Pinneberg. Die Pinneberger Fotografin Kathrin Wahrendorff begleitete Fahrten des Segelschulschiffs. Maritimes Museum zeigt ihre Fotos.
Es ist eine stürmische Nacht im September 2008. Kathrin Wahrendorff beobachtet aus dem Bullauge, wie Scheinwerfer das Meer absuchen. Der Lichtstrahl endet immer wieder an der nächsten hohen Welle. Was dahinter liegt, bleibt den Blicken verborgen. Die Besatzung sucht Stunde um Stunde, Küstenwache, Militär, Handelsschiffe kommen zur Hilfe – vergeblich. Die junge Offiziersanwärterin, die in dieser Nacht während ihrer Wache über Bord der „Gorch Fock“ ging und in der Nordsee einen Tag vor ihrem 19. Geburtstag ertrank, wird erst Tage später vor Helgoland gefunden.
Kathrin Wahrendorff nimmt die Erinnerung an die dramatische Nacht auch Jahre später noch emotional mit. Die Pinneberger Fotografin hatte die Fahrt des Ausbildungsschiffes der Marine von Kiel nach Hamburg, wo das Segelschiff zur Parade des Hafengeburtstages erwartet wurde, begleitet. „Ich sehe das Mädchen noch vor mir, wie sie ihre wunderschönen langen roten Haare bürstet“, sagt die 70-Jährige. Seine Hängematte befand sich gleich über ihrer. Sie hatten geredet und Bücher ausgetauscht. Die Besatzung der „Gorch Fock“ habe regelmäßig das „Mann über Bord“-Manöver geübt. In jener tragischen Nacht sei der Ton des Offiziers beim Kommando „Mann über Bord“, auf das ein „Das ist keine Übung!“ folgte, viel schärfer gewesen. Während die Kadetten aus den Hängematten sprangen, blieb Kathrin Wahrendorff, wie zuvor für Ernstfälle vereinbart, unter Deck. „Als wir am nächsten Tag in Wilhelmshaven festmachten, holte mein Mann mich ab. An Bord standen die Jungen und Mädchen und telefonierten mit ihren Familien“, sagt sie. Das sonst so strikte Handyverbot an Bord war aufgehoben.
50 bis 60 Filme hatte Kathrin Wahrendorff bis dahin verschossen. Etwa 15 bisher nie gezeigte Fotos der Seekadettinnen auf der „Gorch Fock“ sind nun in einer Sonderausstellung „Frauen an Bord. Eroberung einer Männerdomäne“ im Maritimen Museum Hamburg zu sehen. Ob auch ein Foto von der jungen Frau, die über Bord ging, zu sehen sein wird, möchte Kathrin Wahrendorff nicht sagen. Der Gedanke, jemand könnte mit dem Finger auf das Mädchen zeigen, ist ihr ein Graus. Sie ist selbst Mutter, hatte lange Kontakt mit der Mutter der Verunglückten, die die genauen Umstände jener Nacht erfahren wollte.
Kathrin Wahrendorff selbst hat sich das Privileg, als Frau auf der „Gorch Fock“ mitfahren zu dürfen, erkämpfen müssen. 1999 war sie als eine der ersten Frauen überhaupt zwei Wochen an Bord. „Damals war das nur den Sanitätshelferinnen des Stabsarztes erlaubt“, sagt sie. Die Mannschaft unter Kapitän John Schamong sei zuvorkommend und hilfsbereit gewesen. Bei Wellengang hätten Kadetten sie auch mal mit einem beherzten Griff stabilisiert, damit die Fotos nicht verwackelten.
Das Interesse für die Fotografie entdeckte Kathrin Wahrendorff schon früh für sich. Doch der Vater forderte: „Lerne was Richtiges!“, und so begann sie eine Lehre als Drogistin. Später studierte sie humanistische Psychologie, bekam eine Anstellung beim Kreis im Schulpsychologischen Dienst. Mit Mitte 40 wagte sie den Neuanfang, studierte bei der Fotografen-Legende Jochen Blume. Er hielt die Großen der Welt im Foto fest, von Dutschke über Castro bis zur Queen. „Mit 90 Jahren stellt er aktuell seine Bilder im Hotel Adlon in Berlin aus“, sagt Kathrin Wahrendorff. Ihren Urlaub nutzt sie, um journalistisch zu arbeiten. Heute drucken Magazine wie Mare, Spiegel oder das Zeit Magazin ihre Fotos von Waisenkindern in Tansania, der Manga-Convention, kriminellen Jugendlichen oder der Wave-Gotik-Szene.
Für ihre Arbeit hat sie schon viele Länder bereist. Mit einem Kollegen vom Spiegel, der Urdu spricht, reiste sie 2010 sogar durch ein von Terror geschütteltes Pakistan für eine Reportage über Ali Saleem, einem transsexuellen TV-Star. „Vor Ort erfuhren wir von einer Gruppe Campern, die von Deutschland nach Indien reisten. Also fuhren wir nachts nach Lahore, um die seltsame Wohnmobil-Karawane an der Grenze zwischen Indien und Pakistan zu treffen“, sagt sie. 16 Stunden Fahrt im vollen klapprigen Bus. Wahrendorff hatte nicht viel mehr dabei als eine Taschenlampe, ein Brötchen und ihre Kamera. Die Einheimischen tafelten dagegen ganze Menüs auf und teilten ihre Speisen mit ihr. Bei Dunkelheit erreichten sie Lahore und quartierten sich in einem „von außen sehr hübschen Hotel“ ein mit Blick auf die beeindruckende Badshahi-Moschee. An der Rezeption kamen ihr leichte Zweifel, ob sie hier wirklich gut aufgehoben sind. „Siehst du die bärtigen Männer mit Gewehren“, fragte sie ihren Begleiter. Dessen Antwort: „Das sind keine Gewehre. Das sind Kalaschnikows.“ Noch heute muss sie lachen, wenn sie darüber erzählt, vielleicht auch angesichts ihrer Arglosigkeit. Die bärtigen Männer waren vermutlich Taliban, und bei Tageslicht entpuppte sich das hübsche Hotel als schäbiges Stundenhotel für Prostituierte und Freier. „Wir trafen dann wie verabredet den Konvoi und begleiteten ihn für eine Reportage quer durch Pakistan bis zur afghanischen Grenze“, sagt sie.
Viele Projekte tritt die Pinnebergerin mittlerweile an jüngere Kollegen ab, die ja noch verdienen müssten. Aber gänzlich kann sie nicht die Finger von der Arbeit lassen, auch nicht, nachdem sie wegen eines Herpesvirus im Gehirn das Laufen neu lernen musste. Sie ist unerschütterlich und bezeichnet sich lachend als medizinisches Weltwunder. Mit ihrem Mann möchte sie als nächsten ins chilenischen Valparaiso, um die Graffiti-Kultur zu fotografieren.
Das Internationale Maritime Museum, Koreastraße 1, in Hamburg zeigt von Freitag, 18. März, an die Sonderausstellung „Frauen an Bord. Eroberung einer Männerdomäne“. Sie thematisiert die Geschichte der seefahrenden Frauen von 230 v. Chr. bis heute. Eintritt 12,50 Euro. Mo bis So 10 bis 18 Uhr.