Kreis Pinneberg. Die Flüchtlingskrise stellt offene die Jugendarbeit in Pinneberg vor immense Herausforderungen. Kritik am System der DAZ-Klassen.

1972 ist Saim Cetinkaya selbst ein Fremder in Deutschland. Mit gerade einmal sechs Jahren verlässt er mit seinen Eltern die Geburtsstadt Istanbul, kommt nach Pinneberg. Mitte der 90er-Jahre kümmert er sich dann als junger Pädagoge um Jungen und Mädchen, die wegen kriegerischer Auseineinandersetzungen auf dem Balkan ihre Heimat verlassen müssen.

Heute kommen Flüchtlinge vor allem aus Afrika und Asien. Und es kommen weit mehr als vor 20 Jahren. Cetinkaya, der seit 17 Jahren einen Jugendtreff leitet, fürchtet, dass sich Fehler der Vergangenheit wiederholen könnten. Die Bedeutung offener Sozialarbeit werde noch immer unterschätzt, wenn es darum gehe, an die jungen Neuankömmlinge heranzukommen. Es fehle zudem an Fachkräften, auch weil die Bezahlung auf dem Sektor zu schlecht sei. Dabei seien niederschwellige Angebote Schlüssel zur Integration. „Geht es so weiter, schaffen wir Parallelgesellschaften“, ist sich Cetinkaya sicher.

Eugenia Koch-Wunder, die zum Team des Pinneberger Jugendtreffs Komet gehört, hat täglich mit jungen Flüchtlingen zu tun. Derzeit mit drei Mädchen und einem Jungen aus Syrien. „Das sind Kinder, die Ängste mit sich herumtragen“, sagt sie. Es sei „immens wichtig, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen“, nur so öffneten sich die Kinder. Doch häufig fehle die Zeit, Nähe aufzubauen.

Fakt ist: In den vergangenen Jahren wurde die Sozialarbeit an Schulen ausgebaut. Oft geht das zu Lasten der offenen Angebote. Manchenorts, etwa in Halstenbek, werden Jugendzentren – auch aus Kostengründen – in Schulen integriert. Pinnebergs Sozialpädagogen sind vormittags an den Schulen im Einsatz. Eine Verquickung, die Kritiker auf den Plan ruft.

Verbindung von Jugendarbeit und Schule schwierig

Mit Professor Peter-Ulrich Wendt etwa war kürzlich ein Politologe in der Kreisstadt zu Gast, der dringend empfiehlt, verstärkt auf offene Angebote zu setzen und jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, in Jugendzentren Freiräume und Gesprächspartner zu finden. „Der in Pinneberg gewählte Weg ist schwierig.“ Jugendarbeit und Schule – das gehe nicht wirklich zusammen. Die Kieler Erziehungswissenschaftlerin Melanie Groß sagt: „Kinder benötigen dringend Orte, an denen sie nicht bewertet werden.“ Jochen Hinrichsen ist Sozialpädagoge in Pinneberg. Er hat Zahlen, die erklären, warum es im Bereich der offenen Jugendarbeit an Fachkräften mangelt. So müsse etwa ein junger Erzieher mit einem Monatsgehalt von 1580 Euro netto auskommen, Sozialpädagogen gingen trotz absolvierten Studiums mit gerade einmal 120 Euro mehr nach Hause. „Kein Wunder, wenn Fachkräfte eine Tätigkeit in der Schulsozialarbeit mit dann zumindest geregelten Arbeitszeiten vorziehen“, so Hinrichsen. Wer in einem Jugendzentrum arbeite, müsse schließlich bis in den späten Nachmittagen oder Abend für seine Schützlinge da sein. Wie Cetinkaya, der seinen Treff zeitweise auch noch in den Ferien öffnet.

Jugendpfleger stehen vor der Aufgabe, Flüchtlingskinder zu integrieren. Der offenen Arbeit kommt nach Expertenmeinung besondere Bedeutung zu
Jugendpfleger stehen vor der Aufgabe, Flüchtlingskinder zu integrieren. Der offenen Arbeit kommt nach Expertenmeinung besondere Bedeutung zu © HA | Andreas Daebeler

Karsten Hamdorf, der beim Kreis Pinneberg für Jugendarbeit zuständig ist, plädiert dafür, dass offene Arbeit als Bildung anerkannt und angemessen personell ausgestattet wird. „In den Jugendzentren werden entscheidende soziale Kompetenzen vermittelt“, sagt er. Sein Fachbereich stellt gemeinsam mit dem Bündnis „Willkommen bei Freunden“ eine Reihe von Fachveranstaltungen für in der offenen Jugendarbeit beschäftigte Erzieher und Sozialpädagogen auf die Beine. In Arbeitsgruppen sollen Konzepte entwickelt und Probleme erörtert werden. Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen, um so den Herausforderungen der aktuellen Situation begegnen zu können. Hamdorf hofft, dass Flüchtlinge von heute zu Jugendarbeitern von morgen werden: „Das wäre gut, wir benötigen mehrsprachige Fachkräfte."

Kritik wird laut, wenn es um die derzeitige Praxis an den Schulen geht. Dort bleiben Asylbewerber in so genannten DAZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache) zunächst unter sich. Erst wenn sie Deutsch gelernt haben, stoßen sie zu den einheimischen Altersgenossen. „Derselbe Fehler wie vor 40 Jahren“, sagt Hinrichsen. Dergleichen widerspreche zudem eindeutig dem Gedanken der Inklusion. Ziel müsse es vielmehr sein, junge Flüchtlinge sofort zu integrieren, um Barrieren erst gar nicht entstehen zu lassen.

„Ausländerklassen sind ein Unding“, meint auch Cetinkaya, der Ängste im Umgang mit Flüchtlingen vor allem bei Eltern ausmacht. „Kinder gehen viel offener mit den Neuankömmlingen um.“ Er appelliert, Chancen der offenen Arbeit zu nutzen: „Nur wenn wir jetzt investieren und es intelligent anpacken, können wir den Fachkräftemangel von morgen in den Griff bekommen“, sagt Cetinkaya und steht auf. Die ersten Kinder stehen vor der Tür des Jugendtreffs. Sie sprechen nur gebrochen Deutsch. Doch sie lachen, wie alle Kinder lachen.