Kaltenkirchen. Sie fahren täglich viele Kilometer. Was Berufsfahrer im Alltag erleben, erzählen wir in der Serie. Heute: ein Triebfahrzeugführer

Das Signal steht auf Grün. Die Türen sind zu. Über Funk ist die Leitstelle zu hören. Um exakt 10.23 Uhr legt Jörg Wienhold den Hebel zu seiner Rechten langsam um, die AKN setzt sich in Bewegung. Der Triebfahrzeugführer steuert die 54 Meter lange Bahn aus dem Kaltenkirchener Bahnhof. Das Ziel ist Hamburg-Eidelstedt.

Bergauf nimmt der LINT-Wagen – der „leichte innovative Nahverkehrstriebwagen“ – langsam Fahrt auf. Jörg Wienhold muss sich bei der Geschwindigkeit an genaue Vorgaben halten. Vor ihm liegt ein Plan, der festlegt, wie schnell er an welcher Stelle fahren darf. „100 Stundenkilometer sind die zulässige Streckenhöchstgeschwindigkeit“, sagt Wienhold. So schnell wird die AKN zunächst nicht, bis zur ersten Haltestelle ist es nicht weit. „Nächster Halt Kaltenkirchen-Süd. Der Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung rechts“ – die automatische Ansage aus dem Abteil ist auch in der Fahrerkabine zu hören.

Der Blick ist immer auf die Gleise und die nähere Umgebung gerichtet, um Hindernisse frühzeitig zu sehen
Der Blick ist immer auf die Gleise und die nähere Umgebung gerichtet, um Hindernisse frühzeitig zu sehen © HA | Mirjam Rüscher

Wienhold kennt die Strecke, die vor ihm liegt, wie seine Westentasche. Seit 1991 ist er Triebfahrzeugführer, seit 2004 außerdem auch Lehrlokführer und bildet die 74 Kollegen bei der AKN weiter. Er kennt jeden von ihnen. „Klar, ich bin einer von zweien, die alle anderen aus-, fort- und weiterbilden“, sagt Wienhold. Auch Baufahrzeuge auf der Strecke darf er fahren. „Ich bin so lange dabei, dass ich für jedes Fahrzeug eine Lizenz habe“, sagt der 55-Jährige. Er grinst. Wienhold hat noch genauso viel Spaß im Job wie am ersten Tag.

Als die Bahn im Bahnhof Henstedt-Ulzburg zum Stehen kommt, springt Wienhold auf und schnappt sich die Rampe. Der Rollstuhlfahrer, dem er in Kaltenkirchen in die Bahn geholfen hat, hilft er nun wieder hinaus. „Ich habe ihn beim Einsteigen gefragt, wo er aussteigen möchte“, erklärt der Triebfahrzeugführer, während er die AKN wieder in Gang setzt.

Die AKN in Zahlen

Die AKN wurde 1883 unter dem Namen Altona-Kaltenkirchener Eisenbahn-Gesellschaft gegründet. Von den etwa 300 Mitarbeitern sind die Triebfahrzeugführer mit 75 die größte Gruppe.

Das Verkehrsnetz umfasst 138 Kilometer, davon sind 118 Kilometer AKN-eigenes Netz. Die drei Linien A1, A2, A3 werden innerhalb des HVV als Schnellbahnlinien betrieben.

Die Bahnen halten an insgesamt 41 Stationen. Davon sind 39 im Besitz der AKN, die Stationen in Neumünster und Eidelstedt gehören der Deutschen Bahn.

Die Station Burg/Fehmarn und drei weitere auf Kieler Stadtgebiet gehören ebenfalls der AKN, werden aber von anderen Verkehrsunternehmen bedient.

Etwa 11,7 Millionen Fahrgäste befördert die AKN pro Jahr. 90 Prozent davon nutzen die AKN im Bereich des HVV.

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Allmählich verändert sich die Landschaft links und rechts der Gleise. „Die Strecke ist immer die gleiche, und doch sieht sie jeden Tag anders aus“, schwärmt Wienhold. Er mag es, den Wechsel der Jahreszeiten zu sehen. „Ich weiß nicht, ob irgendwer so viele Sonnenauf- und -untergänge gesehen hat wie meine Kollegen und ich.“

Jeden Tag aufs Neue freut er sich über seinen Beruf. Dabei kam er eher zufällig dazu. 1986 begann er als Lkw-Fahrer bei der AKN. „Etwa um diese Jahreszeit 1990 hatte ich einen schlechten Tag – maulige Kunden, ich habe irgendwas umgekippt. Da lief mir der Lokleiter über den Weg, und ich habe ihn gefragt, ob er noch einen Platz in seiner Abteilung hat“, sagt Wienhold. Am nächsten Tag lag seine Bewerbung auf dem Tisch.

Der Triebfahrzeugführer kann Verspätungen kaum aufholen

Die AKN steuert auf den Zielbahnhof Hamburg-Eidelstedt zu. „Es ist genau 11:02 Uhr“, sagt Wienhold, als die Bahn an der Station hält. Er klingt ein wenig stolz. „Ich freue mich einfach jedes Mal wieder, wenn ich pünktlich mit der Bahn ankomme.“ Dabei liegt es oft nicht in seiner Hand. Wenn er Verspätung hat, ist es ihm kaum möglich, die Zeit wieder gut zu machen.

Beschleunigung, bremsen – bei der AKN müssen die Triebfahrzeugführer noch alles selbst machen
Beschleunigung, bremsen – bei der AKN müssen die Triebfahrzeugführer noch alles selbst machen © HA | Mirjam Rüscher

„Das ist die Endstation, bitte steigen Sie aus.“ Wienhold hat sich das Mikro geschnappt und noch eine Durchsage gemacht, einer der Fahrgäste hatte nicht mitbekommen, dass die Fahrt zu Ende ist. Auf einem Monitor kann der Loklehrer alle vier Türen zeitgleich im Auge behalten. Als alle Fahrgäste ausgestiegen sind, setzt er die AKN wieder in Gang und fährt auf ein Abstellgleis. Er stellt den Motor aus.

Wienhold fährt nicht nur gern Bahn. „Ich bin auch leidenschaftlicher Auto- und Motorradfahrer“, betont der 55-Jährige, der ursprünglich nach der Schule eine Ausbildung als Zweiradmechaniker gemacht hat. Nach zehn Minuten startet er die Bahn wieder. Es geht zurück nach Kaltenkirchen. Während der Fahrt ist immer wieder ein Klappern zu hören. „Das ist die Sicherheitsfahrschaltung“, erklärt Wienhold. Etwa alle 20 Sekunden muss er das Pedal betätigen, sonst wird der Zug automatisch angehalten. Eine Sicherheitsvorkehrung, die die Dienstfähigkeit des Fahrzeugführers gewährleisten soll.

Die Serie

Viel unterwegs, selten, ja vielleicht nie am Schreibtisch: In unserer Serie porträtieren wir Menschen, die beruflich immer „auf Achse“ sind.

Erschienen sind bisher Reportagen über einen Taxifahrer, einen ADAC-Pannenhelfer, Polizisten, eine Bäckersfrau, zwei Müllwerker und eine Altenpflegerin.

Was ein Fahrlehrer „auf Achse“ erlebt, lesen Sie in unserem nächsten Teil.

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„Man ist für alles unterwegs verantwortlich. Sonst ist kein Personal an Bord“, so Wienhold. Fahrzeugvorbereitung, Bremstest, Kontrolle des Verbandskastens – als Triebfahrzeugführer ist man eben mehr als nur ein Fahrer.