Sie spielen auf der Gitarre, dem Bass oder auch mal dem Didgeridoo, der Kreativität lassen sie freien Lauf. Im Mittelpunkt aber steht seit 2013 der Synthesizer, mit dessen Hilfe die Band auf elektronische Weise Klänge anderer Instrumente imitieren und mit Effekten versehen kann.

Die Patienten sollen nachdenken und sich bewegen

„Unsere Musik ist atmosphärisch, elektronisch, aber häufig auch tanzbar“, erklärt Frau Dr. Glühfinger. Die Band unterscheide deutlich zwischen Live-Auftritten und Musik, die sie online stellt. Die Songs, die sie auf Youtube oder Soundcloud hochladen, sollen Botschaften vermitteln, sie seien an den Verstand gerichtet, sollen zum Nachdenken anregen. Sie transportieren eine kritische Sicht auf unser Informationszeitalter, den Umgang mit Daten oder auch das Thema Krieg. Bei ihrer Live-Musik hingegen solle ein Gefühl vermittelt werden, „unsere Patienten sollen sich bewegen“, die Texte seien hier eher zweitrangig, häufig verschmelzen sie mit den Klängen der Instrumente.

Professor Dr. Morpheus steht auf und geht an seinen Synthesizer. Im Studio stehen diverse Lautsprecher, Computer, ein großer Bildschirm dazu, ein Mix Board, ein Aufnahmemikrofon, Gitarren und Synthesizer. An den Wänden hängen Plakate von vergangenen Auftritten, in der Ecke steht eine fies aussehende, schwarze, sehr große Außerirdischen-Skulptur.

Professor Dr. Morpheus klappt den An-Schalter seines Synthesizers um, die kleinen Lämpchen am Gerät leuchten auf. Er „dreht und schraubt“, wie er es nennt, an den Knöpfen und Reglern des Gerätes, drückt eine der Tasten, und schon ertönt die elektronische Musik. Durch weiteres „Drehen und Schrauben“ wird die Musik mal langsamer, mal schneller, verzerrter, basslastiger. Mit den sogenannten Oszillatoren des Synthesizers erzeuge er Schwingungen, Schallwellen. Diese könne er dann filtern, modulieren oder mit Effekten hinterlegen. „Wenn man solche Schallwellen im Millisekundenbereich bearbeiten kann, fühlt man sich wie ein Chirurg. Man gestaltet sozusagen den Klang“, erklärt der Professor. Daher also der Name Tonchirurgie. „Tonchirurgie bedeutet immer Klangerzeugung, egal, ob wir als Band auf der Bühne stehen, ob wir Filmmusik oder aber ein Hörspiel machen.“

Und wie heißen sie wirklich? Namen und Alter unterlägen der „ärztlichen Schweigepflicht“. „Wir hatten leider schon Probleme mit Belästigung, weshalb wir uns entschieden haben, nur noch unsere Künstlernamen zu kommunizieren“, sagt Professor Dr. Morpheus.

Tonchirurgie sei auch nicht einfach nur eine Band. Frau Doktor und Herr Professor, die beiden Chefärzte dieser Band, sie bezeichnen sich selbst als „Kulturprojekt“. Nach eigenen Angaben unterstützen sie Theaterveranstaltungen, Filmproduktionen oder auch Kunstprojekte, so zum Beispiel die Fotogalerie Darkerkant auf der „Cap San Diego“ in Hamburg im vergangenen Jahr, bei der sie durch elektronische Klänge für die passende düstere Atmosphäre sorgten. Derzeit helfen sie einer dritten Klasse einer Grundschule in Elmshorn bei der technischen Umsetzung eines Hörspiels.

Neben einem neuen Album, einem „neuen Klangexperiment“, wie Frau Dr. Glühfinger verrät, ist bei der Band aus Groß Nordende in diesem Jahr noch vieles Weitere geplant. Unter anderem geht es ab September mit einer brasilianischen Band auf Tour durch Europa.

Konzert: Sa 17.2., ab 20 Uhr „Fallen Angels Night“, Indra, Große Freiheit 64, Hamburg-
St. Pauli. Karten gibt’s im Vorverkauf bei Koma-Booking.de für 10 Euro sowie an der Abendkasse für 15 Euro.