Elmshorn. Drei Erzieherinnen unterschiedlicher Generationen erzählen, wie sich die Arbeit in Kindergärten aus ihrer Sicht verändert hat.
Wie sehr hat sich der Alltag in den Kindergärten in den letzten Jahrzehnten verändert? Drei Erzieherinnen aus drei Generationen erzählen von ihrer Arbeit im Kinderhaus Elmshorn. Elke Theege, 60, arbeitet seit 1984 als Erzieherin. Elfrun Radünz, 47, ist fast fünf Jahre im Kinderhaus und war vorher an einer Grundschule beschäftigt. Nanny van der Lubbe, 29, ist seit Juli 2013 in der Elmshorner Kita und hat vorher an einer anderen Einrichtung gearbeitet. Eine Besonderheit im Kinderhaus ist, dass der Träger nicht die Stadt, eine Kirche oder einer der großen karitativen Verbände ist, sondern der freie und gemeinnützige Verein „das Kinderhaus“.
Hamburger Abendblatt: Die Institution Kita hat in den letzten Jahren einen Wandel erlebt. Was hat sich geändert?
Elke Theege: Die Kita-Phase nimmt immer mehr Platz ein im Leben der Kinder. Vor 30 Jahren war Kindergarten in Westdeutschland noch eine Halbtagsveranstaltung. Kinder hielten sich etwa drei Stunden am Vormittag in der Kita auf, waren zum Mittag wieder zu Hause. Heute wird die Ganztagsbetreuung immer mehr ausgebaut. Durchschnittlich verbringt ein Kind heute sechs Stunden in der Kita. Und Kinder kommen immer früher in die Kita, daher auch der Ausbau der U3-Betreuung. Kita hat also stark an Bedeutung gewonnen.
Elfrun Radünz: Kita ist zum ersten öffentlichen Bildungsort geworden. Unser pädagogisches Handeln zielt auf das einzelne Kind. Das war vorher sicherlich auch schon so, aber jetzt wird es stärker öffentlich wahrgenommen, dass hier Bildungsprozesse ablaufen.
Wie hat die Diskussion um frühkindliche Bildung den Alltag in Kitas verändert?
Theege: Als 2006 nach dem schlechten Abschneiden der deutschen Schüler bei der Pisa-Studie von allen Bundesländern die Bildungsleitlinien eingeführt wurden, hatte es vorher keine Rücksprache mit uns Erzieherinnen gegeben. Unser Dachverband hat uns die neuen Vorgaben einfach vorgesetzt. Wir haben dann überlegt, was wir davon in der Praxis umsetzen können. Neu für uns war der Bereich der Naturwissenschaften, mit dem einige Kolleginnen erst einmal nichts zu tun haben wollten. Drei haben sich dann gefunden, die sich im Bereich Technik und Naturwissenschaften haben weiterbilden lassen. Es hat ihnen dann auch Spaß gemacht.
Radünz: Kinder möchten wissen, wie ein Regenbogen oder eine Seifenblase entsteht. Sie haben Spaß am Forschen und Experimentieren, fragen nach dem Warum. Bei den Experimenten geht es nicht darum, Ergebnisse festzuhalten, sondern Dinge bewusst wahrzunehmen, gemeinsam Erklärungsmöglichkeiten zu finden.
Was sind Ihre Aufgaben?
Nanny van der Lubbe: Unsere Aufgabe ist es, sie individuell zu begleiten, zu beobachten, frühzeitig Defizite zu erkennen und das Kind zu fördern. Die Partizipation, also die Teilhabe der Kinder, hat neben den Leitlinien einen großen Anteil in meiner Ausbildung eingenommen. Ich verstehe mich als Begleiterin.
Radünz: Wir regen Bildungsprozesse an und dokumentieren. Jeder Entwicklungsschritt wird in einem Bildungsordner festgehalten. Den behalten die Kinder, wenn sie in die Schule kommen. Das hätte ich mir für meine Kinder und auch für mich selbst gewünscht.
Nur spielen reicht offenbar nicht mehr.
Theege : Das klingt sehr negativ. Spielen ist für Kinder so wichtig. Die Lebensbedingungen von Kindern in unserer Gesellschaft haben sich gravierend verändert. Kind sein heute bedeutet oft ein Aufwachsen mit immer weniger Zeit zum Spielen. Natürliche Erfahrungsräume und Bewegungsmöglichkeiten sind rar, etwa durch beengte Wohnverhältnisse und durch wachsenden Verkehr. Ich konnte als Kind allein zum Toben rausgehen und durch Wälder streifen. Das ist heute kaum möglich. Der Kindergarten gibt Zeit und Raum für eine kindgerechte Entwicklung.
van der Lubbe: Im Spiel greifen Kinder ihre Themen auf. Sie lernen intuitiv, spielerisch, nebenbei. Unsere Aufgabe ist es, beim Spielen genau hinzuschauen und die Entwicklung zu begleiten. Die Kinder sind stolz, wenn sie erbauen, lernen oder erschaffen.
Wie hat sich der Blick auf das Kind verändert?
Theege: In den 90er-Jahren haben die Erzieher Ideen entwickelt, an denen alle als Gruppe teilnehmen mussten. Heute werden gemeinsam mit Kindern Projekte entwickelt. Sie können selbst bestimmen, ob sie teilnehmen.
van der Lubbe: Schon die Kleinsten lernen, dass sie auch Nein sagen dürfen, oder rufen mit ausgestrecktem Arm Stopp, um ihre Grenzen deutlich zu machen. Selbst Konflikte mit anderen Kindern lösen wir nicht, sondern begleiten diese. Wir fragen aber auch, ob wir für das Kind sprechen sollen.
Radünz: Verändert hat sich die Zusammenarbeit mit der Grundschule. Die Wertschätzung ist eine andere. In der Lehrerausbildung wird verdeutlicht, wie wichtig die erste Phase der kindlichen Entwicklung ist. Der Übergang in die Schule soll niedrigschwellig sein.
Würden Sie sagen, dass ein studierter Erzieher einen besseren Job macht?
van der Lubbe: Ich empfand die Ausbildung zur Erzieherin schon wie ein kleines Studium. Ein Studium würde den Stellenwert des Erziehers aufwerten.
Theege: Ein Studium würde nur Sinn machen, wenn der Praxisanteil hoch wäre. Das Herz ist wichtig. Das kann ein Studium nicht vermitteln.
Radünz: Ein Studium würde bessere Verdienst- und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen.
Hat sich auch die Arbeit mit den Eltern verändert?
Radünz : Wir haben viele Eltern mit Migrationshintergrund mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Wir versuchen, alle gleich zu behandeln und mit Eltern auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Wir sind die Fachleute und die Eltern Experten für ihre Kinder.
van der Lubbe: Mütter und Väter stehen heute unter großem Druck. Sie haben oft ein schlechtes Gewissen, weil sie weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen können. Dabei wollen sie natürlich nur das Beste für den Nachwuchs.
Haben sich auch die Kinder verändert?
Theege : Eindeutig. Der Anteil der Kinder mit speziellem Förderbedarf ist stark gewachsen. Über Gründe lässt sich nur spekulieren. Sicherlich ist der Medienkonsum ein Faktor.
van der Lubbe: Im Montagskreis sollen die Kinder von ihren Erlebnissen am Wochenende erzählen. Kindern, die viel fernsehen, fällt das schwer. Diejenigen, die draußen etwas erlebt haben, können das auch beschreiben. Das Erlebte hat sich tiefer verankert. Fünfjährige gucken Star Wars, verstehen den komplexen Inhalt aber gar nicht. Wir sehen auch Dreijährige, die den Stift wie einen Joystick halten. Wir verteufeln Medien nicht. Sie gehören wie Süßigkeiten auch zu unserer Zeit. Aber alles in Maßen.
Radünz: Heute ist ein Kind nicht mehr in ein Netzwerk eingebettet. Großfamilien gibt es kaum noch. Die Anzahl der Alleinerziehenden ist gestiegen. Im Beruf wird Flexibilität verlangt, der Alltag wird anstrengender. Zeit ist rar. Das führt dazu, dass Mütter und Väter ihren Kindern viele Aufgaben abnehmen. Wenn sie den Kleinen die Schuhe zubinden oder den Reißverschluss der Jacke schließen, geht das schneller. Es ist auch eine Art Fürsorge, vielleicht aus schlechtem Gewissen heraus. Kinder werden dadurch unselbstständiger.
Der Kita-Streik der Erzieherinnen hat deutlich gemacht, dass sie sich mehr Anerkennung wünschen.
Theege : Bedeutung und Anspruch unserer Arbeit ist gewachsen, aber die Rahmenbedingungen haben sich nicht verändert. Unsere Arbeit benötigt mehr Vor- und Nachbereitungszeit, aber der Betreuungsschlüssel ist seit Jahren gleich geblieben und orientiert sich an der Präsenzzeit in der Gruppe. Das Aufwachsen der Kinder in den ersten Lebensjahren wird immer mehr zur öffentlichen Aufgabe. Unsere Verantwortung wächst. Das sollte auch finanziell honoriert werden.