Kreis Pinneberg. Auf der Straße spielen Neonazis kaum noch eine Rolle, sagt der Präventions-Experte beim Kreis Pinneberg. Die Szene verlagert sich.

Ein paar Buchstaben eintippen. Ein Mausklick. Und schon gibt’s rechtsradikale Hetzparolen frei Haus. Jörn Folster kennt den Weg in „braune Ecken“ des Internets. Muss er auch. Denn Folster ist beim Kreis Pinneberg für Prävention und Jugendschutz zuständig. Ein Job, der in Zeiten sozialer Netzwerke und zunehmender Digitalisierung neue Strategien erfordert. Jene, die einst vor Flüchtlingsheimen Hassparolen brüllten, erledigen ihr radikales Geschäft heute vorm Computer.

Springerstiefel mit Stahlkappen. Pullover der Marke Thor Steinar. Dazu die in den Schritt gezogene Jeans und übersichtliche Haarpracht. Fertig ist der Neonazi. Oder besser: war. Denn das einst gepflegte Bild vom Rechtsextremen, der pöbelnd durch die Straßen zieht, ist weitgehend passé. „Früher wussten wir, wie sie aussehen und wo sie sich treffen“, erinnert sich Folster an Zeiten, da er in Rellingen Jugendarbeit machte und die rechtsradikale Szene im benachbarten Halstenbek eine Basis hatte. „Heute wird in geschlossenen Räumen im Internet kommuniziert. Es ist schwierig, Jugendliche dort wieder rauszuholen.“

Fakt ist: Der Kreis Pinneberg gilt noch immer als ein Schwerpunkt der rechtsextremistischen Szene. Die in der Region aktive „Jugend für Pinneberg“ (JfP) gehört laut Verfassungsschutz zu „einem der wenigen noch vorhandenen strukturierten aktionistisch-neonazistischen Personenzusammenschlüsse“. Schon die von ihr betriebene Internetseite deute auf die gewaltbefürwortende Ausrichtung der Gruppierung hin, so der Verfassungsschutz in seinem Mitte 2017 vorgelegten Bericht. Im Jahr 2016 sei es im Kreis Pinneberg zu 75 durch Rechtsextreme verübten Straftaten gekommen. 23 mehr als im Jahr 2015.

Kristin Kröckel ist Expertin für Neonazis. Die 31-Jährige arbeitet beim regionalen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Itzehoe. Dessen Träger ist die Arbeiterwohlfahrt, finanziert wird das Team vom Land Schleswig-Holstein. Kröckel hat die Region nördlich von Hamburg im Blick. Etwa die Facebookgruppe „Pinneberg wehrt sich“, in der während und nach der Flüchtlingskrise von 2015 gegen Asylbewerber gehetzt wurde.

Rechtsradikale Tendenzen drohten angesichts der Diskussion über Islamismus derzeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu geraten. „Das Thema wird verdrängt“, sagt Kröckel, die zudem „eine gesellschaftliche Stimmung, die sich weiter nach rechts verschiebt“ diagnostiziert.

Kröckel und Folster raten zu Strafanzeigen gegen Internet-Hetzer, die offenkundig den Boden der freiheitlichen Grundordnung verlassen. „Es gibt immer mehr Gerichtsurteile wegen Volksverhetzung“, sagt die 31 Jahre alte Extremismusexpertin. „Es ist wichtig, Widerspruch deutlich zu machen und zu reagieren“, mahnt sie zum Gegensteuern.

Wachsende Probleme mit Reichsbürgern

Der Kreis Pinneberg hat es nicht nur mit Neonazis, sondern zunehmend auch mit so genannten Reichsbürgern zu tun. Dabei handelt es sich um Menschen, die die Bundesrepublik nicht anerkennen, Gesetze missachten und Ämter mit Schriftsätzen torpedieren.

Ziel ist es, den Rechtsstaat vorzuführen, die Verwaltung lahmzulegen. „Wir gehen von mehreren Dutzend Reichsbürgern aus“, so Kreissprecher Oliver Carstens. Ihm zufolge wurde Reichsbürgern auch schon der Waffenschein entzogen.

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Wie kürzlich in Elmshorn geschehen. Nachdem die ehemalige CDU-Spitzenpolitikerin Erika Steinbach bei Twitter gegen den dortigen Lichtermarkt gewettert und die Aufgabe von Traditionen und Kultur beklagt hatte, waren mehr als 1000 Menschen zu einer Demo erschienen, um ein Zeichen gegen rechte Hetze im Netz zu setzen. „Eine Gegenbewegung, die klar Stellung bezieht“, lobt Kröckel das Engagement der Elmshorner. Sie nimmt auch Journalisten in die Pflicht. Die neue Rechte mache sich die Medien zunutze. Die ließen sich zuweilen missbrauchen. So seien Menschen mit radikalnationalistischen Ansichten derzeit gern gesehene Gäste in Fernsehtalkshows. „Pure Werbung“, sagt Kröckel.

Ein Beispiel für neue Taktiken Rechtsradikaler in der Region liefert die Aktion Schwarze Kreuze, bei der im Jahr 2017 der Kreis Pinneberg ein Schwerpunkt war. Rechtsextreme stellten die Kreuze, die an von Ausländern getötete Deutsche erinnern sollen, etwa in Moorrege, Rellingen und Schenefeld auf. Laut Jörn Folster allerdings nur kurz. Vor Ort werde dann ein Foto geschossen, das später mit vielen anderen Bildern im Internet geteilt werde. So entstehe der Eindruck einer konzertierten und raumgreifenden Aktion. Die es jedoch gar nicht gebe. „Die Kreuze werden nach dem Foto gleich wieder eingesackt“, sagt Folster. Auch in diesem Fall gilt: Nicht die Straße zählt, sondern das Internet.

Folster will weiter aufklären. Zum Aufstehen motivieren. Dafür arbeitet er eng mit Sozialpädagogen an Schulen zusammen, der Kreis bietet Fortbildungen zum Thema an. „Politische Bildungsarbeit ist mehr denn je nötig“, sagt der Jugendpfleger des Kreises. Auch wenn die letzte Neonazidemo in der Region fünf Jahre zurückliegt und die NPD keine große Rolle mehr spielt. „Es gibt im Kreis Pinneberg rechte Kader“, so Kröckel. Eltern spielten in Zeiten der Radikalisierung im Internet bei politischer Bildung eine besonders wichtige Rolle. Folster: „Man muss nah dran sein.“