Pinneberg. Sie sind täglich viele Kilometer unterwegs. Was Berufsfahrer dabei erleben, erzählen sie in unserer Serie. Heute: der Fahrlehrer.
Leon Gohla sitzt hinter dem Steuer des knallgelben Fahrschulwagens. Er setzt den Blinker nach rechts, schaut in den Seitenspiegel und macht den Schulterblick. Die Straße ist frei, und der 17-Jährige biegt vom Damm in Pinneberg in die Weidenstraße. Am Ende des Wegs wartet eine kniffelige Stelle auf den Fahrschüler. „An der Kreuzung bitte links abbiegen“, sagt Fahrlehrer Stefan Marx. „Mal sehen, ob du dich richtig einordnest.“
Leon Gohla fädelt sich mit dem VW Golf auf der rechten Fahrbahn ein – und macht alles richtig: Obwohl die Straße mit den viele geparkten Autos an der Seite den Eindruck einer Einbahnstraße erweckt, ist sie eben keine. Der Autofahrer muss sich rechts halten. „Das ist ein typischer Fehler bei den Schülern, dass sie denken, sie wären hier in einer Einbahnstraße“, sagt Fahrlehrer Stefan Marx. „Bei Banalitäten werden sie oft unachtsam.“ Doch der 17-Jährige hinterm Steuer hat den kleinen Test seines Lehrers bestanden.
Der Elftklässler hat mit Stefan Marx schon zwölf Fahrstunden im Auto verbracht. Hinten im Wagen sitzen Leons Kumpel Michael Malek und Fahrschüler Nikita Salanovich, der die Stunde zuvor am Lenkrad gesessen hat. „Wie viel wettet ihr, dass Leon in dieser Straße keinen Fehler mehr macht?“, fragt Marx in die Runde. „100 Euro vielleicht?“ Michael scheint nicht ganz vom Können seines Freundes überzeugt zu sein. „Ne, höchstens 50 Cent“, scherzt er.
Für den ein oder anderen Spaß ist der Pinneberger Fahrlehrer immer zu haben. Seine Stunden mit den Schülern seien nie langweilig. Mit dem erhobenen Zeigefinger würde er wenig erreichen. „Wenn jemand Angst hat, dann ist er gehemmt“, sagt der 55-Jährige. „Bei mir herrscht immer eine lockere Atmosphäre, und trotzdem wissen alle Beteiligten, worum es hier geht. “
Seit 30 Jahren ist Stefan Marx Fahrlehrer aus Leidenschaft
Stefan Marx ist einer, der es wissen muss. Seit 30 Jahren bringt der Familienvater den Leuten das Autofahren bei. Nachdem er Kfz-Mechaniker gelernt hatte und bei der Bundeswehr gewesen war, machte er seinen Fahrlehrerschein. Seitdem ist Marx für die Pinneberger Fahrschule Golchert & Kurtz tätig. Er brennt für seinen Job. „Mir fehlt etwas, wenn ich nicht zur Arbeit kann“, sagt er. „Jeder Tag bringt Spaß. Alle 45 Minuten beginnt eine neue Fahrstunde, mit einem neuen Schüler, einem neuen Gesicht, einer neuen Geschichte.“ Für den 55-Jährigen ist es unheimlich wichtig, Spaß an seinem Job zu haben. „Ich verdiene nicht irrsinnig viel Geld, um reich zu werden reicht es nicht“, sagt er. „Es ist einfach Berufung. Das ist mein Leben.“
Dafür nehme er auch die schlechten Arbeitszeiten in Kauf. Viele seiner Kunden sind Schüler und haben vormittags keine Zeit für Fahrstunden. „Dann haben wir meistens Leerlauf, und man fängt erst richtig um die Mittagszeit an“, sagt der Pinneberger. Zudem ist jeder Fahrschüler dazu verpflichtet, dreimal bei Dunkelheit zu fahren. Im Sommer kommt es deshalb auch vor, dass Marx erst gegen Mitternacht zu Hause ist. „Familienfreundlich ist das nicht.“
Leons nächstes Fahrziel: Nikitas Zuhause. Dort angekommen, nutzt der Fahrlehrer gleich die Gunst der Stunde und lässt Leon rückwärts einparken. Nebenbei verabredet sich Stefan Marx mit Nikita für die nächste Fahrstunde. „Der große Stress in meinem Beruf ist nicht, den Leuten das Fahren beizubringen“, sagt er. „Sondern die vielen Fahrschüler unter der Woche zu managen.“
Etwa 100 Schüler bringt er jährlich durch die Prüfung
Pro Jahr muss der Pinneberger ungefähr 100 Fahrschüler durch die Fahrprüfung bringen. Die meisten bestehen auch, sagt er, der ewige Beifahrer ist. Damit die drei großen „R“ – rechts, ran, raus – vom Fahrprüfer erst gar nicht ausgesprochen werden müssen, fährt er mit seinen Schülern die kniffeligsten Stellen während der Fahrstunden ab. Dazu gehört zum Beispiel der mehrspurige Kreisverkehr. Hier begeben viele Autofahrer einen Kardinalfehler – nicht nur Anfänger. „An dieser Stelle kommt es zu vielen Beinaheunfälle“, sagt Stefan Marx. „Blickrichtung ist links, und beide Spuren müssen frei sein.“ Seine Schützlinge lässt Marx auch nach Hamburg reinfahren: „Es macht ja keinen Sinn, den Dorfführerschein einzuprägen.“
So wird man Fahrlehrer
Das Dilemma bei den Prüfungen sei dann nicht, dass die Schüler nicht richtig vorbereitet seien. Einige hätten Prüfungsangst, bekämen den Kopf nicht frei, und dann verändere sich das Gesichtsfeld. „Die Schüler fahren viel zu vorsichtig“, sagt er. „Man sitzt dann daneben und kann nichts mehr machen.“
Wie lange seine Fahrschüler für den Führerschein brauchen, sei von Fall zu Fall unterschiedlich. Einige seien richtige Naturtalente und kämen mit 20 Stunden aus. „Ich hatte auch mal einen Schüler, der ist fünfmal durch die Fahrprüfung gefallen. Oder eine 64-jährige Dame, die 180 Fahrstunden gebraucht hat.“ Hält sein Schüler den Führerschein in der Hand, ist die Freude groß. „Ich bin froh, dass ich sie los werde – aber das ist nicht böse gemeint.“
Leons Fahrunterricht endet vor dem Haus, in dem der 17-jährige Tim Vogel wohnt. Der nächste Kandidat für den ewigen Beifahrer.