Neuendeich. In unserer neuen Serie erzählen wir Geschichten aus den Sportboothäfen im Kreis Pinneberg. Heute: Tidehafen Neuendeich.
Das ist nicht für jeden Wassersportler das Richtige“, sagt Peter Harder. „So ein Tidehafen stellt besondere Anforderungen.“ Die Gezeiten bestimmen die Törns. Nur bei Flut können die Boote aus- oder wieder einlaufen. „Man muss damit klarkommen, dass man auch mal auf dem Trockenen liegen kann.“ Der Tidehub, also der Unterschied zwischen dem Scheitel von Hoch- und Niedrigwasser, beträgt mehr als drei Meter. Jedes Mitglied des Wassersportvereins Neuendeich hat einen Tidekalender zu Hause, um die Fahrten über die Pinnau in Richtung Elbe abstimmen zu können.
Peter Harder hat mit den Besonderheiten eines Tidehafens keinerlei Probleme. Er gehörte 1976 zu den Gründern des Wassersportvereins. Er war seitdem praktisch jeden Tag auf seinem Boot. Und weil der heute 88-Jährige auch noch das älteste Vereinsmitglied ist, brachte ihm das irgendwann den Spitzname Methusalem ein.
Hafen in Zahlen
Die Liebe zum Wasser wurde schon während seiner Kindheit geweckt. Über Familienbande verbrachte der Schüler die Sommerferien auf der Fähre von Schleswig nach Haddeby als Vorschoter. Einfach, aber seetüchtig müssen seine Boote sein. Harder bevorzugt Jollenkreuzer. Das Schwert lässt sich einfach herausziehen, was ideal für einen Liegeplatz in einem Tidehafen ist.
Die Umgebung
Die Gründung des Wassersportvereins beendete einen aus der Sicht des Wasser- und Schifffahrtsamtes unhaltbaren Zustand. Viele Freizeitkapitäne hatten ihre Boote einfach an den Ufern der Pinnau liegen. In dem Hafen fanden sie einen sicheren Liegeplatz. Harder und seine Mitstreiter der ersten Stunden hatten allerdings einige Arbeitsstunden zu absolvieren, bevor der Hafen zu einem Kleinod wurde. Wo sich heute der Hafen befindet, war damals nur ein Graben. Der Deich- und Sielverband betrieb ein Siel, über das die Gräben der Seestermüher Marsch in die Pinnau entwässert wurden. Das Siel war jedoch außer Funktion. Der Boden der Marsch ist so weich, dass er in 100 Jahren etwa ein Meter absackt. Das Siel hing praktisch in der Luft, wurde später zugeschüttet.
Der Graben musste zum Hafen ausgebaggert werden, wobei die Mitglieder viel Handarbeit leisteten, 40 bis 70 Arbeitsstunden jährlich. Heute sind es zehn bis 14: Die Männer der ersten Stunde wollten keine Stahlspundwände, sondern sie vertrauten weitestgehend auf Holz. Das hat zur Folge, dass regelmäßig Überholungsarbeiten anstehen. Dafür werden die Skipper mit einer Umgebung belohnt, die einen einmaligen Charme ausstrahlt. Auf eine Slipanlage verzichteten die Neuendeicher. Um ihre Boote aus dem Wasser zu holen und zu Wasser zu lassen wird die Anlage des Moorreger Wassersportvereins ein bisschen flussaufwärts genutzt.
Im Bereich nahe der Pinnau ist der Schlick sehr weich, was das Gebiet besonders geeignet für Boote mit festem Schwert macht. Die Segelschiffe sinken einfach ein. Würden sie kippen, könnten sich die Masten berühren und Schaden nehmen.
An der Spitze des Hafens zur Pinnau befindet sich auch „Kap Süd“. So haben die Skipper eine Sitzgruppe getauft, auf der besonders gern ältere Mitglieder wie Peter Harder Platz nehmen. Von dort haben sie einen guten Blick auf alle Boote, die vorbeifahren.
Selbst gebautes Rohrsystem hilft gegen Verschlickung
Eine besondere Herausforderung bot Harder und seinen Mitstreitern die Verschlickung des Hafens, die seit der vorerst letzten Elbvertiefung noch einmal deutlich zugenommen hat. Ein Rohrsystem zu einem Feuerlöschteich neben dem Hafen wurde gebaut. Der Teich läuft bei Flut voll, und durch ein Klappensystem schießt das Wasser bei Ebbe zurück durch den Hafen. Das abgelagerte Sediment wird so aus dem Hafen in die Pinnau gespült.
Harder ist es auch zu verdanken, dass sich die Anlage so schön grün präsentiert und ein Refugium für seltene Tiere ist. Geboren in Wellingsbüttel, kam er während des Zweiten Weltkrieges nach Elmshorn und machte in Sparrieshoop eine Lehre als Gärtner. Später arbeitete er im Botanischen Garten in Hamburg-Groß Flottbek, und auf dem Hafengelände sorgte er dank seiner Erfahrung dafür, dass durch heimische Bäume und Pflanzen ein ganz besonderer Lebensraum entstand. Die Vegetation und die Ruhe ziehen auch seltene Tiere an und lassen vom Aussterben bedrohte Pflanzen wachsen.
Die ungebändigte Natur bietet den Wassersportlern besondere Schauspiele – nicht immer mit glücklichem Ende. Eine Gans hatte im nahen Röhricht ihr Nest gebaut. Bei jeder Flut schwamm es auf, um sich bei Ebbe wieder abzusenken. Eines Tages war das Nest allerdings verschwunden. Harder vermutet, das es bei einer besonders hohen Flut, die verbunden war mit kräftigen Windgeschwindigkeiten, weggespült wurde.
Zum Leidwesen der Wassersportler treibt sich im Bereich des Hafens auch ein ungebetener Gast herum. Der Marderhund wanderte aus Russland nach Mitteleuropa ein und machte sich auch in der Marsch breit. Insbesondere unter den ohnehin bedrohten Bodenbrütern findet er seine Beute.
In der Ausbildung des Seglernachwuchses hat sich Peter Harder auch engagiert, doch die Schulen mit ihrer Ganztagsbetreuung haben einer sogenannten Opti-Gruppen den Garaus gemacht. Mehrere Segler mittleren Alters sind in den vergangenen Jahren eingetreten. Sie haben nicht nur den Altersdurchschnitt des Vereins etwas nach unten gezogen, sondern auch neue Ideen entwickelt. So soll demnächst wieder eine Jugendgruppe eröffnet werden.
Methusalem wird dann nicht mehr sein seglerisches Wissen an die Novizen weitergeben. Vor drei Jahren hat er sein Boot verkauft. Deshalb ist er auch nicht mehr jeden Tag im Hafen: Es schmerze ihn zu sehen, wie die andere ein- und auslaufen, während er an Land bleibt.